Unternehmenssteuerreform III: Die Wahrheit hat drei Nullen
Lügen, Übertreibungen, Angstmache: Die Kampagne für eine tiefere Besteuerung der Unternehmen läuft aus dem Ruder. Können die GegnerInnen den Moment nutzen?
Das Foto ist geklaut: Es stammt von der Website der SP, eine Quellenangabe fehlt. Und das Foto ist verfälscht: Auf dem Transparent der PolitikerInnen, die das Referendum zur Unternehmenssteuerreform III einreichen, verkünden sie nicht mehr ein Nein – sondern dass ihnen Arbeitsplätze egal seien. Die Bildfälschung findet sich in der französischsprachigen Abstimmungszeitung des Schweizerischen Gewerbeverbands. Einer der Abgebildeten, SP-Nationalrat Beat Jans, will eine Klage wegen Ehrverletzung einreichen.
Gewerbepräsident Hans-Ulrich Bigler und seine rechte Hand, Kampagnenchef Bernhard Salzmann, haben erneut eine Grenze überschritten: Hantierten sie im Abstimmungskampf um das Radio- und Fernsehgesetz noch mit Fantasiezahlen, denunzieren sie nun die politischen GegnerInnen. Auch die deutschsprachige Ausgabe der Abstimmungszeitung sorgte für Ärger, weil darin suggeriert wird, dass SP-StänderätInnen wie Pascale Bruderer und Hans Stöckli für die Reform stimmten. Kampagnenchef Salzmann, studierter Historiker, weist die Vorwürfe zurück: «Wir haben das Bild und die Zitate korrekt in den Kontext gestellt.»
Alles andere als volksnah
Die USR III ist eine komplizierte Vorlage. Im Kern geht es darum, dass die bisherigen Steuerprivilegien von multinationalen Konzernen auf Druck der OECD aufgehoben werden sollen. Das bürgerlich dominierte Parlament entschied sich für eine Variante, bei der die Steuern für alle Unternehmen gesenkt – und neue Steuertricks eingeführt werden. Das alles verlangt nach einer vertieften Debatte: über die drohenden Ausfälle bei Städten und Kantonen und mögliche Arbeitsplatzverluste. Über die Frage, wie Firmen überhaupt noch besteuert werden, und im besten Fall sogar über internationale Steuergerechtigkeit. Ausgerechnet die Wirtschaftsverbände, die am lautesten die Parole «Schweiz stärken» rufen, zerstören mit ihrem Verhalten nun aber die demokratische Auseinandersetzung.
Auch der zweite grosse Wirtschaftsverband, Economiesuisse, leistete dazu seinen Beitrag. Diese Woche stellte er eine Studie vor, die er beim privaten Wirtschaftsforschungsinstitut BAK Basel in Auftrag gegeben hatte. Diese kam zum Schluss, dass bei der Abwanderung aller hochmobilen Unternehmen aus der Schweiz rund 190 000 Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Weil Economiesuisse dieses Extremszenario zur realistischen Annahme erklärte, riss selbst der NZZ der Geduldsfaden: Den schlimmstmöglichen Fall als wahrscheinlich zu wählen, sei «stark irreführend» und eine «übertriebene Interpretation», kommentierte die Wirtschaftszeitung (vgl. auch Interview mit Michael Hartmann: «Keine Angst, die Reichen bleiben hier» ).
Nicht nur die Wirtschaftsverbände verbreiten Fälschungen und Übertreibungen, auch Finanzminister Ueli Maurer trägt seinen Teil dazu bei. Dieses Wochenende schaltete er sich in mehreren Sonntagszeitungen in den Abstimmungskampf ein. In der «Schweiz am Sonntag» drohte er unverhohlen: «Bei einem Nein gleise ich am nächsten Tag ein Sparprogramm über mehrere Milliarden auf für die nächsten Jahre.»
