Tough Guys: Hüftkranke Cowboys und traurige Biker

Nr. 44 –

Wie Männergruppen funktionieren und warum Identitätspolitik ein rotes Tuch sein kann: Das zeigte die Konferenz «Extreme Masculinities» in Wien.

Ein überdimensionaler Cowboy als Werbefigur: Hinter verzerrten Männerbildern gären Ratlosigkeit und Gewalt. Foto: Blaine Harrington III, Alamy

Nachrichten aus den Randzonen der Gesellschaft – dies durfte man auf der Tagung mit dem Titel «Extreme Masculinities» erwarten, die Anfang Oktober an der Universität Wien stattfand. Die Organisatorin, die Sozialanthropologin Tereza Kuldova, hatte zu Beginn dieses Jahres das Netzwerk Extreme Anthropology gegründet, um – mit zugehörigem wissenschaftlichem Journal – sozialanthropologische Forschung zu versammeln, die sich mit Extremen beschäftigt. «Extrem» kann dabei die Heftigkeit der untersuchten Phänomene bezeichnen, aber auch ihre Randständigkeit. Dass das Wort «extrem» auch ein gutes Verkaufslabel ist, wird Kuldova wohl mitbedacht haben.

An der Tagung ging es um Männer, die in Gefängnissen sitzen oder sich in Bikerklubs organisieren, die Luxusbordelle betreiben oder als Angehörige der ethnischen Gruppe der Bugkalot auf den Philippinen eingefleischte Kopfjäger sind. Ein gewisser Voyeurismus war natürlich dabei, denn die extremen Männerwelten sind geschlossene, homogene Kulturen, die umso dichter erscheinen, je grösser der Knacks im Inneren ist.

Schizophrener Widerspruch

In einem historischen Abriss beschrieb etwa Richard Wilk, emeritierter Professor für Anthropologie der Indiana University, rein männlich zusammengesetzte Arbeitseinheiten des 19. Jahrhunderts, Hochseefischer, Waldarbeiter, Cowboys, die über explizite Maskulinitätsregeln zu einer billigen, hart arbeitenden, sich selbst regulierenden mobilen «workforce» wurden.

Dabei war der «tough guy» in der Realität eher deplorabel. Körper und Psyche extrem mitgenommen von der gefährlichen Arbeit, malträtierte er sich in der Freizeit noch durch selbstschädigendes Verhalten wie exzessiven Alkoholkonsum weiter. Die von Wilk beschriebenen Arbeitsgangs funktionierten über interne Kodizes wie Stoizismus, Resistenz, Solidarität, im Grunde aber waren ihre Mitglieder Outlaws. Niemand traute den als gefährlich geltenden Seemännern; Cowboys, die überdies vom ewigen Sitzen im Sattel oft solche Hüftverformungen erlitten, dass sie nicht mehr aufrecht gehen konnten, waren die Niedrigsten der Niedrigen und stanken wie die Pest. Mann mochte sich die gesellschaftliche Marginalisierung als Freiheit und Ungebundenheit schönreden, dass aber die bürgerliche Mode irgendwann Kinder in putzige Matrosenanzüge steckte und der spätere Präsident Theodore Roosevelt als junger Mann im Cowboylook posierte, erscheint doch wie eine üble Komödie.

Eigenartigerweise lässt sich sehr gut beschreiben, wie homogene Männergruppen Zusammenhalt über Zeichensysteme, Initiationsriten, gemeinsame Werte herstellen. Aber warum das funktioniert und ob es mit Frauengruppen genauso funktionieren würde, ist eine offene Frage, die kaum gestellt und erst recht nicht beantwortet wird. Wilk vermutete, dass es für Frauengruppen – etwa Prostituierte, die ja unter ähnlichen, den Körper ausbeutenden Bedingungen arbeiten wie die «labour gangs» – bislang keine vergleichbaren Muster der Heroisierung gebe. Aber erklärt das schon alles?

Der eigentlich schizophrene Widerspruch zwischen Heroismus und gesellschaftlicher Marginalisierung, zwischen muskelbepacktem Stolz und Verletztheit scheint jedenfalls wie ein optimaler Kitt für Männergangs zu wirken, und diese Ambivalenz nährt untergründig auch eine Opfer- und Gewaltfantasie: «Du willst doch sowieso nur einen Haufen von Verlierern aus uns machen», hörte Stig Grundvall von der Göteborger Universität als Einwand von schwedischen Bikerklubs, über die er forschen wollte. Die liebevoll gepflegten und immer weiter bebastelten Motorräder sind Symbole für Kraft, Eleganz, Gewicht und Freiheit – sie stehen also für das individualistische «go away», während die Klubabzeichen, die fast «heiligen» Status haben, strengen Zusammenhalt markieren. Das Motto «live to ride and ride to live» ist dabei immer auch ein Kokettieren mit dem Tod. Eines der kunstvollen Bikertattoos, die Grundvall zur Bebilderung seines Vortrags anführte, zeigte ein grinsendes Skelett auf einer Harley-Davidson.

