Strommarktliberalisierung: Wasserkraft im Ausverkauf
Noch gehören die grossen Wasserkraftwerke der öffentlichen Hand. In ihnen steckt ein Volksvermögen von vierzig Milliarden Franken. Sie wurden im letzten Jahrhundert von Kantonen und Gemeinden gebaut, weil man die Stromversorgung für eine strategische Angelegenheit hielt.
Heute sind es ManagerInnen, die das Geschäft beherrschen. Es ist ein aufgeregtes Business. Der Markt ist zum Teil liberalisiert. Strom soll ein handelbares Gut sein wie Weizen oder Erdöl – und immer billiger werden. Die vollständige Liberalisierung des Schweizer Strommarkts ist allerdings vor Jahren am Widerstand der Gewerkschaften und der SVP-Basis gescheitert. Bis heute können nur Grossverbraucher ihren Strom auf dem freien Markt einkaufen. Die Haushalte und kleinen Unternehmen werden immer noch von ihrem lokalen Elektrizitätswerk versorgt.
Jetzt hat aber die vorberatende Kommission des Nationalrats vergangene Woche – im Rahmen der Revision des Stromversorgungsgesetzes – die vollständige Liberalisierung des Schweizer Strommarkts verlangt. Dies mit der Begründung, so solle «die Effizienz im Strommarkt erhöht und die Verzerrung durch die bisherige Teilöffnung des Marktes behoben werden». Es wurde ausserdem argumentiert, «die Integration in die umliegenden Strommärkte» sei für die Versorgungssicherheit sehr wichtig.
Der Verdacht kommt auf, dass hier mit Worthülsen Verwirrung gestiftet wird, um einen Markt durchzumogeln, der den Händlern, aber nicht der Bevölkerung dienen wird.
Die Schweiz ist bereits die Stromdrehscheibe Europas, auch ohne Liberalisierung (vgl. Grafik im Artikel «Liberalisierung oder Energiewende?» ). Der Wettbewerb, der da neu inszeniert werden soll, bedroht jedoch das Volksvermögen Wasserkraft.
Die grossen Energieunternehmen Alpiq und Axpo sind ökonomisch in Schieflage, weil sie auf dem liberalisierten Markt für ihren Strom keinen vernünftigen Preis mehr erzielen.
SP-Nationalrat Roger Nordmann, Vizepräsident der vorberatenden Energiekommission, steht für die Minderheit der Kommission, die gegen die Liberalisierung ist. Er konstatiert ein «riesiges Marktversagen» und sagt, es sei schon ironisch, «wenn uns in der Kommission die Bürgerlichen erklären, bei der Wasserkraft seien die Kapitalkosten unwichtig und es spiele keine Rolle, wenn keine Kapitalrendite erzielt werde». Kommt die volle Liberalisierung, wird es denjenigen, denen es heute noch gut geht, auch noch schlecht gehen, davon ist er überzeugt. Er meint damit die Energieunternehmen, die direkt EndkundInnen beliefern und deshalb ihren Strom noch zu einem anständigen Preis absetzen können – Unternehmen wie die bernische BKW oder die verschiedenen Stadtwerke.
«Wird der Markt vollständig geöffnet, rennen alle nur noch dem tiefsten Preis hinterher. Dann gibt es für die Schweizer Wasserkraft keine Margen mehr – dann ist sie platt!», sagt auch Dore Heim vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Dann würde die Schweiz mit viel billigem Importstrom überflutet. Wie Nordmann befürchtet sie, dass dann niemand mehr in den Unterhalt der Kraftwerke investiert. Der «freie Markt» zehrt einfach die bestehende Substanz auf und macht sie zu Geld.
Die SP wie die Gewerkschaften sind bereit, die Vollliberalisierung zu bekämpfen. Umweltbewegte liebäugelten hingegen immer mit der Liberalisierung, weil sie glaubten, damit schneller eine dezentrale, umweltfreundliche Energieversorgung realisieren zu können. Das war bislang nur beschränkt möglich, man war eben ans lokale Elektrizitätswerk gebunden. Wegen der Energiestrategie 2050 – die im Frühling angenommen wurde – wird sich das aber ändern. Ab nächstem Jahr können Private Solar- oder Windanlagen bauen und lokal autonome Verbrauchergemeinschaften gründen. Für die Energiewende braucht die Schweiz die Liberalisierung also nicht. Im Gegenteil: Die volle Liberalisierung würde die Wende massiv behindern – weil sie auf Profitmaximierung abzielt, Volksvermögen vernichten und die lokalen Kleinen kaputt machen wird.