Pick-Up-Artists: Wie aus «echten Kerlen» rechte Hetzer werden

Nr. 44 –

Von Pick-up-Artists lernen Männer nicht nur, wie sie Frauen verführen können. Die Hypermännlichkeits-Community ist längst zu einer Brutstätte rechtsnationaler Weltanschauungen geworden.

Jahrzehntelang hat der Filmproduzent Harvey Weinstein seine Machtposition eingesetzt, um von Frauen Sex zu erpressen. Doch sexueller Missbrauch findet nicht nur in Teppichetagen statt. Und auch die Überzeugung, es sei quasi evolutionär bedingt, dass Männer Frauen erobern müssten, falls nötig mit Gewalt, ist nicht bloss unter Führungskräften verbreitet. Sogenannte Pick-up-Artists (PUAs) richten sich gezielt an Männer am anderen Ende des Machtspektrums: an vermeintliche «Feminismusverlierer», an Frustrierte, denen das Selbstbewusstsein abhandengekommen ist und die deswegen meinen, bei den Frauen keine Chance mehr zu haben.

Vor zwei Jahren rief der US-Antifeminist, Männerrechtsaktivist und Pick-up-Artist Roosh V. (mit richtigem Namen Daryush Valizadeh) seine Anhänger dazu auf, sich unter dem Motto «Return of the King» in 165 Städten in 43 Ländern der Welt zu treffen. Der Auftrag lautete, sich zu lokalen «neomaskulinen Stämmen» zusammenzurotten und die eingelernten Verführungstechniken in der wirklichen Welt zu testen.

Auch in Basel war ein Treffen geplant. Auch hier sollten sich «echte Kerle» zusammentun, um Frauen «flachzulegen»; oft mit Methoden, die sexualisierte Gewalt legitimieren. PUAs reduzieren Frauen in drastischer Weise auf Sexobjekte, sie wollen eine Welt zurück, in der endlich wieder klar ist, wer die Hosen anhat; eine Welt, in der die Frauen den Männern einfach zur Verfügung stehen. Roosh V. und viele andere bieten Workshops an und schreiben Handbücher, in denen die «Kunst der Verführung» gelehrt wird; oder Reiseführer, in denen länderspezifisch erklärt wird, wie man das Nein einer Frau überwindet. Die «Philosophie» dahinter: Ein Mann hat jederzeit Anrecht auf Sex.

Sexistische Prämissen

Der Pick-up-Trend ist als klassische Selbsthilfesubkultur entstanden: Verunsicherte Männer wollten sich mehr Selbstbewusstsein aneignen, um ihren Erfolg bei Frauen zu steigern. Das Modell entwickelte sich zunächst in den USA zum Riesengeschäft und produzierte eine Schar von Gurus. In Paul Thomas Andersons Film «Magnolia» (1999) hat Tom Cruise einen solchen aufgepeitschten Self-Help-Guru verkörpert – und uns gleichzeitig hinter seine Fassade blicken lassen. Ein zentrales Anliegen waren von Beginn an die Betonung evolutionsbiologischer Unterschiede zwischen den Geschlechtern und die Idealisierung stereotyper Männlichkeitsattribute wie Stärke und Überlegenheit. Die Szene entwickelte bald eine antifeministische Stossrichtung und kam auch im deutschsprachigen Raum an mit Büchern wie «Lob des Sexismus». Frauen und insbesondere Feministinnen wurden beschuldigt, Männer systematisch zu entmännlichen, zu manipulieren und kleinzuhalten. Entsprechend feierte die männerrechtlerische Blogsphäre PUAs als Revolution gegen den Feminismus.

PUAs gibt es mittlerweile auf der ganzen Welt. Auch in der Schweiz. Sie sind oft virtuell unterwegs, in unzähligen Blogs, auf Websites, in Dating-Apps und Diskussionsforen. Sie treffen sich aber auch analog zu Workshops und zum gemeinsamen Aufreissen in Clubs. Die PUA-Szene ist ein Sammelbecken für Männer, die von ihren Freundinnen betrogen wurden oder von der Angebeteten eine Abfuhr erhielten. PUAs bezeichnen ihre früheren Ichs als «Average Frustrated Chumps»: als Durchschnittsmänner, die sich frustriert, machtlos und unmännlich fühlen – und die als PUAs ihre (vermeintliche) ursprüngliche Überlegenheit zurückgewonnen haben. Die PUA-Anführer, meist ältere Männer, die mit zahlreichen Eroberungen prahlen, versprechen, Männern zu sexuellem «Ruhm» zu verhelfen.