Der eigentliche Feind: Das Kapital

Maskulinität ist ein grosses therapeutisches Narrativ. Interessant in dieser Hinsicht ist auch die Forschungsarbeit zu Flüchtlingen an der afrikanisch-europäischen Grenze, die Marco Pallio, Doktorand an der London School of Economics, vorstellte. Während männliche Asylsuchende dem Aussenblick als verfolgte Opfer – also «feminisiert» – erscheinen und auch so auftreten müssen, ist die Eigenwahrnehmung von ganz anderen Mustern geprägt. Pallios Interviewpartner beschrieben ihre Flucht, vor allem die Passage durch die Libysche Wüste, als eine Initiation, die sie erst zu Männern gemacht habe. Sie sahen sich als Soldaten, die durch die Hölle gingen: «Wenn du hier stirbst, bist du ein Held.» Frauen werden vergewaltigt, Männer müssen durchhalten: Pallio zufolge ist die Flucht ein zutiefst durch Gender geprägtes Unterfangen, und es wird auch als solches wahrgenommen und verarbeitet.

Auf Veranstaltungen wie derjenigen in Wien wird Maskulinität zwar problematisiert, man hütet sich aber tunlichst, sie als Problem zu sehen und moralische Wertungen vorzunehmen. Uneins war man sich daher auch über den Begriff der toxischen Maskulinität, der immerhin die zerstörerischen Auswirkungen bestimmter Demonstrationen von Männlichkeit klar benennt. Es sei kein sinnvolles Konzept, meinte Steve Hall, emeritierter Professor für Kriminologie an der englischen Universität Teesside, und zitierte eine Grundregel ethnografischer Forschung: «Bewerte niemals eine Kultur nach ihren extremen Ausprägungen.»

Hall war auch einer der Wortführenden bei einer anderen Kontroverse: Immer wieder flammten an verschiedensten Stellen der Diskussion Polemiken gegen «Identitätspolitik» auf, also eine Politik, die sich vor allem für Inklusion und Minderheitenrechte starkmacht. In seinem Vortrag «No Future for Old Men» erzählte Hall die Geschichte vom gegenwärtigen «pseudopazifizierten Subjekt», das sich – neoliberal für den Konkurrenzkampf freigesetzt – nicht mehr über funktionelles Handeln durchsetze, sondern über Gefühle. Hall und sein Kollege Simon Winlow, die ein Buch über den Aufstieg der Rechten in England veröffentlicht hatten («The Rise of the Right»), plädierten dezidiert dafür, das dumme Getue der Identitätspolitik aufzugeben und stattdessen wieder als vereinte Linke gegen den eigentlichen Feind, das Kapital, aufzutreten. Es könne nicht darum gehen, diese und jene Opfergruppe zu bilden, sondern zuallererst müsste die vergessene Arbeiterklasse wieder mit ins Boot geholt, ihre Ängste müssten ernst genommen werden. Für «diversity» und all die queeren Befindlichkeiten sei nun wirklich keine Zeit: «Wir leiden alle.»

Tiefe Gräben

Gegen dieses dumpfe Trommeln der Klassenkampfrhetorik gab es verständlicherweise Protest aus dem Publikum, das sich nicht generell für eine vereinte Linke erwärmen wollte, sondern individualistische «queerness» durchaus als politische Praxis verstand. Da prallten Welten aufeinander, und die Bruchlinie zwischen altem Klassenkampfideal und postpostmoderner Antidiskriminierungspolitik ist offenbar so scharf, dass Steve Hall nicht vor groben Beleidigungen zurückschreckte und irgendwann die Diskussion abbrach. Er wolle nicht mit diesen Studentinnen diskutieren, die Begriffe wie «Freundschaft», «Inklusion» und «Ableism» im Munde führen und Friedenslieder zur Gitarre singen. Diese ganze Emotionshuberei, dieses an Judith Butler und Michel Foucault geschulte Theoriepolitgewölk war ihm, das merkte man, zu «sissy».

Recht besehen war diese Konferenz also eine wunderbare Gender-Performance. Sie zeigte, wie tief die Gräben sein können zwischen Männerforschung und Queer Studies, zwischen Klassenkampf und Identitätspolitik und dass diese Gräben offenbar genau entlang der Geschlechterstereotype verlaufen. Die werden wir einfach nicht los.