Pop: Der Haifisch tanzt im Weltall
Da braut sich etwas zusammen: Das Zürcher Duo Ikan Hyu macht scharfe Gitarrenmusik in minimaler Besetzung – aber mit maximal ausgereiztem Gerätepark.
Aus dem Moog brummt ein saftiger Bass, der farbig blinkende Kaossilator reiht Gameboy-Sounds zu einem technoiden Beat. Zwei Frauen in silbrig glänzenden Leggins und golden verzierten Jeansjacken springen von der Bühne herunter in die Leute. Sie schleudern ihre Haare zum Rhythmus durch die Luft und stiften zum Kreistanz an. Die Meute dreht sich und schwankt.
Es ist ungefähr Mitternacht, der Höhepunkt der gut besuchten Party eines hippen Zürcher Onlinemediums. Und man könnte sich gerade keine Band vorstellen, die besser in diese Szenerie hineinpassen würde als Ikan Hyu.
Scharf statt wolkig
Ikan Hyu machen Gitarrenmusik, aber Rock ist ihre Musik höchstens als Zitat oder Alberei. Manche Riffs könnten von Jack White stammen, eine Ballade mit mehrstimmigem Gesang aus dem seifigen Herz der achtziger Jahre, eines der Gitarrensolos gar von Slash von Guns n’ Roses. Aber das sind nur einige der Versatzstücke, die Ikan Hyu ihrem vielteiligen Gerätepark entlocken. Fette Basslicks oder giftige Synthies dienen als Kitt oder auch als Katalysator zwischen Beat und Gitarre. Und nachdem sich ein stacheliger Elektrobeat exponiert hat, fängt eine der beiden plötzlich an zu rappen.
Wolkige Texturen findet man bei Ikan Hyu kaum. Ihre Sounds sind schrill und trashig, die Wechsel scharf. «Ikan Hyu» bedeutet «Haifisch» auf Indonesisch. «Als wir uns Gedanken zu unserer Ästhetik gemacht haben, dachten wir ans Weltall und an die Tiefsee», erklärt Hannah Bissegger. «Und an die Lämpchen der Tiefseefische und blinkende Sterne: dunkle Orte also, die da und dort von kleinen Lichtern erleuchtet werden.» Wie die Scheinwerfer in einer Partynacht, könnte man ergänzen.
Hannah Bissegger sitzt neben Anisa Djojoatmodjo auf der Terrasse eines Lokals in Zürich West. Es ist einer der letzten warmen Herbsttage, die golden verzierten Jeansjacken liegen neben ihnen über der Festbank. Die beiden sind Mitte zwanzig und vor weniger als einem Jahr in Zürich zum ersten Mal als Ikan Hyu aufgetreten. Nun haben sie bereits einen vielversprechenden Plattenvertrag in der Tasche und geben Konzerte, die vor Spielfreude strotzen und bei denen man spürt, dass sich da etwas zusammenbraut. Gerade waren sie im Studio, ein erstes Album soll in naher Zukunft erscheinen.
Geboren ist die Band ganz in der Nähe: im Toni-Areal. Hannah Bissegger hat dort an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) gerade einen Master in Gesang abgeschlossen, Anisa Djojoatmodjo wird dasselbe in einem Jahr auf der Gitarre tun. Ikan Hyu begann als Bisseggers Masterprojekt – aber wurde schon bald viel grösser als das. Die beiden Musikerinnen verstanden sich so gut, dass ihnen klar wurde: Mit dieser Band wollen sie höher hinaus.
Die Wurzeln kappen
Das heisst vor allem auch: Die Wurzeln zur akademischen Popschmiede kappen. Die ZHdK funktioniere vor allem wie eine Szene, sagt Hannah Bissegger: «Sie bietet einen Raum, in dem sich Leute kreativ anstecken und Netzwerke bilden können. Die Schule hat uns zwar einen verbindlichen Rahmen geboten und uns einen professionellen Zugang zur Musik vermittelt, nicht aber eine bestimmte Vorstellung von Pop.»
«Ikan Hyu lebt für den Liveauftritt», sagt Anisa Djojoatmodjo. Vor Publikum spielen die beiden auch mal einen halb fertigen Song. «Ob unsere Musik wirklich funktioniert, spüren wir erst auf der Bühne.» Das hat auch mit der koordinativen Komplexität zu tun, die sich aus der Zweierkonstellation und den damit verbundenen Ansprüchen ergibt. Zeitweise bedienen die Musikerinnen je drei Stimmen gleichzeitig: Djojoatmodjo mit Gitarre, Rap und Basspedal, Bissegger mit Moogbass, Gesang und Schlagzeug. Hinter einem Auftritt von Ikan Hyu steckt immer auch eine Art Choreografie. «Uns war immer klar, dass wir kein langweiliges akustisches Frauenduo sein wollen», sagt Bissegger.
Austoben im eigenen Kosmos
So haben sich die beiden gegen Begleitmusiker entschieden, etwa am Bass. «Einerseits wollten wir zu zweit bleiben», sagt Bissegger, «andererseits sind wir auch viel zu ehrgeizig, um bei einer Schwierigkeit einfach aufzugeben.» So kam ein ums andere Element hinzu, die klassischen Rollen und Hierarchien in einer Band lösten sich auf. «Wir haben unseren Kosmos gefunden, und darin toben wir uns aus», sagt Djojoatmodjo. Ob das auch etwas mit dem Geschlecht zu tun hat, dass also keine Männer in der Band sind? «Wir spielen sonst ja beide in Bands, wo es ausser uns nur Männer gibt, und ich habe schon die Erfahrung gemacht, dass wir beide auf einer anderen Ebene miteinander reden können.»
Zurück an der Party, im «Moshpit». Ikan Hyu spielen den Song «Resonate» an, in dem es um die unkontrollierbare, durch Körper vermittelte Dynamik von Beziehungen geht. Djojoatmodjo greift in die Saiten, ein messerscharf gespieltes, protziges Hardrockriff strahlt durch den Raum. Meinen die das jetzt ernst? Oder machen sie sich über eine männliche Rockgeste lustig? Jedenfalls sind solche Momente nicht das Produkt einer Konzeptwerkstatt, sondern die Regungen des Spieltriebs, der Ikan Hyu immer wieder anzutreiben scheint. Oder auch einfach: das Knistern einer symbiotischen Beziehung.
Nächstes Konzert in: Winterthur, Portier, Montag, 4. Dezember 2017, 20.30 Uhr. www.ikanhyu.ch