Pop: Optimistisch im Desaster
Gewaltige Drohkulisse und ein Body wie Camembert: Im Dunstkreis der Kollegen von Tame Impala geht die Band Pond ihren psychedelischen Kapriolen nach.
Die Nervosität reicht bis in die popmusikalische Chefetage. Ob Gorillaz, Radiohead, Kendrick Lamar, Beyoncé – alle suchen sie auf ihren aktuellen Alben nach Rezepten gegen die Ohnmacht angesichts einer eskalierenden Gegenwart: Soziale Ungleichheit, Flüchtlingselend, Rassismus, Konsumwahn, Fake News – besungen wird ein Panorama der Krisen. Längst äussern sich nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen, und je mehr man sich vom Mainstream an die Peripherie bewegt, desto schonungsloser wird die gesellschaftliche Schieflage thematisiert. Erst kürzlich blies der US-Songwriter Father John Misty mit «Pure Comedy» zum Sturm gegen die Spassgesellschaft (siehe WOZ Nr. 15/2017 ). Auch Pond, eine Band, die bisher eher damit beschäftigt schien, sich mit ausgefranst psychedelischem Pop neue Bewusstseinsebenen zu erschliessen, schlagen auf ihrem siebten Album «The Weather» ungewohnt deutliche Töne an.
«It’s 30 000 megatons – pointed at her, at him and you and me» lautet die erste Zeile des Albums. Die Menschheit, im Begriff, sich mit dem gesammelten Atomwaffenarsenal selbst zu richten. Und man ahnt bereits: Es gibt kein Entrinnen. «Push the button now», fordert Sänger Nicholas Allbrook bald. Und die Band folgt. Tiefe Bläser schieben «30 000 Megatons» dem Inferno entgegen. Der Bass pulsiert markerschütternd, Gitarren zucken unter Elektroschocks. Immer gewaltiger türmen sich die Klänge zur spektakulären Drohkulisse, bis diese unter Donnergrollen in sich zusammenfällt.
Urknall oder Apokalypse
Etwas perplex ist man dann schon nach dieser frühen Detonation: War das Apokalypse oder Urknall? Werden Pond nun 35 Minuten lang nostalgisch Trümmerteile durch die Gegend schieben, oder machen sie sich hoffnungsvoll an den Neuanfang? Weder noch – man hätte es wissen müssen. Pond sind keine Band der dramaturgischen Konsequenz. Zu sehr funkt da die Neugier dazwischen.
Diese dürfte auch verantwortlich sein dafür, dass «The Weather» nebenbei, zwischen Tür und Angel, entstanden ist. Für gewöhnlich sind Pond nämlich über den ganzen Globus verstreut, um in unterschiedlichsten Formationen die Club- und Festivallandschaft der Kontinente zu erkunden. Angefangen hat alles im westaustralischen Perth. Mitte der nuller Jahre fand sich dort eine Gruppe umtriebiger MusikerInnen zusammen, die sich über das Erbe von Cream, der Beatles und Frank Zappa hermachten und begannen, sich mit luzider Gitarrenmusik aus der Provinztristesse zu spielen.
Im Wochentakt wurden Bands gegründet, eine davon hiess Tame Impala. Sie sollte einen Hype erleben, wie er lange keiner Gitarrenband mehr zuteilgeworden war. Begonnen 2007 als introspektives Homerecording-Projekt des Astronomiestudenten Kevin Parker, ist Tame Impala drei Alben später so etwas wie der Wikipedia-Eintrag für halluzinogene Popmusik. Die klingt, als hätte man dem Duo Daft Punk psychoaktiven Tigerbalsam unter die Masken geschmiert. Selbst Rihanna leistete sich eine Dosis von diesem Eskapismus und lieh sich für ihr Album «Anti» (2016) einen Tame-Impala-Song. Was natürlich nicht ohne Folgen blieb: Parker arbeitet mittlerweile für KünstlerInnen wie Lady Gaga.
Nach wie vor aber produziert er auch die Musik seiner Freunde von Pond, deren Mitglieder wiederum bei Tame Impala aktiv sind. Die Verwandtschaft zwischen den Bands ist unüberhörbar: dieselbe Klangästhetik, dasselbe Gespür für die grossen Gesten. Dennoch: Rihanna dürfte kaum je anklopfen. Zu schwärmerisch, zu ausufernd ist «The Weather». Ohne Berührungsängste modulieren Pond Tonspuren bis zur Unkenntlichkeit, experimentieren mit Themen und Perspektiven, mit Fokus und Tiefenschärfe. Sänger Allbrook ist mal um Deutlichkeit bemüht, dann wieder nuschelt er sich durch ganze Passagen. So unmissverständlich wie in «30 000 Megatons» wird er nicht mehr. Gleichwohl zählt die Ohnmacht über gesellschaftliche Dekadenz zu den wenigen wiederkehrenden Elementen dieses Albums.
Zuckersüss und kryptisch
Wir begegnen ihr zuweilen in schriller Form: «Between my penis and my chin is camembert and shame», singt Allbrook, wenn er seinen schmächtigen Körper in «Sweep Me off My Feet» als Antithese zu jeglichem Schönheitsideal in Stellung bringt. Was ihn dann aber nicht daran hindert, sich Sekunden später in einen Refrain zu werfen, der so episch angelegt ist, dass er auch auf einem Michael-Jackson-Album auftauchen könnte. Lang gezogene Phrasen in hohen Lagen, begleitet von Streichern und einem pflichtbewusst präzisen Schlagzeug, zu dem man mit den Fingern schnippen will.
Auch das aufgetakelte «Paint Me Silver» mit seiner zuckersüssen Synthieglasur liesse sich problemlos einem hitbedürftigen Popsternchen unterjubeln – wären da nicht diese kryptischen Strophen, diese Absage an die Zugänglichkeit. Ist es eine Ode an das Aussenseitertum? Ein verkappter Ruf nach Zugehörigkeit? Allbrook selbst kommentiert die Windungen im Refrain salopp: «I never know what to do, babe / but that’s not nothing new, babe.»
Mal überschäumend vor Farbtönen und Gefühlen, dann plötzlich hoffnungslos trivial: Stilistische Kapriolen wie diese sind typisch für Pond und «The Weather». Immer aber ist da dieser feierliche Unterton, diese spürbare Lust, sich der Welt entgegenzuwerfen.
Konzerte: Lausanne, Les Docks, Mittwoch, 31. Mai 2017; Zürich, Mascotte, Montag, 5. Juni 2017.
Pond: The Weather. Marathon Artists. 2017