Social Freezing: Wenn der Druck wegfällt

Nr. 22 –

Was tun, wenn man das Gefühl hat, eine Entscheidung treffen zu müssen, die man gar nicht treffen kann? Über die Möglichkeit, seine Eizellen einfrieren zu lassen.

Es ging schnell. Die Anästhesistin verabreichte Silvana Peters* Remifentanil, ein sehr starkes, kurz wirkendes Opioid. Sie war zwar betäubt, bekam aber noch ein bisschen davon mit, was die Ärztin und die Laborantin zwischen ihren Beinen machten, während sie auf dem gynäkologischen Stuhl sass.

«Ich hörte, wie die Ärztin immer wieder ‹Ja› sagte, wenn sie eine Eizelle entnommen hatte.» Insgesamt sechzehn Mal sagte die Ärztin «Ja»: So viele Eizellen wurden Peters nach einer intensiven Hormonstimulation an einem Tag im Januar entnommen. Zehn davon waren reif und liegen nun bei minus 196 Grad in einem Tiefkühlbehälter. Anderthalb Stunden nach dem Eingriff war Peters wieder zu Hause. Körperlich sei es eine unangenehme Erfahrung gewesen, sagt sie rückblickend, «aber emotional war ich unglaublich erleichtert». Das merkt man der jungen Frau mit den langen blonden Haaren, die entspannt und fröhlich wirkt, während sie erzählt, auch an.

Der medizinische Eingriff, den Silvana Peters beschreibt, ist der Abschluss eines Prozesses, der unter der Bezeichnung «Social Freezing» bekannt ist. Gemeint ist das vorsorgliche Einfrieren unbefruchteter Eizellen ohne medizinischen Grund und mit der Absicht, diese potenziell in der Zukunft für eine In-vitro-Befruchtung zu verwenden. Der Entnahme der Eizellen geht eine Hormonbehandlung voraus, die die Eizellenreifung stimulieren soll. Wer sich dafür interessiert, sucht meist ein Kinderwunschzentrum oder eine spezialisierte Praxis auf.

«Quasi noch in der Ausbildung»

Kinderwunschpraxis – mit diesem Namen hatte Silvana Peters etwas Mühe. Sie wusste ja eben gerade nicht, ob sie Kinder wollte oder nicht. «Es verstärkte für einen kurzen Moment diesen Druck, den ich verspürte», erzählt sie an einem Freitagabend Ende März, rund zwei Monate nach der Eizellenentnahme. In der Praxis war sie erstmals ein Jahr zuvor gelandet, um sich über die Möglichkeiten der Konservierung ihrer Eizellen aufklären zu lassen.

Silvana Peters ist 35 Jahre alt, wohnt in einer Deutschschweizer Stadt und doktoriert in Geschichte. Obwohl sie die Forschung liebt und denkt, sie sei in vielerlei Hinsicht privilegiert, empfindet sie die Lebensumstände, die mit einer akademischen Karriere einhergehen, manchmal als belastend. Die befristeten Verträge, die unklaren Berufsaussichten und das auf Doktoratsstufe geringe Einkommen bringen viel Unsicherheit mit sich. «Ich befinde mich quasi noch in der Ausbildung», sagt Peters von sich. «Und das mit 35.»

Obwohl Peters keinen expliziten Kinderwunsch verspürte, hatte sie in den vergangenen Jahren zunehmend das Gefühl, sich damit auseinandersetzen zu müssen. Einerseits bekamen immer mehr Leute in ihrem Bekanntenkreis Kinder, andererseits hatte sie ein gewisses Alter erreicht. Zwischen 35 und 40 Jahren, davon geht die Forschung bis heute aus, nimmt die Fruchtbarkeit bei den meisten Frauen bedeutend ab. «Ich hatte das Gefühl, jetzt sei der Moment zu entscheiden, ob ich Kinder will», erinnert sich Peters. «Gleichzeitig ist es mir in meiner aktuellen Lebenssituation gar nicht möglich, mich dafür oder dagegen zu entscheiden.» Worauf die Historikerin damit anspielt, ist der Umstand, dass sie seit ein paar Jahren Single ist und sich eine Familie, wenn überhaupt, nur mit einem Partner an ihrer Seite vorstellen kann.

