Durch den Monat mit Raimund Rodewald (Teil 2): Sind Sie ein Romantiker?

Nr. 19 –

Landschaftsschützer Raimund Rodewald ist als tierliebender Secondo zur Landschaftsliebe gekommen. Er glaubt, dass die Suche nach Schönheit eine Triebkraft der Zivilisation ist – und erzählt, warum im Baselbiet sechs Bäume mit den Namen von Nonnen getauft werden sollen.

Raimund Rodewald am Schönthalweiher im Baselbieter Jura: «Ich kann diese funktionale, nüchterne Schweiz einfach nicht akzeptieren. Dazu bin ich nicht resigniert genug.»

WOZ: Raimund Rodewald, Sie arbeiten schon 27 Jahre für die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Wird das nicht langsam langweilig?
Raimund Rodewald: Nein, es war vom ersten Tag an spannend und ist es nach wie vor. Ich lerne immer wieder neue Leute kennen, und ich habe Freude an der Konfliktbewältigung. Mich interessiert, wie Gesellschaften Konflikte zwischen Nutzungs- und Schutzansprüchen austragen. Ich bin überzeugt, dass die Menschen zu besseren Lösungen fähig sind, als sich das oft baulich manifestiert in der Schweiz. Und ich habe schon den Anspruch, in diesem kleinen Land etwas zu bewirken. Sonst habe ich meinen Job nicht erfüllt. Für mich steht viel auf dem Spiel, ich liebe die Schweiz und ihre Landschaften.

Woher kommt diese Liebe?
Ich bin mit den Büchern des Tierfilmers Bernhard Grzimek aufgewachsen, «Serengeti darf nicht sterben», das hat mich aufgerüttelt. Später studierte ich Biologie, nachher allerdings Botanik, denn die Pflanzen laufen weniger weg als die Tiere. Dann arbeitete ich beim WWF und beim Bund für Naturschutz, heute Pro Natura, und bewarb mich 1989 bei der Stiftung Landschaftsschutz. Ich bin also über die Tierliebe zur Landschaftsliebe gekommen. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich ein Secondo bin: Meine Eltern kamen aus Berlin, waren Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Osten. In Schaffhausen bin ich zwar aufgewachsen, aber eine «Heimat» war es eigentlich nicht. Und ich habe nie ein Haus, eine Wohnung oder Land besessen.

Haben Sie inzwischen eine Heimat gefunden?
Überall dort, wo ich mich einbringen und mit guten Leuten zusammen Projekte realisieren kann, finde ich ein Stück Zuhause. So ist meine Heimat in der ganzen Schweiz verstreut – und darüber hinaus. Darum bin ich hoch beglückt über mein Arbeitsleben. Ich vermisse nichts! Auch wenn ich politisch manchmal verliere oder mich ärgere – ich habe einen absoluten Traumjob.

Sie schreiben poetisch über Landschaften, haben Bücher über Rebterrassen und Wasserfälle veröffentlicht – sind Sie ein Romantiker?
Wenn man damit meint, dass die Landschaft mich emotional und sinnlich angeht, dann bin ich einer. Ich glaube, wir brauchen die Landschaft viel mehr, als wir meinen. Sigmund Freud sagte, die Suche nach Schönheit sei eine Triebkraft der Zivilisation. Ich suche Orte, wo mich die Welt berührt; Landschaften, die Freude und Glück vermitteln, die nicht nur Nutzen ausstrahlen. Natürlich sind Terrassenlandschaften mit Trockenmauern nützlich, Hochstammbäume auch. Aber sie sind noch viel mehr. Ich kann diese funktionale, nüchterne Schweiz einfach nicht akzeptieren. Dazu bin ich nicht resigniert genug.

Sie haben vorgeschlagen, dass wir heute zum Schönthal im Baselbieter Jura wandern. Was bedeutet dieser Ort für Sie?
In dieser idyllischen Landschaft begegnet ein ehemaliges romanisches Kloster dem zeitgenössischen Skulpturenpark mit Werken von Künstlern wie Not Vital, David Nash oder Roman Signer – und einem Biobauernhof. Diese Kombination finde ich genial. Alte und junge Leute, Gemeinden und Private, Landwirtschaft, Naturschutzkreise und Kunstszene schaffen gemeinsam einen öffentlichen Ort: Das ist für mich schon fast ein Weltmodell. Das Schönthal ist ein arkadischer Raum. Ich bin ein Arkadier – der Begriff ist mir lieber als Romantiker. Arkadien war die Grundlage für die Romantik.

Arkadien? Ist das nicht eine feudale Idee?
Ursprünglich überhaupt nicht. Der italienische Renaissance-Schriftsteller Jacopo Sannazaro hat Arkadien 1504 in einem Buch beschrieben: Das war ein Hohelied auf das einfache Leben, auf das Nichtbesitzen; er lehnte privates Grundeigentum ab und idealisierte das Landleben als Gegensatz zum Stadtstaat Venedig mit seinen Steuern und Gesetzen, Macht und Krieg.

Also eine anarchistische Landutopie?
Das kann man so sagen. Es ging darum, das menschliche Tun mit der Harmonie der Landschaft zu verbinden. Später, in der Barockzeit, wurde Arkadien aber tatsächlich höfisch: Da stellte man dann kitschige Hirten-Liebesgeschichten nach.

Was ist Ihre Aufgabe im Schönthal?
Ich habe ein Landschaftsästhetikkonzept für diese hundert Hektaren entworfen. Zum Beispiel wurde der Schönthalweiher wieder freigelegt und ausgebaggert, damit man ihn überhaupt wieder sieht. Und ich hatte die Idee mit den Nonnenbäumen …

Nonnenbäumen?!
Zufällig wissen wir, wie die letzten sechs Nonnen hiessen, die vor genau 600 Jahren das Kloster verlassen mussten. Ich habe nun angeregt, dass wir an sechs markanten Stellen, wo man einen schönen Einblick in die Landschaft hat, in Erinnerung an diese Nonnen sechs Bäume pflanzen. Die Meisterin bekommt zum Beispiel eine Silberlinde. Die Aussichtspunkte werden mit einem Landschaftsweg verbunden.

Haben Sie weitere Lieblingslandschaften?
Das Valle di Muggio im Südtessin. Seit 35 Jahren arbeitet das dortige Museo etnografico an der Erhaltung der Kulturlandschaft und ihrer Bauten – manche wie Schneekeller oder Vogelfängertürme wirken exotisch. Und es ist ein Tal der Panoramen. Ich habe nirgendwo sonst so faszinierende Aussichten gesehen.

Raimund Rodewald (57) ist Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz.