White Supremacy: Schwarze Cents, weisser Dollar
Vor genau einem Jahr wurde Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt. Jetzt zeigt Ta-Nehisi Coates in seinem neuen Buch, worauf Trump mit seiner Politik eigentlich abzielt: Amerika wieder weiss zu machen. Darüber ist eine Kontroverse entbrannt.
Ta-Nehisi Coates weht in den USA gerade ein ziemlich scharfer Wind entgegen. Nachdem er mit «Between the World and Me» (2015) definitiv zum öffentlichen Intellektuellen und in gewisser Weise auch zum schwarzen Gewissen der Nation erkoren wurde, werfen ihm renommierte Zeitungen wie die «New York Times» jetzt quasi umgekehrten Rassismus vor. Stein des Anstosses ist sein neues Buch «We Were Eight Years in Power». Darin bezeichnet Coates Donald Trump als «ersten weissen Präsidenten»: als weissen Suprematisten, an dessen politischem Aufstieg deutlich werde, wie grundlegend White Supremacy für die US-Gesellschaft sei. Trumps gesamte politische Existenz sei an seinen Vorgänger geknüpft, er habe es zur Basis seiner Politik gemacht, Barack Obamas politisches Erbe zu negieren: eine «nigger presidency» mit «nigger health care» und «nigger justice reform» zu zerstören, «auf dass sich wieder deutlich materialisiert, was es heisst, weiss zu sein».
Das sind ungewöhnlich krasse Worte für Coates. Er verweist darauf, dass Trump bei der Wahl zum Präsidenten eine Mehrheit der weissen Stimmen quer durch alle sozioökonomischen Schichten, Altersklassen, Bildungsschichten und Geschlechter auf sich vereinigte. Bestenfalls sei er trotz seines offenen Rassismus, wahrscheinlich aber genau deswegen gewählt worden. Und wer das nicht anerkenne, so Coates, mache sich zum Komplizen. Kein Wunder, werfen ihm seine KritikerInnen emotionale Erpressung vor. Ihre Anschuldigung, er mache aus «Race» einen Fetisch, entbehrt trotzdem jeglicher Grundlage.
Obama auf dünnem Eis
«We Were Eight Years in Power» versammelt acht Essays, die bereits in der Zeitschrift «Atlantic» erschienen sind – einen aus jedem Jahr von Barack Obamas Präsidentschaft. Thematisch setzt sich Coates in jedem mit der Position von Schwarzen in der US-Gesellschaft auseinander, dazu dienen ihm Bill Cosby ebenso wie Michelle Obama und Malcolm X. Je weiter die Jahre fortschreiten, nimmt er vor allem aber umso umfangreichere Tiefenbohrungen in die US-Geschichte vor und zieht immer mehr Statistiken und Zahlen heran, um seine Argumente zu untermauern. Dabei versteht er es, diese anhand von persönlichen Begegnungen mit exemplarischen Porträts zu verknüpfen.
Die kurzen Intros zu den einzelnen Essays zeugen von einem ebenso selbstkritischen wie selbstzweiflerischen, suchenden Geist und dem akuten Bewusstsein, in einer Epoche von historischer Bedeutung zu leben. Barack Obama habe sein Leben verändert, schreibt Coates. Trotzdem ringt er immer wieder mit dem ersten schwarzen Präsidenten, gerade weil Obama nie an das Gerechtigkeitsbewusstsein der Menschen appellierte, sondern immer nur den amerikanischen Traum beschwor und diesen mit seiner Bilderbuchfamilie (Hund inklusive) auch gleich in aller Öffentlichkeit vorlebte.
Auf ein Bier im Weissen Haus
Jahrelang kritisiert Coates den Präsidenten dafür, dass er «Race» nie direkt thematisiert. Und doch spricht irgendwie Bewunderung aus ihm, wenn er Obama am Ende von dessen Amtszeit als «den agilsten Deuter und Navigator der Rassenschranken» bezeichnet. Respekt zollt er Obama vor allem dafür, dass dieser acht Jahre lang auf dünnem Eis gelaufen und nie hingefallen sei: «Nichts in dieser Zeit deutete darauf hin, dass er besseren Halt gefunden hätte, wenn er im Klartext über den Tatbestand des Rassismus im amerikanischen Alltag gesprochen hätte.»
Ein paarmal hat es Obama versucht – und sofort bitter dafür bezahlt. Zum Beispiel, als er es wagte, einen weissen Polizisten dafür zu kritisieren, dass er den schwarzen Harvard-Professor Henry Louis Gates jr. vor dessen eigener Haustür als vermeintlichen Einbrecher verhaftet hatte. Was damit endete, dass sich Obama öffentlich für seine Bemerkungen über die Polizei entschuldigen musste und sich genötigt sah, den Polizisten zusammen mit Gates zu einem Bier ins Weisse Haus einzuladen.
Das sei die Ironie von Obamas Präsidentschaft, resümiert Coates: «Er ist zum erfolgreichsten schwarzen Politiker in der Geschichte Amerikas geworden, indem er die radioaktiven Rassenfragen der Vergangenheit mied, indem er ‹sauber› blieb – und doch verstrahlte seine unauslöschlich schwarze Hautfarbe alles, was er berührte.»
