Vertreibungen in Myanmar: Der extreme Preis eines Rohstoffbooms
Die Rohingya sind Opfer einer «ethnischen und religiösen Säuberung», wie die Uno nun bestätigt. Das stimmt. Doch die Gründe dafür liegen tiefer, als gemeinhin geglaubt wird – nämlich buchstäblich im Boden.
Myanmar kommt wegen des Umgangs mit der muslimischen Minderheit der Rohingya zunehmend unter Druck. Am Montag bezichtigte das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte den grössten Staat Südostasiens der «ethnischen und religiösen Säuberung», die besonders seit den Anschlägen einer obskuren militanten Gruppierung auf myanmarische Sicherheitskräfte Ende August ihren Lauf genommen habe. Und so verliert auch die Friedensnobelpreisträgerin und Menschenrechtsikone Aung San Suu Kyi, gelinde gesagt, rasant an Glanz: Nach der WOZ (siehe Nr. 35/2017 ) fragen sich nun auch die NobelpreiskollegInnen Suu Kyis wie der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu oder die pakistanische Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai öffentlich, warum die De-facto-Regierungschefin nichts tut, um die systematische Vertreibung der muslimischen Bevölkerung zu verhindern.
Dafür gibt es zwei Erklärungen. Die erste liegt in der Geschichte, die zweite in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.
Die Ideologie der Einheit
So ist die ethnisch-religiöse Dimension des Konflikts im Staatsverständnis Myanmars begründet, das durch den Kolonialismus geprägt wurde. «In Myanmar dreht sich alles um ein Konstrukt der Einheit, in deren Zentrum die myanmarischen Buddhisten stehen», sagt Chris Lewa in Bangkok. Die Direktorin von Arakan Project, einer Organisation, die in der Region forscht und die Rohingya unterstützt, gilt als eine der besten KennerInnen des Konflikts und der Situation in der Rakhine-Region (die früher Arakan hiess).
Ein solches Einheitsverständnis ist in einem Staat mit offiziell 135 ethnischen Minderheiten nicht einfach durchsetzbar. Und es beruht auf der kolonialen Politik, die einst Britannien im Land praktizierte. «Als die Region zu ihrem Kolonialreich gehörte, siedelten die Briten viele Muslime an, die sie als Feldarbeiter einsetzten», sagt Lewa. Es gab also, neben den Rohingya, die schon Jahrhunderte dort gelebt hatten, tatsächlich Muslime, die «von aussen» kamen. Was mit ein Grund ist, dass sich auch die buddhistischen Bevölkerungsteile in Rakhine an der Westküste des Landes schon lange an den Rand gedrängt fühlen. Die Zentralregierung nutzt das aus, indem sie die Rohingya nicht als StaatsbürgerInnen anerkennt und durch ein muslimfeindliches Narrativ verhindert, dass sich andere Minderheiten mit ihnen solidarisieren. «Das ist die Teile-und-herrsche-Taktik, die die myanmarischen Militärs von den Briten übernommen haben», meint Lewa.
Dass auch Suu Kyi die Einheitsideologie unterstützt und hinter der Armee steht, ist keine Überraschung. Schon im Wahlkampf vor zwei Jahren ignorierte sie die Situation der Rohingya und stellte keinen einzigen muslimischen Parlamentskandidaten auf.
Die zweite Ursache für den Konflikt ist eine ökonomische. «In Myanmar gibt es einen unglaublichen Rohstoffboom», sagt Mahi Ramakrishnan, eine investigative Journalistin und Dokumentarfilmerin, die in Kuala Lumpur lebt. «Schon während der Militärdiktatur ab 1988 baute die Armee vor allem in den ethnisch gespaltenen Gliedstaaten Edelsteine ab.» Betroffen sind neben Rakhine insbesondere Kachin im Norden und die bergige Shan-Region im Osten. «Heute, nach der politischen Öffnung des Landes, sind die Bevölkerungen in diesen Regionen vom rigorosen Abbau wertvoller Minerale wie Titan betroffen», sagt Ramakrishnan. «Schon als ich 2013 in Myanmar war, sah ich, wie Unternehmensvertreter aus dem Westen, aus Indien und China bei Behörden in der Hauptstadt Naypyidaw buchstäblich Schlange standen, um im Land investieren zu dürfen.»
Landraub ist die Folge. «Der Rohstoffabbau ist am einfachsten, wenn keine Menschen mehr da sind», sagt Ramakrishnan. In Rakhine sind auch myanmarische BuddhistInnen davon betroffen, besonders aber die isolierte Minderheit der Rohingya. «Es gibt eine lange Geschichte der ethnisch-religiösen Diskriminierung, aber die zunehmende Gewaltwelle ist auf jeden Fall auch eine Folge des Rohstoffbooms», so Ramakrishnan.
Die US-amerikanische Soziologin und Globalisierungsspezialistin Saskia Sassen schrieb Anfang des Jahres im «Guardian», dass schon die Militärdiktatur Kleinbauern ohne Kompensation enteignet habe. Doch in den vergangenen fünf Jahren habe die Besetzung enormer Landstriche für Entwicklungsprojekte in den Bereichen des Bergbaus, der Holz- und der Landwirtschaft stark zugenommen: allein zwischen 2010 und 2013 um 170 Prozent. Sowohl Sassen als auch Ramakrishnan sehen die Zunahme des Landraubs und der Gewalt als Folge einer Gesetzesänderung im Jahr 2012, durch die insbesondere der Rohstoffsektor für ausländische Investoren geöffnet worden ist. Laut Ramakrishnan wird der Druck auf die Bevölkerung in Rakhine noch zunehmen, etwa durch ein indisches Hafenprojekt oder eine geplante chinesische Gaspipeline.
Hunderttausende sind auf der Flucht
Nicht so sehr eine fehlgeleitete wirtschaftliche Entwicklung, sondern eine fehlende Entwicklungspolitik macht Chris Lewa von Arakan Project aus: «Rakhine, aber auch andere Bundesstaaten mit grossen Minderheiten werden von der Zentralregierung systematisch vernachlässigt. Es gibt noch immer kaum Elektrizität, und die Bauern müssen mit primitivsten Geräten arbeiten.»
So oder so, die Folgen sind grausam. Laut Uno sind allein in den letzten Wochen 370 000 Rohingya nach Bangladesch geflohen, Schätzungen gehen von 3000 Toten aus.