Obwohl die PUA-Bewegung schon länger existiert, erhielt sie erst 2005 mit dem Erscheinen von Neil Strauss’ Bestseller «The Game. Penetrating the Secret Society of Pickup Artists» mediale Aufmerksamkeit. Einzelne PUA-Gurus wurden seither immer wieder kontrovers diskutiert, zum Beispiel Roosh V. oder der gebürtige Schweizer Julien Blanc, der weltweit Bootcamps anbietet und dem in Britannien die Einreise verweigert wurde, weil er in seinen Seminaren sexualisierte Gewalt legitimiert.

Natürlich ist die PUA-Szene divers, einige distanzieren sich klar von Gewalt. Allerdings enthalten auch die Klassiker, auf die sich weniger extreme PUAs berufen, sexistische Prämissen: Neben Lodovico Satanas «Lob des Sexismus» sind das etwa «The Mystery Method. How to Get Beautiful Women into Bed» von Erik von Markovik (alias Mystery) oder «Ich kann euch alle haben» von Matthias Pöhm. Diese Bücher beschreiben Verführung als evolutionsbiologisch begründetes «Spiel» mit bestimmten Regeln. Wer sie einhalte, kriege jede Frau ins Bett. Laut Mystery sind das wichtigste Ziel des Menschen die Reproduktion und die Weitergabe des Erbguts. Als quasi wissenschaftlich erwiesen gilt: Sobald eine Frau einen Mann attraktiv findet, will sie auch mit ihm schlafen und sich reproduzieren. Entscheidend für Männer sei es, nach aussen hin ein optimales Erbgut zu verkörpern, konkret heisst das, als Alphamann rüberzukommen, was nicht einfach genetisch vorgegeben sei, sondern performativ erreicht werde. Sprich: Männer können sich diese Alphamännlichkeit durch Selbstbewusstseinstraining, Selbstaffirmation und frauenobjektivierendes Gedankengut aneignen. Auch bestimmte Körperhaltungen, Gestik, Gangart und Stimmlage vermitteln eine Illusion von Macht, Erfolg und Dominanz.

Satana behauptet, Männer seien rational, während sich weibliches Erleben und Verhalten in Emotionen abspielten. Irrational und deshalb ohne eigene Vorstellung seien Frauen formbar: «Eine Frau will, was du willst. Nimm die Zügel in die Hand. Führe sie dominant ins Vergnügen» (Satana). Oder mit Pöhm: «Frauen wollen jemanden, (…) der weiss, wo es lang geht.» Widerstand seitens einer Frau wird als angelerntes evolutionäres Verhalten gedeutet: Die Frau wolle eigentlich Sex, es solle bloss nicht so wirken, weil Frau nicht als «Schlampe» wahrgenommen werden wolle. Anders gesagt: Die Frau sagt zwar Nein, meint aber Ja. Mystery schlägt vor, Widerstände einfach zu ignorieren: «Wenn du sie ausziehst und sie sagt: ‹Wir sollten aufhören›, stimmst du ihr zu und machst dann einfach weiter.»

Donald Trump als Vorbild

Es wäre zu einfach, PUAs zu belächeln. Viele ihrer Vorstellungen entsprechen exakt dem, was soziologisch als «Rape Culture» beschrieben wird, also jene fortbestehende implizite oder explizite gesellschaftliche Grundannahme, dass Frauen (geistig) unterlegen sind und von Männern erobert und angeeignet werden wollen und sollen. Auch deshalb mündet die proklamierte Alphamännlichkeit zuweilen in Gewaltexzesse: Elliot Rodger tötete 2014 in Kalifornien sechs Menschen. Rodger war zuvor in PUA-Foren und auf maskulinistischen Websites aktiv gewesen. In seinem Manifest bezeichnet er sich als «echtes Alphamännchen» und erklärt, er wolle Frauen töten, da sie ihm den Sex verweigerten, der ihm eigentlich zustehe.

Gegen die internationalen PUA-Treffen im November 2015 gab es breite Proteste, sodass Roosh V. alle Meetings absagen musste. Den in Basel protestierenden Frauen sagte man damals: Beachtet diese Idioten doch einfach nicht! Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten macht jedoch deutlich: Diese «Idioten» spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der rechtsnationalen Radikalisierung junger Männer. Sowohl inhaltlich als auch auf der Ebene der Akteure gibt es zahlreiche Überschneidungen zwischen den PUAs und den Neuen Rechten. Das Phantasma einer Wiederaneignung dominanter Männlichkeit wirkt bei vielen Männern wie eine Einstiegsdroge für rechtsnationale Weltanschauungen.

