Durch den Monat mit Katharina Wenziker-Welti (Teil 2): Warum wollen Sie nicht Schulleiterin werden?

Nr. 23 –

Weshalb Pionierschulen aktuell so in der Kritik und Schulleitungen grundsätzlich eine nützliche Sache sind – solange die basisdemokratische Teamkultur weiter bestehen kann.

Katharina Wenziker-Welti: «Als Schulleiter ist man im Sandwich zwischen den Lehrkräften, der Aufsichtskommission, der Präsidentin der Kreisschulpflege und weiteren Behörden.»

WOZ: Katharina Wenziker-Welti, letzte Woche unterhielten wir uns über die wichtige Rolle, die Tagesschulen für eine grössere Chancengleichheit spielen können. An welche Kinder denken Sie dabei besonders?
Katharina Wenziker-Welti: Es gibt viele Kinder, die nicht in den Hort gehen, wo sie Unterstützung bei der Integration und zumindest ein Minimum an Aufgabenhilfe erhalten würden. Sie bleiben zu Hause, weil ihre Familienstrukturen das erlauben. Vielfach hat in diesen Familien aber die Mutter selber wenig Bildung genossen oder spricht kaum Deutsch. Gerade im Fall von Familien aus dem Kosovo beobachte ich das oft. Wenn es um eine Erhöhung der Chancengleichheit mithilfe von Tagesschulen geht, denke ich vor allem an diese Kinder.

Gibt es denn in Ihrem Schulhaus viele solche Kinder?
Unsere Schule ist sehr durchmischt – die überwiegende Mehrheit der Kinder hat einen Migrationshintergrund. Das spiegelt sich auch in meiner Klasse. Wir haben zum Beispiel nur zwei Kinder, deren Eltern beide aus der Schweiz sind. Drei sind Flüchtlingskinder aus Syrien. Die andern kommen zum Beispiel aus Albanien, Kroatien, Tunesien, Eritrea, Portugal oder haben zumindest einen Elternteil, der aus Ägypten, Nigeria, Südamerika oder den USA stammt. Viele von ihnen leben schon lange in der Schweiz und sind via Schule grundsätzlich auch gut integriert.

Nun stehen ja gleich mehrere Tages- und Pionierschulen wie das Brühlberg in Winterthur in der Kritik: Lehrerinnen und Lehrer kündigen massenweise, Eltern protestieren bis vor Gericht, Schulleiterinnen werden entlassen … Was läuft da falsch?
Bei vielen dieser Schulen handelt es sich um einstige Pionierschulen, mit denen man extrem hohe Erwartungen verbunden hat. Viele Eltern wollten ihre Kinder ja unbedingt in ein solches Schulhaus schicken. Und sie verbanden damit entsprechende Vorstellungen und auch Ansprüche. Bei uns im Schulhaus Aemtler A in Zürich ist der Anspruch der Eltern nicht so hoch. Mein Eindruck ist, dass die Eltern alles, was wir als klassisches Volksschul-Schulhaus bieten können, grundsätzlich positiv aufnehmen. Auch wenn ich mir manchmal wünschte, sie würden sich noch etwas interessierter zeigen. Aber ich empfinde die Zusammenarbeit mit den Eltern als mehrheitlich konstruktiv.

Im Fokus der Kritik stehen ja auch weniger die Lehrkräfte als die Schulleiterinnen und Schulleiter. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Über Einzelpersonen möchte ich mich nicht äussern, aber grundsätzlich fand ich die Einführung der Schulleitungen um die Jahrtausendwende gut. Denn es ging darum, den einzelnen Schulen mehr Autonomie zu verleihen. Vorher waren die Wege lang und kompliziert. Wurde ich zum Beispiel krank, musste ich im Büro der Kreisschulpflege anrufen und sie bitten, für mich eine Vikarin zu organisieren. Heute haben wir zwei, drei «Hausvikarinnen», die unser Schulhaus kennen und die der Schulleiter jederzeit anrufen und fragen kann, ob sie Zeit haben einzuspringen. Vieles ist mit der Einführung der Schulleitung also näher und einfacher geworden. Auch die Unterstützung: Wenn ein Schüler austickt, kann ich einfach kurz zum Schulleiter rüber und seine Hilfe anfordern. Und schwierige Elterngespräche lasten ebenfalls nicht länger allein auf unseren Schultern.

Da gibt es also gar kein Konfliktpotenzial? Immerhin haben Sie ja als Lehrerin ganz plötzlich einen Chef vor die Nase gesetzt bekommen …
Kein Zweifel, eine Hierarchisierung hat stattgefunden. Ursprünglich hatte die Schulleitung nur wenig Kompetenzen. Mittlerweile dürfen Schulleiterinnen sogar Lehrer einstellen und Mitarbeiterbeurteilungen durchführen – bald schon ganz ohne die Oberaufsicht der Kreisschulpflege. Mit den neuen Chefs hat also durchaus ein Kulturwandel im Schulhaus Einzug gehalten, der bis heute spürbar ist. Wir Lehrerinnen und Lehrer sind ja grundsätzlich ein basisdemokratisches Volk. Der Übergang war nicht für alle gleich geschmeidig. Wir im Aemtler A hatten da Glück: Zwei Lehrerinnen hatten Lust, die Schulleitung gemeinsam zu übernehmen – so wuchs die Neuerung quasi harmonisch aus uns heraus. Sie wurden zwar formal zu unseren Chefinnen, blieben aber gleichzeitig Kolleginnen. Persönlich muss ich trotzdem sagen: Den Job einer Schulleiterin würde ich nicht wollen.

Warum nicht?
Als Schulleiter ist man total im Sandwich zwischen den Lehrkräften, der Aufsichtskommission, der Präsidentin der Kreisschulpflege und weiteren städtischen und kantonalen Behörden. Von oben kommen die Auflagen für die Schulentwicklung, von unten gleichzeitig die Forderungen: Der persönliche Stundenplan muss angenehm sein, Gespräche mit schwierigen Eltern soll die Schulleitung führen. Man ist also vor allem mit schwierigen Angelegenheiten und organisatorischen und administrativen Aufgaben konfrontiert. Der verbleibende Gestaltungsfreiraum ist da, nach meiner Einschätzung, bescheiden. Auf der andern Seite kann eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit einem kreativen Team auch beflügeln.

Katharina Wenziker-Welti (47) arbeitet seit 1997 – von einem weiterbildungsbedingten Unterbruch abgesehen – im Schulhaus Aemtler A im Zürcher Stadtkreis Wiedikon.