Wenn eine Erkenntnis immer deutlicher und dringlicher aus diesen Essays spricht, dann ist es die: Weiss zu sein, ist das Ordnungsprinzip, das den USA seit ihrer Gründung eingeschrieben ist. Das Fundament der White Supremacy wurde ab 1661 mit den Black Codes in der Kolonie Virginia gelegt. Sie begründeten eine Sklavereigesellschaft, die Schwarze von jeglichem Besitz ausschloss. Und das wiederum schuf laut Coates eine Wohlstandsschere zwischen Schwarzen und Weissen, die bis heute aufrechterhalten wird: «Für jede fünf Cents, die eine schwarze Familie hat, besitzt eine weisse Familie einen Dollar», rechnete er kürzlich in einem Interview im Magazin «Mother Jones» vor.
Es ist absurd, den Grund für diese Wohlstandsschere vermeintlichen kulturellen Defiziten der schwarzen Ghettobevölkerung anzulasten, so Coates in seinen Essays – zumal die Wohlstandsschere nach dem Ende der Sklaverei erst über rechtliche und später über faktische Segregation gezielt reproduziert wurde. Als Beispiel nennt er die verschiedenen Sozialversicherungsgesetze im Rahmen des New Deal in den 1930er-Jahren, von denen Schwarze systematisch ausgeschlossen blieben. Weissen ermöglichten sie indes, ein Eigenheim in den Vorstädten zu erwerben und Vermögen zu bilden.
Reparation statt Kuschel-Diversity
Wenn Coates Reparationszahlungen fordert, so verbindet er diese klar mit dem Ziel, diese Wohlstandsschere endlich zu schliessen. Und dazu brauche es mehr als eine «kuschelige Wohlfühl-Diversity»: eine breite öffentliche Diskussion über Reparationen, die sich mit White Supremacy, deren Geschichte und Erbe auseinandersetzt.
Heute jedoch scheint die US-Gesellschaft weiter davon entfernt zu sein als vor drei Jahren, als Coates’ Reparationsessay veröffentlicht wurde. Der Backlash, der sich mit Donald Trumps Wahl Bahn gebrochen hat, ist nicht zuletzt ein «Blacklash». Als Indizien zählt Coates all die öffentlichen rassistischen Verunglimpfungen von Obama auf, namentlich seitens teils ranghoher republikanischer Parteimitglieder: Sie bezeichneten ihn als «Essensmarken-Präsidenten» und verteilten «Obama bucks» – Münzen, die statt des präsidialen Konterfeis rassistisch konnotierte Insignien wie Wassermelonen, frittierte Hähnchen oder Schweinerippchen trugen.
Vor allem aber bereiteten die RepublikanerInnen Trump den Weg ins Weisse Haus, indem sie seinen rassistischen Verschwörungstheorien über Obamas Herkunft Auftrieb gaben und sie salonfähig machten. Wie konnte es so weit kommen, dass 2015 mehr als zwei von drei republikanischen WählerInnen glaubten, Obama besitze keine US-Geburtsurkunde und sei daher illegal Präsident geworden? Wie konnte es so weit kommen, dass sie Trump applaudierten, als er eine Belohnung von fünf Millionen Dollar für Obamas Universitätsnoten ausschrieb und damit öffentlich dessen Intelligenz bezweifelte?
Ist die Klassenfrage wichtiger?
In der US-Bundesregierung sind heute die RepublikanerInnen tonangebend; von den 138 Kongressmitgliedern der Südstaaten gehören 101 der «Grand Old Party» an – und nur ein einziges von ihnen ist schwarz, rechnet Coates vor. «Die Republikanische Partei ist nicht nur die Partei der Weissen, sondern auch die bevorzugte Partei all jener Weissen, die vorab daran interessiert sind, ihre historischen Privilegien als Weisse zu verteidigen.»
Alles Quatsch, wirft ihm die «Huffington Post» vor. Coates’ Fokus auf «Race» schade einer fortschrittlichen Politik: Rassismus sei bloss ein politisches Werkzeug. Zuoberst auf der Agenda der RepublikanerInnen stehe die ökonomische Ausbeutung der Arbeiterklasse. Auch andere Stimmen, darunter die des Politologen Cedric Johnson, kritisieren Coates, weil er mit seiner Betonung des Rassismus verhindere, dass sich die schwarze und die weisse Arbeiterklasse gegen den wahren Feind, den Kapitalismus, verbünden könnten.
Ta-Nehisi Coates aber weigert sich, in die Rolle des Aktivisten gedrängt zu werden, der Weisse nicht mit quälenden Fragen konfrontiert, sondern Lösungen verspricht – das sei die Aufgabe von «Performance-Propheten, die für das Gebrüll der Massen leben». Wer vorgebe, die Probleme einer gespaltenen Gesellschaft seien identisch mit jenen eines unkontrollierten Kapitalismus, kaschiere die Sünde einer plündernden Nation mit der Sünde einer lügenden Nation.
Ta-Nehisi Coates: We Were Eight Years in Power. An American Tragedy. One World. London 2017. 400 Seiten. 30 Franken. (Die deutsche Ausgabe erscheint im Mai 2018 im Hanser-Verlag.)