Aung San Suu Kyi: Der tiefe Fall der Menschenrechtsikone
Die Geschichte war schön. Offenbar zu schön, um wahr zu sein. Aung San Suu Kyi hatte jahrelang gegen die Militärherrschaft in Myanmar gekämpft, wurde zu einer Galionsfigur des Friedens, der Demokratie und der Menschenrechte – und kam vor eineinhalb Jahren in einer demokratischen Wahl tatsächlich an die Macht.
Seither warten verschiedenste Minderheiten im südostasiatischen Vielvölkerstaat darauf, dass die Unterdrückung nachlässt. Suu Kyi konnte sich bisweilen damit rechtfertigen, dass sie dafür aufgrund politischer Sachzwänge mehr Zeit brauche. Die Erwartungen an Suu Kyi, die gern auch mit Ikonen wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Nelson Mandela verglichen wird, waren sicherlich überhöht. Aber spätestens jetzt ist klar: Die Regierung unter der Friedensnobelpreisträgerin behindert aktiv Bestrebungen, die Situation im Konfliktgebiet der muslimischen Minderheit zu entschärfen.
Im westlichen Gliedstaat Rakhine bekämpfen sich seit Jahren staatliche Sicherheitskräfte und militante Gruppierungen, die sich aus der muslimischen Minderheit der Rohingya rekrutieren. In der Folge sind bisher über 1000 ZivilistInnen gestorben und rund 320 000 vertrieben worden. In den vergangenen Tagen ist dieser Konflikt eskaliert; dabei starben mindestens 12 Soldaten und 92 Militante. Dass Suu Kyi ausschliesslich die Taten der Militanten verurteilte, kann als Zugeständnis an die nach wie vor starken Militärs gesehen werden.
Neu ist aber, dass sie auch die internationalen Hilfsorganisationen beschuldigt: Diese – also auch die Uno – würden «Terroristen helfen». Dabei sind sie die Einzigen, die sich um die Vertriebenen in den verkommenen Flüchtlingslagern in Myanmar und im benachbarten Bangladesch kümmern. Die Regierung verbot etwa einem Uno-Team, in die Krisenregion zu reisen. Das könnte eine Reaktion auf einen Uno-Bericht vom Februar sein, der zum Schluss kam, dass die Regierungspolitik gegenüber den Rohingya «sehr wahrscheinlich» die Tatbestände des Verbrechens gegen die Menschlichkeit sowie der ethnischen Säuberung erfülle.
Die Uno bestätigte damit Augenzeugenberichte von Flüchtlingen, laut denen das Militär in Dörfer einfalle, BewohnerInnen töte, Kinder ins Feuer werfe und systematisch Frauen vergewaltige. Suu Kyi kommentierte solche Vorwürfe per Facebook auch schon mal als «fake rape». So ist es auch kein Wunder, dass die militanten Gruppierungen als Beschützer vor der grausamen Staatsgewalt willkommen sind.
Suu Kyi verweigert einem Teil der Bevölkerung die grundlegendsten Rechte. Eigentlich ist das keine Überraschung, da sie bereits im Wahlkampf vor zwei Jahren die Situation der Rohingya ignoriert und keinen einzigen muslimischen Parlamentskandidaten aufgestellt hatte. Trotzdem irritiert sie mit ihrer Gewissenlosigkeit – ausgerechnet sie, die während ihres langjährigen Hausarrests unter dem Militärregime selbst auf die Solidarität internationaler Organisationen angewiesen war.