Wichtig zu wissen: Vollweichgummi

Nr. 37 –

Ruedi Widmer zeigt sich selber an

Ich gehöre zusammen mit einigen Kollegen zur erklärten Gegnerschaft der Sharing-Velo-Firma O-Bike aus Singapur. Ich bin überhaupt nicht stolz darauf, und deshalb schreibe ich das auch auf, um mich selbst anzuzeigen. Ich ertappte mich in letzter Zeit bei latent asienfeindlichen beziehungsweise lokalpatriotischen Sprüchen («Mao-Velos» beziehungsweise «Winterthur!»). Meine Ablehnung ist grundsätzlich antiglobalistischer Natur, aber sie ist mit zahlreichen peinlichen wutbürgerlichen Ornamenten geschmückt. Ich stelle bei mir eine kindische Trotzhaltung fest, wenn auf Facebook jemand das Velo-Sharing-Modell unabhängig seiner Herkunft und der Qualität der zur Verfügung stehenden Fahrräder grundsätzlich positiv findet. Ich schliesse die Ohren, wenn man das private Fahrrad infrage stellt, und ich habe plötzlich das Gefühl, mit O-Bikes zugestellte Trottoirs schlimmer zu finden als mit Autos zugestellte.

O-Bike ist ein Eindringling in meine wohltemperierte linksgrüne, in einigen ordnungspolitischen Fragen durchaus bürgerliche Welt in Winterthur. Ich habe vorhin das erste O-Bike-Plastik-Vollgummireifenvelo gesehen. Ich habe aber bereits Angst vor den angekündigten Massen dieser gelben Gefährte, die die schon heute zugestellten Fahrradständer beim Bahnhof weiter belasten werden. Die Rede ist von 400 weiteren.

Dieses erste O-Bike: Das ist meine persönliche Burkasichtung. Ich mache das genaue Gegenteil dessen, was ich stets propagiere. Ich bin überhaupt nicht tolerant. Ich spüre einen bicyclischen Dichtestress. Ich habe bereits Angst, bald keinen Platz mehr zu haben, mein Velo (Price, Swiss made) beim Bahnhof abzustellen. Beim Berühren dieses ersten, nach Kunststoff riechenden O-Bikes kamen mir Fisher Price und McDonald’s in den Sinn, Ronald McDonald und natürlich Donald Trump, obwohl der für einmal unschuldig ist. Ablehnung. Wut. Verengung. Hass. Lust, kreischend in den noch unbenutzten Gummilenkergriff zu beissen. Doch ich trat den notwendigen zivilisatorischen Schritt zurück.

Selbstverständlich machen wir im Kollegenkreis Witze über unsere teils lachhafte Ablehnung der gelben Velos. Auf Facebook (dem supersozialen) schrieb ich ernsthaft, da sei eine kapitalistische Datenkrake am Werk, und in meinen Computer von Apple (dem supersozialen) diktierte ich, diese Velos würden die Vielfalt der Velokultur in Winterthur zerstören, den lokalen Velohändlern das Geschäft vermiesen, überhaupt ganz Winterthur gleichschalten (jedeR WinterthurerIn hat mindestens drei Velos, ein eigenes, ein gestohlenes und ein verlorenes) und, ähnlich wie «20 Minuten» in der Presselandschaft, ein «Downsizing» in der Velolandschaft verursachen, das einzig O-Bike nütze.

Den Behörden warf ich Schlendrian vor, weil ihr eigener Velo-Sharing-Versuch vor wenigen Jahren viel zu verhalten war und sie jetzt dem in die Bresche gesprungenen finanzkräftigen asiatischen Anbieter trotz ihrer Faust im Sack aus der Hand fressen, indem sie von ihm keine Gebühren für die Benutzung des öffentlichen Raums verlangen. Des Weiteren äusserte ich die Vermutung, mit O-Bike komme die Förderung des Velos und überhaupt des öffentlichen Lokalverkehrs vonseiten der SVP und FDP schnell unter die Räder, denn es gebe ja jetzt «attraktive private Anbieter».

Das ist Wutbürgertum, wenn man ausländische Firmen statt unsere eigene schweizerische Bequemlichkeit, Mutlosigkeit und Inkonsequenz für die Änderung des Weltenlaufs verantwortlich macht. Ich heisse mich selber willkommen in der PWGVVW (Patriotische Winterthurer gegen die Veloverstellung von Winterthur) und treffe mich wohl bald selber an Ansammlungen trillerpfeifender BürgerInnen, die eine linksgrüne Welt zurückhaben wollen, die es gar noch nie gegeben hat.

Doch Marktwirtschaft bedeutet auch, dass der Stärkere gewinnt. Und das werden die links-grünen Winterthurer VelofahrerInnen sein (alle mit Luftpneuvelos!).

Ruedi Widmer ist lokaler Velolenker in Winterthur.