Auf allen Kanälen: Etwas genauer, bitte!

Nr. 48 –

Ein aufgewärmter Verriss, ein verletzter Schriftsteller und ein Rundumschlag im deutschen Feuilleton: Zur eitlen Dorfposse um den Schweizer Buchpreis.

«Eklat beim Buchpreis», titelte der «Blick», sogar die deutsche Presse berichtete. Die «taz» schrieb: «Nun hat auch die Schweiz ihren kleinen Eklat, ihren kleinen Fall ‹Reich-Ranicki›.»

Das war vor neun Jahren. Es war die Geburtsstunde des Schweizer Buchpreises, der Anlass in Basel hätte ein freudiges Fest für die Literatur werden sollen. Doch zu reden gab vor allem der nominierte Adolf Muschg, der sich am Vorabend der Verleihung überraschend aus dem Wettbewerb zurückzog. Er kritisierte die Inflation der Preise und das Marketingspektakel, das aus dem Auswahlverfahren gemacht werde. Anders sah das der geistige Urheber des mit 40 000 Franken dotierten Buchpreises, der diesen Sommer verstorbene Verleger Egon Ammann. Der Preis sei «eine Motivation für jeden Schriftsteller und ein Verkaufsargument für die Buchhändler», sagte er damals.

«Eklat vor der Preisverleihung», titelt nun, neun Jahre später, die NZZ. Und Lukas Bärfuss, vor drei Jahren selber noch Preisträger, erklärt ein paar Tage nach der Verleihung in einem Gastbeitrag in der FAZ den Tod des Schweizer Buchpreises in seiner jetzigen Form. Er schreibt von Druckversuchen der VeranstalterInnen auf die Jury, von einer «Verrohung der Sitten», von «Angriffen auf die Schriftsteller» und nennt den Sticker, der jeweils auf die Bücher der PreisträgerInnen geklebt wird, keine Ehre, sondern «ein Symbol für den Niedergang des Literaturbetriebs einer zivilisierten Nation». Was war passiert?

In der Doppelrolle

Auslöser war ein Podium am Vorabend der Verleihung in Basel. Moderatorin Nicola Steiner («Literaturclub») erinnerte dort den Literaturkritiker Martin Ebel («Tages-Anzeiger») daran, dass er 2010, als Mitglied der Jury, einige Wochen vor der Preisverleihung den nominierten Roman von Urs Faes verrissen hatte. Steiners berechtigte Frage zu diesem Rollenkonflikt: «Darf man das?» Natürlich, fand Ebel, der sich auch zwei Tage später im «Tages-Anzeiger» uneinsichtig zeigte: «Ich fand und finde: Ja. Sonst müsste man Buchpreiskandidaten vor dem Preisentscheid publizistisch ignorieren.» Dass es – auch beim «Tages-Anzeiger» – freie KritikerInnen gibt, die das Rezensieren übernehmen könnten, verschwieg er geflissentlich.

Dass Nicola Steiner aus dem Verriss von damals einen besonders bösen Satz zitierte, verletzte den auch heuer nominierten Urs Faes so sehr, dass er anderntags nicht zur Preisverleihung erschien. Als die frühere Preisträgerin Melinda Nadj Abonji dort den Grund für Faes’ Abwesenheit nennen wollte, musste sie sich, so Bärfuss später in der FAZ, von der Festivalleitung «physisch anrempeln lassen». Er schreibt von «Einschüchterungsversuchen», was Literatur Basel und der Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband (SBVV) als Organisatoren des Buchpreises in einer eiligst verschickten Pressemitteilung dementierten. «Eine würdige Jubiläumsfeier jedenfalls sieht anders aus», beschied der NZZ-Literaturredaktor Roman Bucheli, der noch am Sonntagabend brühwarm online die Ereignisse rapportierte – ohne allerdings selber vor Ort gewesen zu sein.

Gewaltentrennung?

Ein abwesender Reporter schreibt über einen abwesenden Nominierten, ein anwesender Journalist und ehemaliger Juror sieht sich im Recht, und ein mit seinem aktuellen Buch nicht nominierter Schweizer Autor holt zum Rundumschlag aus. Dabei vermischt Bärfuss die in seinen Augen unwürdige Jubiläumsfeier («auf Kanalisationsniveau») mit einem anderen Thema: der Unabhängigkeit der Jury, die angeblich gefährdet sei, weil die VeranstalterInnen in all den Jahren in den Jurysitzungen dabeisassen. Laut Lukas Bärfuss hätten sie dabei auch Einfluss genommen, er vermutet dahinter Kalkül und Eigeninteresse: «Es könnte schliesslich passieren, dass in einem Jahr kein Schweizer Verlag und kein Schweizer Autor für den Preis nominiert würden.»

Bloss, von den zehn vergebenen Preisen ging gerade mal einer an einen Schweizer Verlag. Das entgegnet Dani Landolf vom SBVV auf SRF auf Bärfuss’ Vorwurf, um die behauptete Einflussnahme abermals zu dementieren. Ja, man hätte sich von Bärfuss einen etwas genaueren Text gewünscht, denn die aktuelle Situation wirft durchaus Fragen auf: Weshalb sind die VeranstalterInnen des Buchpreises bei den Jurysitzungen anwesend? Beeinflusst ihre Anwesenheit das Verhalten der Jury? Und warum gibt es eigentlich kein Reglement, das diese Abläufe klärt?