Fussball und andere Randsportarten: Pfeift doch, ihr Pfeifen!
Etrit Hasler über unkende Fans und den Balkangraben
Es ist also doch vollbracht: Die Schweizer Nati fährt zur Fussball-WM in Russland. Was mit der scheinbar perfekten Qualifikation begann (neun Siege in neun Spielen), wurde nach der verlorenen Portugalpartie und den daraus folgenden Barrage-Partien gegen Nordirland zum Nagelbeisser. Und der wurde mit mehr Glück als Können überstanden: Das Hinspiel im Windsor Park in Belfast gewann die Schweiz dank eines Elfmeters, der nicht hätte gegeben werden dürfen, aber nichtsdestotrotz von Ricardo Iván Rodríguez Araya versenkt wurde – und beim Rückspiel war es der zufällig am richtigen Ort hingepflanzte Latschen ebendieses Rodríguez, der die Schweiz vor einer Verlängerung rettete.
Weltmeisterlich war das nicht, unken nun all jene, die immer unken – und vergessen dabei, dass es häufig jene Teams sind, die Spiele zwischendurch mit lausigen Resultaten gewinnen können, die zum Schluss Titel gewinnen. Griechenland zum Beispiel wurde 2004 Europameister mit sieben Toren aus sechs Spielen. Und jedes Team der BRD war geradezu dafür bekannt, eine «Turniermannschaft» zu sein, was nichts anderes heisst, als häufig mit viel Dusel über die Runden zu kommen. Vergessen wir nicht die italienische Mannschaft, die es seit 1982 zu keinem Weltmeistertitel gebracht hat, solange sie mehr als einen Stürmer aufs Feld schickte.
Nun gut, lassen wir die Unker unken – wahrscheinlich sind das dieselben, die sich das Spiel auf SRF angesehen haben, obwohl sie ein überzeugtes Ja einlegen werden zur Initiative, die unter dem sexy Slogan «No Billag» für die Zerschlagung der Schweizer Medienlandschaft wirbt. Und davon ganz abgesehen passt es doch, dass die Schweiz gegen Nordirland nach grossen Mühen dank der Leistung eines Spielers gewann: Nordirlands Team hatte es ohnehin nur dank eines einzigen Spielers überhaupt in die Barrage geschafft. Und dass es in Nordirland eher mühsam werden kann, davon kann die Familie, nach der das Belfaster Stadion benannt wurde, ein ganzes Liederbuch singen. Aber ich schweife ab.
Zum Geunke passte auch das unmeisterliche Verhalten der Schweizer ZuschauerInnen im Stadion: Als Haris Seferovic nach 86 Minuten Dauerlauf auf dem Platz (aber eben leider ohne Tore) ausgewechselt wurde, pfiffen ihn die eigenen Fans aus, als ob er höchstpersönlich gerade die Qualifikation versiebt hätte. Die Empörung war gross – von den SRF-Kommentatoren über die Mannschaft bis zu erbosten Onlinekommentaren war alles dabei. Und schnell war natürlich das Argument zur Hand, Seferovic sei ausgepfiffen worden, weil er in den Augen vieler kein «echter Schweizer» sei.
Über die Motivation der Pfeifen, Verzeihung, der PfeiferInnen mag ich mir nicht den Kopf zerbrechen. Tatsache ist, dass der «Balkangraben» innerhalb der Mannschaft in den letzten Jahren immer thematisiert wurde. Und so entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass es ausgerechnet Stephan Lichtsteiner war, der in den Interviews nach dem Spiel von den Fans mehr Respekt einforderte. Just jener Lichtsteiner, der selber schon darüber sinnierte, «dass sich das Volk [wieder] mit dem Nationalteam identifizieren» können müsse.
So weit, so gut. Die Mannschaft demonstrierte Einigkeit, die Medien waren vernichtend in ihrem Urteil, ja, sogar die LeserInnen der Blocher-Zeitung in Basel votierten in einer Onlineumfrage zu 64 Prozent, dass das Verhalten der Fans daneben war. Alles in Butter? Man kann sich vorstellen, wie laut das Gezeter gewesen wäre, wenn die Mannschaft verloren hätte – so wie vor ein paar Jahren in Frankreich, als das ehemalige Erfolgsrezept «black-blanc-beur» plötzlich zum Makel wurde, als keine Titel mehr gewonnen wurden.
Tatsache ist: Die nächste enttäuschende Niederlage kommt. Und die Chancen sind gross, dass sie an der WM kommt. Wie meisterlich dieses Team wirklich ist, werden wir daran sehen, wie es danach mit den Reaktionen umgeht.
Etrit Hasler hat ein SRF-Abo, das ihm alle WM-Spiele der Schweiz in Farbe zugänglich machen wird.