Streit ums Bündner Kunstmuseum: Univers Chantunal

Nr. 25 –

In Chur degradiert der SP-Regierungsrat den Direktor des Kunstmuseums. Dann sistiert er den Entscheid.

«Graubünden ist stolz auf sein Kunstmuseum», schrieb SP-Regierungsrat Martin Jäger, als im letzten Sommer der Erweiterungsbau eröffnet wurde. «Diesen Schatz wollen wir pflegen und ausbauen, damit auch künftige Generationen ihre Geschichte hier finden.» Ein wunderbares Instrument hätten ihnen die Architekten in die Hand gegeben, meinte Direktor Stephan Kunz in der Baudokumentation. «Jetzt sind wir gefordert, es gut zu nutzen und zum Klingen zu bringen.» Nur ein knappes Jahr später ist die Harmonie gründlich gestört: In einem dürren Communiqué liess Jäger letzte Woche mitteilen, dass er Kunz vom Direktor zum «Hauptkurator» degradiere. Die bisherige Registrarin beförderte er zur Direktorin ad interim. In der Bündner Kulturszene brach ein Sturm der Entrüstung los.

Spott vom Bildhauer

In LeserInnenbriefen wurde die einhellige Meinung vertreten, Kunz habe hervorragende Arbeit geleistet. Die Zurückstufung sei drastisch, meinte der Berufsverband der bildenden KünstlerInnen Visarte: «Wird hier ein Direktor Bauernopfer struktureller Mängel?» Der renommierte Bildhauer Not Vital spottete, seine geplante Ausstellung im Kunstmuseum mit dem Titel «Univers Privat» müsse er nun wohl in «Univers Chantunal», also kantonales Universum, umtaufen. Was nur war vorgefallen, dass Kunz in der Kantonalpolitik in Ungnade gefallen war?

Auf Anfrage hielt sich Regierungsrat Jäger am Montag bedeckt: Es habe «gerumpelt in den Abläufen zwischen dem Amt für Kultur und dem Kunstmuseum». Eine MitarbeiterInnenbefragung sei anberaumt, ein neues Organigramm erstellt worden. Nachdem am Dienstag eine Onlinepetition lanciert worden war und der Liedermacher Linard Bardill zu einer Protestkundgebung am Mittwochabend aufgerufen hatte, wurde der Druck auf Jäger zu gross: In einer weiteren knappen Mitteilung verkündete er, die Reorganisation zu sistieren.

Der Erweiterungsbau des Kunstmuseums war durch eine Schenkung möglich geworden. Zwanzig Millionen Franken spendete der Zürcher Mäzen Henry Bodmer (Abegg-Holding), der Kanton steuerte weitere acht Millionen bei. Die Ausstellungsfläche verdreifachte sich. Wohl wurden auch die Personalkosten erhöht: gemäss der Botschaft von 2012 um mehr als eine halbe Million. Dass dies kaum ausreicht, zeigt ein Blick in die Rechnung von 2016: Statt der budgetierten 18 000 BesucherInnen kamen mehr als doppelt so viele. Auch die Zahl der Führungen und Veranstaltungen stieg deutlich. Offenbar wurde das Museum vom eigenen Erfolg überrannt.

Dass die Betriebskosten prekär finanziert sind, wurde auch in der Diskussion über das Kulturförderungsgesetz Anfang dieses Jahres deutlich: Ein Antrag, die Wechselausstellungen der Museen nicht länger einzeln über den Lotteriefonds und Drittmittel, sondern über feste kantonale Beiträge zu finanzieren, scheiterte. «Dies hätte dem Kunstmuseum Planungssicherheit und Verlässlichkeit gebracht», meint SP-Kulturpolitikerin Sandra Locher Benguerel rückblickend.

«Systemisches Problem»

Dass ein Regierungsrat direkt auf einen Museumsdirektor Einfluss nehmen kann, scheint zu den negativen Eigenheiten des «Univers Chantunal» Graubündens zu gehören. Ebenso ein Kulturamt, das schon in der Vergangenheit mit fragwürdigen Personalentscheiden auffiel. Für aussenstehende Beobachter wie Roland Wäspe, Direktor des St. Galler Kunstmuseums, ist die finanzielle Situation des Bündner Kunstmuseums kein Einzelfall: «In repräsentative Bauten wird gerne investiert, doch die Mittel der Politik für Sammlungsausbau, Ausstellungen, Vermittlung und Personal halten damit selten Schritt.»

Die Kundgebung in Chur am Mittwochabend sollte trotz der Kehrtwende des Regierungsrats stattfinden: Dabei sollte gemäss Ankündigung die Wiedereinsetzung des Direktors gefeiert und die Forderung erhoben werden, das Amt für Kultur zu durchleuchten.