Silvana Peters ist kein Einzelfall. In den vergangenen Monaten berichteten spezialisierte Ärzt:innen in der Schweiz von einer deutlichen Zunahme bei der Nachfrage nach Social Freezing. Das bestätigt auch die Gynäkologin und Reproduktionsmedizinerin Patricia Faas-Fehervary. «Social Freezing liegt eindeutig im Trend», sagt die Ärztin, die im März einen Ratgeber zum Thema mitveröffentlichte. Zwischen 2020 und 2022 stieg die Zahl der Personen, die das Angebot in Anspruch nahmen, laut dem Bundesamt für Gesundheit von rund 1000 auf 1900 Personen an. Neuere Zahlen sind nicht vorhanden.

Viele Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen, sind in einer ähnlichen Lage wie Peters: Mitte bis Ende dreissig und entweder nicht oder seit kurzem nicht mehr in einer Partnerschaft. Einige haben einen klaren Kinderwunsch, andere sind sich nicht sicher.

Nach Silvana Peters’ erster Beratung in der Kinderwunschpraxis folgte eine Untersuchung, bei der unter anderem getestet wurde, wie viele befruchtungsfähige Eizellen noch in ihren Eierstöcken vorhanden waren. Bei der Besprechung der Resultate sei sie nervös gewesen, erinnert sich Peters. «Aber die Ärztin meinte, meine Werte seien überdurchschnittlich gut.» Das habe ihr bereits etwas Druck genommen.

Ein teurer Eingriff

Danach liess Peters die erhaltenen Informationen erst einmal ein paar Monate lang sacken. «Ich musste die Sache mit meinem Umfeld besprechen», sagt die Doktorandin und meint damit nahe Familienmitglieder und Freund:innen, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielen. «Ich wusste, dass ich Unterstützung brauchen würde.» Peters beschreibt sich als eher ängstlich, was medizinische Eingriffe angeht. Für die Hormonbehandlung, die der Eizellenentnahme voranging, musste sie sich während zehn Tagen Spritzen setzen – das hiess in ihrem Fall, sich Spritzen setzen zu lassen. «Meine Schwester hat sich sofort bereit erklärt, mich dabei zu unterstützen.»

Nicht nur die Schwester, auch der Rest ihres Umfelds reagierte durchweg positiv und bestärkte den Entscheid, der sich in Peters langsam formierte. Ihre Mutter habe im ersten Moment ungläubig reagiert. «Ich verstehe das, sie hatte ein ganz anderes Leben und eine andere Ausgangslage.» Schliesslich habe sie aber nicht nur Verständnis gezeigt, sondern sich auch bereit erklärt, Peters finanziell zu unterstützen.

Das war nötig, denn die Krankenkasse übernimmt die Kosten, die sich im Fall von Silvana Peters auf über 6000 Franken beliefen, nicht. Je nach Klinik werden 4000 bis 8000 Franken veranschlagt – ein Eingriff also, den sich längst nicht alle leisten können. Hinzu kommen ein jährlicher Betrag für die Lagerung und im Fall einer In-vitro-Befruchtung weitere Kosten im vierstelligen Bereich. Die genaue Höhe der Kosten für das Einfrieren hängt auch davon ab, ob eine Hormonbehandlung über mehrere Zyklen notwendig ist.

Peters hatte Glück: Bei ihr klappte alles nach Lehrbuch. Ihr Körper produzierte genug Eizellen, und sie war nicht von schweren Nebenwirkungen wie etwa dem ovariellen Überstimulationssyndrom betroffen, bei dem Patientinnen in seltenen Fällen im Spital landen. Auch Stimmungsschwankungen, Bauchschmerzen und Wassereinlagerungen, die mit der Hormonbehandlung meist einhergehen, hielten sich bei ihr in Grenzen.

