Kein Indierock: «Meine Verbündeten sitzen in Betonlöchern»
EMA gehört zu den lautesten politischen Stimmen im US-Pop. Auf Zwischenhalt in der Schweiz spricht sie über ihren Kampf um künstlerische Freiheit, tiefgründige Erfahrungen in der Vorstadt und das langweiligste Auto der Welt.

Erika M. Anderson sitzt an einem der Festtische vor der Roten Fabrik in Zürich, ist eigentlich aber noch an einem ganz anderen Ort. Ob wir die Bilder von Elvis Presley nach seinen letzten Konzerten gesehen hätten – schlimm! Vor einer halben Stunde hat die 35-jährige Anderson als EMA auf der Bühne des Clubraums einen explosiven Auftritt ausklingen lassen, der Vergleich mit dem serbelnden Elvis klingt wie ein Witz.
WOZ: Mit dem Song «33 Nihilistic and Female» haben Sie sich als Nihilistin geoutet, doch Ihre Musik klingt sehr hoffnungsvoll. Wie passt das zusammen?
EMA: Wunderbar, wenn es nach Hoffnung klingt! Es hat schon viel Wut und Nihilismus in meinen Songs, aber das ist ja alles kathartisch. Wenn ich «I Wanna Destroy» singe, macht mich das glücklich. Meine Musik soll ein Triumph sein. Sehen Sie, in den USA sitzt die Ansicht sehr tief, dass man so viel wert ist, wie man verdient. Schöne Dinge, Geld oder eine saubere Wohnung waren mir dagegen immer egal. Früher habe ich vor allem in besetzten Häusern gespielt, wo die Leute ein paar Geräte auf einen Tisch gestellt und damit Noise gemacht haben. Abgesehen vom Leben in ihrer Subkultur war diesen Leuten alles scheissegal. Davon bin ich noch immer geprägt: Mein Haus ist das totale Chaos, unsere Couch haben wir auf der Strasse gefunden.
Aber sich um etwas zu sorgen, obwohl man kein Geld damit verdient, ist doch das pure Gegenteil von Nihilismus: ein Bekenntnis.
Sie haben recht. Früher dachte ich, dass es nihilistisch ist, mich nur um die Musik zu kümmern. Aber jetzt denke ich, das ist eher Ästhetizismus. In den USA ist es nicht leicht, eine Ästhetin zu sein, weil ich das Gefühl habe, die Kunst zählt noch viel weniger als in Europa, wo sie subventioniert wird. Man kriegt zu spüren, dass man seine Zeit verschwendet, wenn man macht, was ich mache.
Hat das auch schon jemand zu Ihnen gesagt?
Es ist eher eine Stimmung, aber meine Eltern haben schon auch solche Dinge zu mir gesagt. Seit ich bei David Letterman aufgetreten bin und der «Rolling Stone» über mich geschrieben hat, fällt es ihnen leichter, stolz auf mich zu sein.
Wie war das für Sie, plötzlich so viel Aufmerksamkeit zu erhalten?
Vor meiner Solokarriere habe ich in der pessimistischen Noiseband Gowns gespielt. Die war sehr ehrlich, aber auch sehr instabil. Wir wussten nie, ob eine Show klappen oder alles auseinanderbrechen würde. «Past Life Martyred Saints», mein erstes Soloalbum, kam sehr gut an und hat mir plötzlich viele Möglichkeiten eröffnet. Der Erfolg aber hat mich nicht glücklich, sondern fast verrückt gemacht, darum habe ich mit dem nächsten Album, «The Future’s Void», auch kaum getourt.
Sie fühlen sich nicht glücklich, aber sicher?
Ich weiss nicht. Neben den Gowns musste ich in Oakland damals noch als Aushilfslehrerin arbeiten – ich als kleines blondes Mädchen vor einer Klasse von afroamerikanischen Kids aus einer nicht besonders schönen Gegend. Klar, jetzt verdiene ich mehr Geld, aber um meine künstlerische Freiheit muss ich trotzdem kämpfen. Mein US-Label Matador teilte mir in letzter Sekunde mit, dass es mein neues Album nicht herausbringen wolle.
Jetzt wird es als eines der relevanten politischen Alben des Jahres gefeiert.
Witzig ist ja, dass es die Single «Aryan Nation» beinahe nicht aufs Album geschafft hätte. In den USA hat man mir von diesem Titel abgeraten, weil er falsch verstanden werden könnte. Man fürchtet sich noch immer davor, über Rechtsextremismus zu diskutieren. Das Berliner Label City Slang, das das Album schlussendlich herausbrachte, wollte den Song unbedingt draufhaben, weil er plötzlich so relevant wirkt. Dabei habe ich ihn schon vor drei Jahren geschrieben.
Stört es Sie, dass politische Musik aus den USA oft reflexartig als Anti-Trump-Musik behandelt wird?
