Kommentar zur Weltwirtschaft: Die Zauberlehrlinge

Nr. 34 –

Sie haben neues Geld produziert und die Zinsen gesenkt – jetzt sind ihre Waffen stumpf. Den ZentralbankerInnen der Welt bleibt nur die Hoffnung.

Sie tun so, als ob sie alles im Griff hätten. Das ist ihr Geschäft. Wenn sich die ChefInnen der Zentralbanken der Welt am Wochenende im US-amerikanischen Jackson Hole treffen, dann wissen sie, dass selbstsicheres Auftreten ein Muss ist. Ein Hüsteln an der falschen Stelle in der Rede kann einen Kurssturz an den Börsen verursachen.

Schon seit Wochen wird darüber spekuliert, ob vielleicht eine Neuigkeit aus dem Mund von Janet Yellen (Chefin der US-Notenbank) oder gar von Mario Draghi (Europäische Zentralbank) zu hören sein wird. Was passiert mit den Zinsen? Und vor allem: Wann wird Europa aufhören, Geld zu drucken? Dabei weiss eigentlich niemand so recht, was mit der Weltwirtschaft derzeit gerade läuft. Sicher ist: Wir befinden uns in einem gigantischen Experiment mit unsicherem Ausgang. Die Situation ist beispiellos, historische Parallelen lassen sich keine finden.

Seit der grossen Finanzkrise, die vor rund zehn Jahren mit dem Platzen einer Spekulationsblase im US-Immobilienmarkt begann und sich zuerst langsam und dann immer schneller auf fast die ganze Weltwirtschaft ausbreitete, sind die grossen Zentralbanken daran, diese Krise zu bekämpfen. Sie haben die Grossbanken gerettet, indem sie ihnen ihre faulen Kredite abkauften, sie haben die Leitzinsen bis fast zum Nullpunkt gesenkt, damit sich die Banken fast gratis mit neuem Geld eindecken konnten – und sie haben im ganz grossen Stil neues Geld produziert. Damit haben sie Staatsanleihen und Aktien gekauft. Die Notenbanken der USA, der Europäischen Union, Britanniens, Japans, Schwedens und der Schweiz besitzen nun Anlagen im Wert von 16 Billionen US-Dollar (16 000 000 000 000): viermal mehr als vor der Krise, wie die «Financial Times» ermittelt hat.

Doch irgendwie hat alles nicht so funktioniert, wie es sollte. Die ökonomischen Modelle versagen. Die Wirtschaft wächst zwar, die Arbeitslosigkeit sinkt, und die Gewinne der Unternehmen steigen. Doch die Löhne ziehen nicht mit. Und die Inflationsrate verharrt hartnäckig unter dem anvisierten Ziel von zwei Prozent. Der Traum vom Perpetuum mobile, von einer Wirtschaft, die wächst und wächst und von der auch noch alle profitieren, funktioniert nicht. Das viele Neugeld, das die Nationalbanken in Umlauf brachten, hat sich nicht auf alle verteilt, sondern die sowieso schon Reichen noch reicher gemacht. Das Geld floss in die Aktienspekulation, was die Börsenkurse explodieren liess. Oder in den Kauf von Häusern – teils auch auf Pump –, was die Immobilienpreise pushte.

Denn die Zinsen sind ja tief. Und sie bleiben wohl langfristig im Keller. Eine Zinserhöhung in der Eurozone würde vielen Unternehmen und verschuldeten HausbesitzerInnen das Genick brechen. Das will niemand in der EU. Eine Zinserhöhung in der Schweiz würde den Franken sofort massiv stärken. Das wollen weder die Gewerkschaften noch Hoteliers und ExportunternehmerInnen. So bleiben Thomas Jordan, dem Chef der Schweizerischen Nationalbank, die Hände gebunden. Doch eigentlich wissen alle: Lange kann das so nicht mehr gut gehen. Wenn sich Sparen nicht mehr lohnt, weil die Zinsen tief sind, herrscht bei den Pensionskassen Notstand. Sie erwirtschaften ihre nötigen Renditen nur noch aufgrund der Börsenspekulation. Doch was ist, wenn die Blase platzt? Wenn der Glaube aufhört, dass die hohen Kurse auch wirklich dem Wert eines Unternehmens entsprechen?

In einer nächsten Krise fehlt den Notenbanken das Mittel der Zinssenkung. Sie können höchstens noch mehr Geld drucken, eine noch grössere Spekulationsblase auslösen. Ihr Instrumentarium ist begrenzt. Yellen, Draghi und Jordan sind keine ZaubermeisterInnen. Der «freie Markt» lässt sich durch die Notenbanken nicht mehr bändigen. Es braucht politische Mittel: eine Umverteilung der Gelder von Reich zu Arm, die Begrenzung der Spekulation und kluge Investitionen in eine ökologische und solidarische Wirtschaft.