Reisen ins Landesäussere: Und ewig ruft der Berg

Nr. 4 –

Mit dem Sturmtrupp in die Höhe oder mit der Kamera auf die Jagd nach bunter Exotik: Das historische Programm in Solothurn erzählte von solchen, die auszogen, das Fremde zu erkunden.

Die Zacken des Gletschers, die weisse Fluh, die schroffe Wand unter wolkenverhangenem Gipfel: Der Berg ruft, schon wieder? Hört das denn nie auf mit dem Schweizer Film und seinem ewigen Alpenfetisch?

Aber falsch, wir sind hier nicht in den Schweizer Bergen, sondern 1930 am Kangchendzönga, auf einer Expedition des deutschen Geologen Oskar Dyhrenfurth, später Lehrer am St. Galler Rosenberg-Institut. Als Kameramann mit dabei: der Westschweizer Charles-Georges Duvanel. «Der weisse Tod im Himalaya» heisst das dokumentarische Zeugnis aus dem Archiv der Cinémathèque suisse, wobei Duvanel die weite Anreise als Alibi für exotistisches Sightseeing nutzt: von den ägyptischen Pyramiden, die für ein Klettertraining zweckentfremdet werden, über den Tadsch Mahal bis zum nepalesischen Maskentanz.

Exkurs aus der Enge

Im Basislager wird die Sprache dann militaristisch. Da ist vom «Angriff» auf den Berg die Rede, und die Zusammensetzung des «Sturmtrupps» verrät das koloniale Denken der Zeit: «Sechs Europäer, vierzig Träger», zählt Dyhrenfurth in seinem Off-Kommentar. Wir sind, wo wir herkommen; die einheimischen Fremden sind, was sie für uns leisten. Damit die Gruppe am Berg aber als Mannschaft funktioniert, muss das soziale Gefälle dann zumindest rhetorisch verwischt werden, wie die Losung des Chefs vor dem Aufstieg zeigt: «Nicht Sahib und Träger wollen wir sein, sondern gute Bergkameraden!»

«Reisen ins Landesäussere» heisst das historische Programm an den diesjährigen Solothurner Filmtagen, in Abwandlung von Matthias von Guntens Film «Reisen ins Landesinnere» (1988). Seraina Rohrer, die Direktorin der Filmtage, hat schon in ihrer Eröffnungsrede festgestellt, dass es den Filmleuten früh zu eng wurde in der Schweiz. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, gerade im Dokumentarfilm, der gerne auszieht, die längst kartografierte Welt neu zu vermessen – sei das neuerdings die Liebe an Europas Rändern («Europe She Loves») oder Techno in der islamischen Republik («Raving Iran»). Auch von den zehn Filmen, die dieses Jahr für den Prix de Soleure nominiert sind, verharren weniger als die Hälfte im Landesinneren.

Der Blick geht also oft weit über die Grenzen hinaus, wobei solche Welthaltigkeit nicht automatisch zur besseren Erkenntnis gerinnt. Das bekommt man wiederum von den historischen Dokumenten aus kolonialer Zeit schmerzhaft aufs Auge gedrückt, namentlich in der Afrikareise des Ehepaars Wilhelm und Dora Eggert: In der Tradition des «Kulturfilms» reihen sie in «Safari» (1939) aneinander, was sie auf ihrer Reise von Tanger nach Mombasa an tierischen und menschlichen Exotismen vor die Linse bekommen – alles garniert mit paternalistischem Augenzwinkern im Off-Kommentar. Wenn afrikanische Kinder einen lehmigen Abhang zur Rodelbahn umnutzen, nennt das Eggert hüstelnd ein «Training für die nächste Olympiade».

Exotik ist einfacher

Vom Podium, das die Filmreihe begleitete, hätte man manchmal etwas mehr postkoloniale Schärfe im Bezug zur Gegenwart gewünscht. Beispiele von mehr oder weniger verkapptem «Dokutourismus», wie Jan Gassmann das titulierte, der Regisseur von «Europe She Loves», gibt es ja weiterhin im Kino. Irgendwo in der Fremde eine exotische Hütte zu filmen, so Gassmann, sei halt immer einfacher als etwa die Agglomeration daheim in Olten.

Er wies aber auch darauf hin, dass die koloniale Ausbeutungsherrschaft von einst im globalisierten Filmschaffen fortwirke, in einem vielleicht softeren, weniger sichtbaren Abhängigkeitsverhältnis. Die Stiftungen mit ihrem Förderkapital, die potenten Fernsehsender und die wichtigen Filmfestivals, die mit ihrer Auswahl bestimmen, was gezeigt wird und was nicht: Diese Player seien nach wie vor im reichen Norden ansässig, der damit steuert, was in ärmeren Ländern für Filme produziert werden.