Vom Feindbild eines angeblich grassierenden «Feminismus», der Männer kleinhalte, ist es ein kleiner Schritt zur Vorstellung, die Verweichlichung des westlichen Mannes führe zur Schwächung nationaler Souveränität und zur baldigen Machtübernahme durch Muslime. Der norwegische Massenmörder Anders Breivik argumentierte in seinem Manifest genau so, und Roosh V. antwortete auf die Anfrage von «20 Minuten» zum geplanten Pick-up-Treffen in Basel: «Habt ihr in der Schweiz das Problem mit der muslimischen Invasion schon gelöst?»

Die PUA-Community ist mehr als eine Selbsthilfegruppe mit fragwürdigen Methoden. Die Überschneidung der PUA-Szene mit der Neuen Rechten in den USA zeigt sich etwa im Webforum «The Red Pill»: ein Zusammenschluss antifeministischer Männerrechtsgruppierungen, die dezidiert rechtsnationalistisches bis rechtsextremes Gedankengut vertreten und mit neurechten Gruppierungen interagieren. Nicht alle PUAs sind automatisch Rechtsnationalisten, aber zahlreiche Alt-Right-Aktivisten – darunter einige der Fackelträger beim Aufmarsch der Rechtsradikalen in Charlottesville – waren oder sind als PUAs und Männerrechtsaktivisten unterwegs. Die US-Journalistin Jennifer Swann hat diese Überschneidungen zwischen PUA und Neuer Rechten nachgezeichnet und dabei auf die breite Bewunderung der PUA-Szene für den Alphamann Trump aufmerksam gemacht: «Pick-up-Artists sehen Trump als Gleichgesinnten.» Auch die botswanische Satirikerin und Aktivistin Siyanda Mohutsiwa ist überzeugt, der US-Männerrechtsaktivismus habe mitgeholfen, Trump wählbar zu machen. Die Strategie der Clinton-Kampagne wiederum, Trump als Sexisten zu denunzieren, sei auch deshalb nicht aufgegangen, weil «die Trump-Jünger ihn gerade wegen seines Sexismus lieben». Mohutsiwa wies zudem darauf hin, wie Onlinegruppen zahlreiche junge weisse Männer erfolgreich davon überzeugt hatten, dass die DemokratInnen und ihre liberalen FreundInnen darauf aus seien, den weissen westlichen Mann zu zerstören.

Brutstätten für rechte Gedanken

PUAs haben nicht als nationalistisches Projekt begonnen, aber sie wurden zu einem. Viele via Antifeminismus und Männerrechtsaktivismus radikalisierte PUAs machen heute Stimmung gegen Geflüchtete. Wer denkt, Männer seien die eigentlichen Opfer der Emanzipation, ist einfacher zu überzeugen, dass Weisse beziehungsweise Europäer die wahren Opfer von Rassismus oder von ‹Flüchtlingsfluten› seien. Auch im deutschsprachigen Raum ist das rechtsnationale Gedankengut des antifeministischen Männerrechtsaktivismus in verschiedenen Studien deutlich herausgestellt worden, etwa von Andreas Kemper in «(R)echte Kerle. Zur Kumpanei der Männerrechtsbewegung». Zwar sind die Überschneidungen zwischen PUAs, Männerrechtsaktivismus und Rechtspopulismus hier subtiler als in den USA – nicht zuletzt, weil die PUA-Foren strenger moderiert werden. Offen rassistisch ist die deutschsprachige PUA-Szene nicht, eine Brutstätte für rechtes Gedankengut aber schon.

Aufschlussreich sind die zahlreichen deutschen, schweizerischen oder österreichischen PUAs, die sich in aggressiven maskulinistisch-rechten Foren wie «8chan» und «4chan» oder auf Sites wie «Wikimannia» austoben. Lag der Fokus von Analysen zur Neuen Rechten bisher vor allem auf Rassismus und Migrationsfeindlichkeit, wird jetzt zunehmend deutlich, dass Antifeminismus, Frauenverachtung und maskulinistische Ideologien ebenfalls zentral, ja häufig die eigentliche Triebkraft für rechtsnationale Radikalisierung sind. Die Verschiebung und Erweiterung des rechten wie des aufreisserischen und maskulinistischen Aktivismus und Gedankenguts in die Social Media, einschlägige Internetforen und Dating-Apps hinein machen deren Verbreitung noch einfacher und gleichzeitig unüberschaubarer als in den Veranstaltungen und Seminaren in realen öffentlichen Räumen.

Eine erste Fassung dieses Artikels erschien auf www.geschichtedergegenwart.ch/ich-kann-euch-alle-haben.