«Klang-Moor-Schopfe»: Neue Böden ins Moor ziehen

Nr. 35 –

In den leer stehenden Scheunen im Hochmoor von Gais treffen sich KlangkünstlerInnen zu einer einzigartigen Ausstellung. Ein Spaziergang im Voraus.

Wie es drinnen riecht, lässt sich erahnen, aber wie mag es dort tönen? Eine der von Patrick Kessler initiierten Klangscheunen. Foto: Jacques Erlanger

Patrick Kesslers Schlüsselbund ist in den letzten Wochen gewachsen. Um grosse und kleine Schlüssel, die ihm die Türen zu den Scheunen im Hochmoor von Gais öffnen. Windschief stehen die Hütten in der Landschaft – und moortief: Unter ihnen hat der weiche Boden nachgegeben, sie sind schräg eingesunken. Die Scheunen oder Schopfe, wie die Einheimischen sagen, dienten früher der Lagerung von Heu und als Ställe für das Vieh. Heute werden sie noch als Unterstand für landwirtschaftliche Maschinen genutzt. Wenn Kessler mit seinen Schlüsseln eine der knarrenden Türen öffnet, stellt sich ein überraschender Effekt ein: Das Sonnenlicht, das von aussen eindringt, lässt sie geräumig erscheinen, wie geschaffen für eine Ausstellung.

Der Musiker im schwarzen Hemd wird beim Spaziergang durch das Moor von den Bauern freundlich gegrüsst. «Niemals hätte ich die Ausstellung machen können», betont Kessler, «wenn ich nicht selbst in Gais wohnen würde.» Zum Vertrauen habe auch beigetragen, dass er früher auf der Alp gearbeitet habe und die Sprache der Bauern kenne. Als er ihnen von der Idee der Ausstellung erzählte, stellten sie ihm ihre Scheunen unkompliziert zur Verfügung. Manche renovierten sie sogar, zogen neue Böden ein.

Auch der Schützenverein öffnet sein Lokal, im Schiessstand werden Konzerte gegeben. Die Ausstellung «Klang-Moor-Schopfe», die von Donnerstag dieser Woche an zehn Tage dauert, soll nicht nur neue Ein- und Aussichten in die Moorlandschaft bringen. Vor allem soll das Moor klingen.

Die Hütte als Instrument

Kessler öffnet Schopf Nummer acht. Der Berner Künstler Zimoun hat im Heustock Kuhdraht gespannt. Von mechanischen Filzbällen beschlagen, tönen sie wie die Saiten eines Hackbretts, wobei als Resonanzraum die ganze Hütte vom Klang erfasst wird. Auch die aus Sibirien stammende Musikerin Olga Kokcharova war schon hier, sie lauschte einem Bryologen, einem Moosforscher, bei der Bestimmung von Pflanzen. Die aufgezeichneten Gesprächsfetzen wird sie in ihrer Installation mit weiteren Aufnahmen aus dem Moor mischen. Das Projekt «Living Instruments» züchtet in einer Scheune gleich selbst Moos und wird dieses bei einem Konzert als Instrument verwenden.

Zur Ausstellung kommen zahlreiche renommierte KlangkünstlerInnen. Während sich der Schlagzeuger Jason Kahn von der Tradition des Alpsegens inspirieren lassen will, verspricht Elektronikhacker Norbert Möslang «Aether Grooves». «Ich habe Leute eingeladen, mit denen mich eine persönliche Geschichte verbindet», erklärt Kessler die Auswahl der Gäste. Die Komponistin Svetlana Maras aus Belgrad etwa hat ihm einst eine Melodie geklaut, zur «Strafe» hat er sie nun nach Gais eingeladen.

Ein Künstler, den er nicht persönlich gekannt hat, obwohl er ganz aus der Nähe stammt, ist Roman Signer. Ein Anruf in dessen St. Galler Atelier genügte, und Signer kam im Moor vorbei. Als folgte er einem Radar, sei Signer übers Feld gelaufen. Schliesslich wählte er sich einen Schopf aus, der aussieht wie eine Kuckucksuhr. «Ein tiefer Ton» wird seine Installation heissen, mehr dazu will der Künstler noch nicht verraten.

Mit Blick nach Europa

Kessler wohnt als Kontrabassist auf der anderen Seite der Gleise der Appenzeller Bahn, die von hier ins Rheintal hinunterfährt. Von seinem Proberaum aus sieht er direkt ins Vorarlberger Montafon oder, wie er selber sagt, «nach Europa». Kessler, der als Musiker eine klassische Ausbildung absolvierte, hat sich immer schon für Musik aus nah und fern interessiert. Mit dem international besetzten Kollektiv Import/Export spann er Tapes mit Romamusik aus Belgrader Clubs weiter. Für sein Projekt «Die Kiste» wiederum presste er während eines Sommers Songs und Klänge aus der Appenzeller Nachbarschaft auf Vinylplatten. Um Exotismus oder Heimattümelei geht es in seinen Projekten nie, vielmehr um die Herstellung überraschender Bezüge und um die Entstehung neuer Klanglandschaften.

Dieser offene Geist zeigt sich auch im Rahmenprogramm zur Ausstellung. Mit dabei ist das Recherchenetzwerk Norient, das sich in seiner Arbeit mit hybriden Musikstilen zwischen dem Norden und dem Süden in der Popmusik beschäftigt. Norient wird sich während der Ausstellung im Pistolenschiessstand einquartieren und Diskussionsabende moderieren. Einer der Titel: «Swissness in der Musik, muss das wirklich sein?»

Der Bläss bellt

Dass er zu einer Ausstellung lade, begründet Kessler mit seinem Überdruss an konventionellen Konzertformen: «Immer dieser Frontalunterricht!» Statt der strikten Unterteilung in Bühne und Publikum interessiere es ihn immer stärker, klingende Räume zu gestalten, bei denen die Musik aus allen Ecken komme. Mitten im Sound müsse man sich auch als Musiker ganz anders verhalten.

Die Ausstellung will auf die sensible Natur Rücksicht nehmen und ist nur auf offiziellen Wegen begehbar. Wie sich das Gurgeln des Moors mit den Klängen der Eisenbahn vermischt und alle Scheunen und Schützenhäuschen zusammen tönen, lässt sich auf dem Spaziergang im Voraus schon gut erahnen. Höchstwahrscheinlich wird auch das Bellen eines Blässes zum Gesamtklang gehören. Allem bisherigen Verhandlungsgeschick zum Trotz: Einem Appenzeller Bauern zu erklären, er solle seinen Hund anbinden, ist auch für einen Nachbarn die wahre Meisterprüfung.

«Klang-Moor-Schopfe», in: Gais, Haltestelle Schachen. 1.–10. September 2017, 10–19 Uhr. Mehr Infos: www.klangmoorschopfe.ch.