Dokumentarfilm «Kinder machen»: «Wir kriegen Sie schon schwanger!»
Barbara Burger beschreibt in «Kinder machen» Trends und absurde Auswüchse der Reproduktionsmedizin, bleibt in der Wertung aber wohltuend offen.
Der Mensch ist ein flexibles Tier, er gewöhnt sich mit der Zeit an alles. Im Guten wie im Bösen sind wir bereit, nach einer Weile für normal zu halten, was zuvor noch als absurd erschien: Rauchverbote und Fitnessapps, Elektroautos, Homoehe oder die Art und Weise, wie man Kinder macht. «Shifting baselines» nennt sich dieser psychische Mechanismus, mit dem wir Kriterien der Beurteilung beständig ans Gegebene anpassen.
Triebfeder «Kundenwunsch»
Barbara Burgers Dokumentarfilm «Kinder machen» handelt von «shifting baselines», auch wenn der Begriff nicht fällt. Die Regisseurin zeigt darin eindrücklich, in welchem Treibsand die alte Frage steckt, was der Mensch sei und wie er entstehe. Burger ist an einigen Stellen als Stimme aus dem Off präsent; sie nimmt uns mit auf eine Reise zu Arztpraxen, Fachmessen und Kongressen, Ständeratsdebatten und in dunkel gehaltene Labors. «Hier sehe ich zum ersten Mal, wie eine Eizelle künstlich befruchtet wird», sagt die Filmemacherin, und wir sehen es auch durchs Mikroskop, wie die Mikropipette einige Spermien aus der Petrischale aufsaugt, dann durch die Haut einer Eizelle sticht und ein Spermium einfügt. Da entsteht – vielleicht – gerade ein Kind, das Verfahren nennt sich intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), und die Stimme aus dem Off fragt sich, wie viele künftige Menschen hier wohl im Raum versammelt sind.
Burger folgt hauptsächlich drei ProtagonistInnen, die auch exemplarisch für unterschiedliche ethische Haltungen stehen. Die Gynäkologin Elisabeth Berger-Menz bietet ihren Patientinnen mit Bedacht reproduktionsmedizinische Verfahren an, weil eben Fortpflanzung ein «Grundbedürfnis des Menschen» sei und weil sie weiss, dass «Frauen bis ans Ende der Welt» gehen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Der Film zeigt Berger-Menz oft in Diskussion mit einer Mitarbeiterin, im Nachdenken, wie weit man gehen solle, und im Bemühen, zu unterscheiden, wo eine sinnvolle Massnahme endet und der blosse Kommerz anfängt. Denn der «Kundenwunsch» ist ja die mächtige Triebfeder im System.
Ihn bedient, bedingungslos und effektiv, Jörg Puchta, Leiter eines Kinderwunschzentrums in München. Sein Ton klingt nach Autowerkstatt: «Wir putzen erst mal Ihre Eileiter, die werden dann besser als vorher. Wir kriegen Sie schon schwanger!» Auch wenn in diesen Zeugungsprozessen nichts mehr «natürlich» abläuft, bleibt die Arbeitsteilung des Personals eigentümlich gegendert: Während im Labor Embryologinnen die befruchteten Eizellen hüten und mit ihnen wie mit kleinen Kindern sprechen, nimmt Puchta den finalen Akt der Rückgabe in den Uterus selbst vor. Er fordert die Patientin auf zu lächeln, während er ihr zum Sound von Herbert Grönemeyers «Mensch» die in vitro fertilisierten Eizellen wieder einführt.
Zwischen den Extremen Berger-Menz und Puchta steht als dritter Protagonist der Physiker Klaus Rink. Er hat eine Laserapparatur entwickelt, mit der sich einzelne Zellen der Blastozyste abtrennen lassen – perfekt für die Pränataldiagnostik. Rink ist der Forscher als Nerd: Nie würde er etwas tun, das dem Embryo schade, sagt er – aber er freut sich wie ein Junge über gelungene Versuche und seine Technik, die es auch erlaubt, Eizellen nach genetischen Merkmalen zu selektieren.
Eizellen tiefgekühlt
Reproduktionsmedizin ist ein grosses Geschäft, eine «Industrie», heisst es im Film auch. Stark sind die Szenen mit Berger-Menz auf der grössten europäischen Fachmesse für Reproduktionsmedizin, die ein gigantisches Angebot an Erfindungen ausstellt, ein am Oberschenkel zu befestigendes Spermieninduziergerät etwa oder den «Flachbettinkubator». Eine andere starke Szene spielt in der Sprechstunde bei Puchta: Da sitzt ein Paar, in Rückenansicht gezeigt, das gern künstliche Befruchtung hätte, weil es terminlich nicht so passe mit der natürlichen. Ausserdem sei in China, wo seine Frau herstamme, die künstliche Befruchtung mittlerweile ganz üblich, sagt der Klient.
Warum auch nicht? Was spricht dagegen, wenn das Verfahren möglich ist und Vorteile hat? An In-vitro-Fertilisation haben wir uns gewöhnt, Pränataldiagnostik ist in der Schweiz nach dem neuen Fortpflanzungsgesetz erlaubt. Etwas gruselig wird es beim sogenannten Social Freezing, dem Einfrieren von Eizellen, was früh im Leben geschehen sollte, «wenn das Material noch gut und frisch ist».
Von Material ist viel die Rede, von der Qualität der Spermien und Eizellen. Social Freezing würde es Frauen erlauben, auch in höherem Alter noch Kinder zu bekommen, so als könne man eine Falte in die Zeit legen, die Vergangenheit in die Gegenwart holen. Puchta sieht kein Problem, und Firmen wie Flowerkid machen sich an die Vermarktung. «Was wird in zwanzig Jahren sein? Werden unsere Töchter ihre Eizellen ganz selbstverständlich einfrieren lassen?», fragt Burger aus dem Off. Ihr Film bleibt in der Bewertung wohltuend offen.
Von wegen «natürlich»
Was fehlt, ist einzig ein Kommentar zur Absurdität der Mühen, mit der ein kleiner Teil der Menschen Kinder produziert, während anderswo auf der Welt offenbar zu viele geboren werden. Denn eigenartigerweise stellt die Reproduktionsmedizin alles infrage, die Grenzen der Körper, die gesamte Fortpflanzungsbiologie – nur nicht den einen Punkt, der eigentlich der einfachste wäre: den Kinderwunsch selbst. In Bezug darauf ist das Argument der «Natürlichkeit» immer noch gut genug. Sich fortpflanzen zu wollen, sei ein tief verankertes Bedürfnis. Ist das so? Der Mensch gewöhnt sich an alles. Warum nicht auch an den Gedanken, keine Kinder zu machen?
Neu im Kino ab 30. November 2017.
Kinder machen. Regie: Barbara Burger. Schweiz 2017