Arbeitsexperimente in Schweden: Sechs Stunden zum Glück

Nr. 17 –

Zwei Stunden pro Tag weniger arbeiten, gleich viel verdienen. Das ist keine Utopie. Es lohnt sich sogar für die Unternehmen.

Es ist erst 13 Uhr. Doch Gabriele Tikman kann von der grünen Arbeitskleidung der Operationskrankenschwester schon wieder in zivile Kleidung wechseln. Ihr Arbeitstag ist vorbei. Begonnen hatte er um 7 Uhr. «Es ist herrlich», erzählt die 52-Jährige in der Zeitschrift der schwedischen Pflegegewerkschaft Vardförbundet: «Den ganzen Nachmittag frei haben, Zeit für den Garten, ohne Stress einkaufen, zu Hause sein, wenn die Tochter von der Schule kommt.»

Progressives Autohaus

Tikman arbeitet in der Orthopädischen Abteilung des Sahlgrenska-Universitätsspitals in Göteborg, die vor zwei Jahren den Sechsstundenarbeitstag eingeführt hat. Das Sahlgrenska ist Nordeuropas grösstes Krankenhaus. Vor drei Jahren herrschte hier Krise. Trotz langer Wartezeiten für Operationen musste ein Operationssaal geschlossen werden, weil einfach kein Personal zu finden war. Krankenstand und Personalfluktuation waren hoch, neue KrankenpflegerInnen trotz zusätzlicher Lohnanreize schwer zu rekrutieren. Personal und Gewerkschaften machten den Vorschlag eines Sechsstundentags bei gleichem Lohn.

Inspiriert zu diesem Schritt wurden sie von einem nahe gelegenen Autohaus. Das hatte für seine Angestellten schon vor vierzehn Jahren die Arbeitszeit gekürzt und schnell festgestellt, dass in sechs Stunden genau so viel gearbeitet wurde wie zuvor in acht – eher sogar mehr.

«Wir waren die ganze Zeit davon ausgegangen, dass ein Achtstundentag optimal ist», sagt Anders Hyltander, Abteilungsleiter am Sahlgrenska. «Aber wir waren einfach gezwungen, uns Gedanken über ein besseres Arbeitsumfeld zu machen und etwas Neues auszuprobieren.» Der zunächst auf ein Jahr angelegte Versuch mit dem Sechsstundentag wurde zwischenzeitlich um ein weiteres Jahr verlängert.

Zwanzig Prozent mehr Operationen

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mit einem um siebzehn Prozent aufgestockten Personal konnte die Produktivität deutlich erhöht werden. Trotz niedrigerer Gesamtstundenarbeitszeit schafft man nun zwanzig Prozent mehr Operationen. Die Wartezeiten für PatientInnen sind gesunken, und die Wirtschaftlichkeit der Klinik hat sich verbessert.

Diese Erfahrungen decken sich mit mehreren ähnlichen Versuchen, die derzeit überall in Schweden laufen. Siebzig Beschäftigte eines kommunalen Altersheims in Göteborg hatten zwei Jahre lang einen Sechsstundenarbeitstag bei gleichbleibendem Lohn. Die Krankschreibungen sanken in diesem Zeitraum um ein Fünftel, während sie in vergleichbaren Einrichtungen um zehn Prozent anstiegen. Die Angestellten beschrieben sich selbst als zufriedener, ausgeruhter, weniger gestresst. Und die AltersheimbewohnerInnen teilten diese Einschätzung: Sie fühlten sich besser versorgt, das Personal habe mehr Zeit für Aktivitäten im Freien oder zum Vorlesen. Doch wegen jährlich umgerechnet rund 110 000 Franken Zusatzkosten für die Gemeindekasse wurde der Modellversuch Ende 2016 wieder abgebrochen.

Schaue man immer nur auf die Mehrkosten, falle auf der Positivseite unter den Tisch, was nicht vorab konkret in Krone und Öre bilanziert werden könne, kritisiert die grüne Göteborger Gemeindepolitikerin Carolina Bruseman: Bessere Produktivität, weniger stressbedingte Fehler, weniger krankheitsbedingte Ausfälle oder die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt tauchten auf solchen Kostenrechnungen nirgends auf. Sehr wohl aber in der Realität.