Einmal mehr bewies der Vertreter der Schweizerischen Volkspartei, dass er dem Grosskapital näher steht als der Bevölkerung. Schon nach dem Leak der Panama Papers meinte er bekanntlich zu Offshorekonstrukten: «Man muss diese Möglichkeiten schaffen.» Die Bemühungen seiner Vorgängerin Eveline Widmer-Schlumpf, die nicht nur die Grossbanken regulierte, sondern auch eine Kapitalgewinnsteuer zur Finanzierung der Unternehmenssteuerreform unterstützte, scheinen in einer fernen Vergangenheit zu liegen. Was stimmt tatsächlich im Gewirr aus Lügen, Übertreibungen und Angstmache? Die Antwort auf diese Frage könnte die Abstimmung entscheiden.
Sicher sind die Ausfälle
Mehr oder weniger gesichert ist bisher nur eine Zahl: die Ausfälle, die dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden drohen, wenn die USR III angenommen wird. Gemäss den vorliegenden Angaben der Kantone betragen diese mehr als drei Milliarden jährlich, wirtschaftskräftige Kantone wie Zug oder Aargau noch nicht miteingerechnet. Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), hat nachgerechnet, dass auch die Auswirkungen der neuen Steuerinstrumente wie der Patentbox unterschätzt werden. Für ihn ist absehbar: «Die Kosten der Unternehmenssteuerreform III dürften gegen vier Milliarden Franken jährlich betragen.» Die Folge wären höhere Abgaben für die EinwohnerInnen und massive Einsparungen von öffentlichen Leistungen – in der Bildung, bei der Gesundheit, in der Kultur.
Die Frage der Arbeitsplätze wiederum spielt bei der Steuerreform eine Nebenrolle. Der Bund schätzt, dass im Extremfall 130 000 bis 170 000 Arbeitsplätze von einer Verlagerung betroffen sein könnten. Das sind gerade einmal drei Prozent aller Beschäftigten. Um welche Firmen es sich handelt, ist wegen des Steuergeheimnisses grösstenteils unbekannt. Gemäss dem Steuerexperten Peter Uebelhart von KPMG – der Wirtschaftsprüfer begleitete die Reform beratend – handelt es sich mehrheitlich um Firmen, deren Headquarter in der Schweiz ist: «Einen Teil der Beschäftigten bringen die Firmen mit, einen Teil rekrutieren sie hier.» Dies lässt den Schluss zu: Die Reform betrifft ein kleines Segment von Beschäftigten, das selbst hochmobil ist. Und falls Firmen abwandern, dann wegen der Schweizer Tiefsteuerpolitik wohl zuerst in andere Kantone.
Lösung auf dem Tisch
Bleibt noch die Frage, was politisch auf ein Nein folgen würde. Fürs Erste würde gar nichts passieren, weil das bisherige Steuerregime weiterliefe. Niemand bestreitet aber, dass die Steuerprivilegien wegen des internationalen Drucks fallen müssen. Die Gewerkschaften verweisen auf all die Vorschläge zu einer Gegenfinanzierung, die verworfen wurden, etwa eine stärkere Besteuerung der AktionärInnen. Kurzum: Ueli Maurer müsste bei einem Nein kein Sparprogramm befehlen. Sondern sich rasch um eine ausgewogenere Lösung bemühen.
In der letzten Phase des Abstimmungskampfs wollen die GegnerInnen in Inseraten auf eine einfache Zahl setzen: tausend Franken. So viel wird jeder einzelne Haushalt pro Jahr mindestens bezahlen, wenn man die zu erwartenden Ausfälle umrechnet. Begleichen werden die Haushalte die fehlenden vier Milliarden mit höheren Steuern und Abgaben – und mit Einsparungen von öffentlichen Leistungen, die ihnen nicht mehr zur Verfügung stehen. Nach dieser Chaoswoche der Übertreibungen wirkt diese Zahl angesichts der Fakten angenehm plausibel.