Kino-Film «Cahier africain»: Schulheft der Gräuel

Nr. 3 –

Heidi Specogna hat sich einen Namen als Autorin von Dokumentarfilmen über brisante politische Themen gemacht. Stets gelingt es ihr, durch eindrückliche Geschichten und Gesichter die Verstrickungen von Macht, Gewalt und wirtschaftlichen Interessen greifbar zu machen. Vor zehn Jahren gewann sie den Schweizer Filmpreis für «Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez», über einen sogenannten Greencard-Soldaten aus Guatemala, der 2003 für die US-Armee im Irakkrieg starb. In «Das Schiff des Torjägers» (2010) berichtete sie über den Sklavenhandel mit afrikanischen Kindern, zuletzt porträtierte sie in «Pepe Mujica» (2014) den charismatischen uruguayischen Präsidenten, dem sie bereits 1996 in «Tupamaros» begegnet war, als dieser noch ein Guerillero war.

Mit «Cahier africain», einem unerschrockenen Film über erschreckende Ereignisse, liefert sie ihre bisher wohl eindrücklichste Arbeit in einer bereits beachtlichen Karriere. Das «afrikanische Heft», auf das der Titel verweist, entdeckte Specogna 2008 bei der Recherche für ihren Film «Carte blanche» (2011) über die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag. Es ist ein einfaches Schulheft, das die Zeugenaussagen von 300 Frauen, Mädchen und Männern aus Bangui enthält, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik – Menschen, die 2002 von kongolesischen Söldnern unter der Führung von Jean-Pierre Bemba gequält und vergewaltigt wurden. In «Carte blanche» zeigte Specogna, wie die ICC-MitarbeiterInnen Beweismaterial für den Prozess gegen Bemba sammelten. Die Geschichten der Zeugen und Zeuginnen liessen sie aber nicht los, und sie kehrte in den folgenden Jahren mehrmals nach Bangui zurück, um einige dieser Menschen weiter zu begleiten. Doch während die Prozesse in Den Haag noch liefen, brach in der Zentralafrikanischen Republik wieder Krieg aus. Aus dem geplanten Film über die Suche nach Heilung und Gerechtigkeit wurde ein unmittelbarer Bericht über erneute Gräueltaten und das Leben auf der Flucht.

Im Gegensatz zur Berichterstattung in den Medien lebt «Cahier africain» davon, dass Heidi Specogna und die Leute aus Bangui durch eine längere Geschichte miteinander verbunden sind. Wenn das Filmteam (Kamera: Johann Feindt) in den Kriegswirren vermisst geglaubte Menschen wieder aufspürt, sind die Emotionen umso wuchtiger. Zwischendurch kommentiert Specogna die Ereignisse in einem lakonischen, präzisen Offtext, doch der Film lässt vor allem die Frauen, Mädchen und Männer sprechen. Manchmal reicht aber auch ein Blick oder eine Geste aus, um ihre Gedanken und Gefühle zu kommunizieren. Aus den spärlichen ZeugInneninfos des Hefts hat Heidi Specogna eine äusserst bewegende Überlebensgeschichte gemacht, die nicht nur die sieben Jahre Drehzeit umfasst, sondern auch bis ins Jahr 2002 zurückblickt – und mit vielen offenen Fragen in die Zukunft schaut.

In: Solothurn, Landhaus, So, 22. Januar 2017, 17.45 Uhr, und Di, 24. Januar 2017, 20.30 Uhr.

Cahier africain. Regie: Heidi Specogna. Schweiz/Deutschland 2016