Das ist mir egal. Ich habe «Exile in the Outer Ring» geschrieben, bevor Trump Präsident wurde, und es ist unabhängig von ihm relevant. Donald Trump ist sowieso schon ein riesiger Narzisst, der denkt, dass sich alles um ihn dreht, also muss dieses Album nicht auch noch um ihn gehen – scheiss auf ihn!
Erlebten Sie unterschwelligen Rassismus, bevor er mit Trump an die Öffentlichkeit befördert wurde?
Gewisse Kids, mit denen ich aufgewachsen bin, haben andauernd rassistische Dinge gesagt, nur um anstössig zu sein. Für sie war das völlig abstrakt, es lebten ja nur Weisse in South Dakota, wo ich herkomme. In der Primarschule hat ein Junge aus meiner Klasse einmal ein Hakenkreuz ins Pult geritzt. Er hatte keine Ahnung, was dieses Symbol bedeutet, er wusste nur, dass die Lehrerin ausflippen wird. Mit der Alt-Right wurde diese Art der Provokation zu einer riesigen Bewegung im Internet – jetzt marschieren sie in den Strassen.
Wie wurde die Musik zu Ihrer eigenen Rebellion?
Wo ich aufgewachsen bin, gab es schlicht und einfach keine Kunst – ausser Punkrock. Meine eigene Rebellion besteht darin, dass ich Orte an den äusseren Rändern von Städten aufwerte und Geschichten über sie erzähle. Stadtzentren waren einst billig und divers, heute kann es sich fast niemand mehr leisten, dort zu wohnen. Mit den Orten, an die die Leute gedrängt werden, befasst sich «Exile in the Outer Ring».
Leben Sie selbst in diesem äusseren Ring?
In South Dakota ist es überall so: Es gibt viel Langeweile und überall austauschbare Ladenketten statt dem süssen, alternativen Kapitalismus in den Zentren. Doch die Freaks an diesen Orten sind oftmals kreativer als die sogenannten Kreativen, die im Stadtzentrum in einem hübschen Café mit schräger Kunst an den Wänden sitzen. Ich habe auch in einem Aussenquartier von Los Angeles gewohnt und eben in Oakland statt in San Francisco. Für Leute wie mich liegt dort die Zukunft.
Wieso?
Ich mag die Idee, dass an diesen Orten, die oftmals als wertlos angesehen werden, unglaubliche Geschichten geschehen. Die einen machen tiefgründige Erfahrungen auf seltsamen Drogen auf einem Ikea-Parkplatz, andere spielen in einem Keller «Dungeons and Dragons». Meist sind die Städte an den Rändern viel diverser. Zudem sind die Wohnungen bezahlbar. Wer nach Amerika zieht, wird eher in den Vororten landen als in Manhattan.
Was bringt Sie dazu, diese Geschichten zu erzählen?
Wenn ich nach New York gehe und eine dieser netten, aber völlig überteuerten Boutiquen sehe, passiert es mir, dass ich wütend werde. Dann spüre ich, dass der Mittlere Westen aus mir spricht – da sind auch Ressentiments im Spiel. Ich habe also durchaus Empathie für die Wut auf die liberale Elite an den Küsten, eine Wut, die Trump an die Macht gebracht hat. Mit meiner Musik will ich zeigen, dass diese Wut nicht zu Trump, Rassismus und Frauenfeindlichkeit führen muss. Denn eigentlich geht es bei all diesen Dingen doch vor allem um Ökonomie.
Die Band Arcade Fire hat mit dem Album «The Suburbs» ein detailliertes Bild der sich verändernden Vorstädte gezeichnet. Gibt es Parallelen?
«Exile in the Outer Ring» ist auf jeden Fall düsterer. Bands wie Arcade Fire habe ich auch nie viel gehört, dafür jahrelang fast nur die verschrobene Musik meiner Freunde. Darum ist mir viel Popkultur entgangen. Ich fühle mich immer noch mehr verbunden mit seltsamer elektronischer Musik oder Ambient. Ich verstehe auch nicht, wieso meine Musik als Indierock bezeichnet wird, ich fühle mich mit dieser Szene nicht verbunden. Eher mit Leuten, die in Betonlöchern sitzen und auf Synthesizern spielen, die sie selber gebastelt haben.
Was haben Sie als Teenager gehört?
L7, Bikini Kill, Hole, PJ Harvey, Tori Amos. Ich kenne aber auch alle Lyrics von «Appetite for Destruction» von Guns n’ Roses auswendig.
Was ist Ihre liebste Zeile Ihres neuen Albums?
Im Stück «Breathalyzer» singe ich «I’m in the backseat of the Camry». Der Camry ist ein Automodell von Toyota. Es ist das langweiligste Auto, das man sich vorstellen kann. Ich glaube nicht, dass es je zuvor in einem Song erwähnt wurde.