Trotz all der Strapazen und Kosten existiert keine Garantie dafür, dass aus den eingefrorenen Zellen auch tatsächlich ein Baby entsteht, wenn Frauen dies schliesslich versuchen: Die Erfolgsquote variiert je nach Anzahl Eizellen und Alter der Frau und liegt irgendwo zwischen vierzig und siebzig Prozent. «Die Datenbasis ist momentan so dünn, dass wir dazu eigentlich noch keine verlässlichen Angaben machen können», betont Reproduktionsmedizinerin Faas-Fehervary.

Neoliberaler Zugriff?

Obwohl Peters von ihrem Umfeld Unterstützung und Wohlwollen erfuhr, entschied sie sich dazu, für diesen Beitrag anonym zu bleiben. In der Gesellschaft sei das Thema nach wie vor tabuisiert. «Ich glaube, es gibt immer noch Leute, die das Gefühl haben, es sei nicht in Ordnung, wenn Frauen quasi ‹alles› haben wollen.» «Alles» heisst in diesem Fall nicht nur sowohl Karriere als auch Kinder, sondern zudem die Möglichkeit, das Kinderhaben hinauszuzögern – bis zu einem Zeitpunkt, an dem es besser in die Lebensplanung passt, und in manchen Fällen bis zu einem Alter, in dem Frauen nur noch sehr selten gebären.

Der öffentliche Diskurs darüber, wie dieser medizinische Fortschritt zu bewerten ist, hat sich seit dem Aufkommen von Social Freezing verändert. Vor rund zehn Jahren war der Tenor noch mehrheitlich kritisch. Das lag auch an der breit rezipierten Ankündigung von Techunternehmen wie Google, Apple und Facebook, ihre Angestellten bei der Finanzierung von Social Freezing unterstützen zu wollen. Nicht nur linke, auch bürgerliche Medien sahen darin eine bedrohliche Ausweitung des neoliberalen Zugriffs auf die Arbeitnehmerinnen.

Bisher scheint das diesbezügliche Engagement von Arbeitgebern aber marginal geblieben zu sein. Erst im vergangenen Herbst wurde bekannt, dass das Pharmaunternehmen Merck als eines der ersten in der Schweiz seinen Angestellten das Einfrieren von Eizellen finanziert. Abgesehen von diesem nach wie vor kontrovers diskutierten Aspekt wird Social Freezing in der aktuellen öffentlichen Debatte eher positiv bewertet, ja zum Teil gar als eine Art Ausweitung des Selbstbestimmungsrechts geframt. Viele Frauen, die Eizellen eingefroren haben, beschreiben den Schritt als «empowernd».

Technik gegen ein soziales Problem

«Dass Einzelpersonen sich ermächtigt und von Druck befreit fühlen, kann ich gut verstehen», sagt Laura Perler. Die Sozialanthropologin und Genderforscherin arbeitet zu Fragen reproduktioneller Gerechtigkeit. Auch aus einer feministischen Perspektive werde dieser Aspekt durchaus berücksichtigt. «Bereits in den siebziger Jahren gab es Feministinnen wie Shulamith Firestone, die jeglichen Fortschritt in der Reproduktionsmedizin als Befreiung vom Gebärzwang befürworteten.» Beim Social Freezing halte sie dies aber für weniger ausgeprägt als bei anderen reproduktionsmedizinischen Eingriffen. «Es ist eher ein Versprechen von Befreiung, das nicht wirklich eingelöst werden kann.» Denn von den herrschenden Verhältnissen und Gegebenheiten können sich Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen, nicht dauerhaft befreien.

«Beim Social Freezing handelt es sich, wie so oft in diesem Bereich, um die technische Lösung eines sozialen Problems», so Perler. Aktuelle feministische Forschung zum Thema ordne das Phänomen denn auch in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext ein und liefere etwa Antworten auf die Frage, weshalb die Nachfrage nach Social Freezing so gross sei. «Das hat zum einen viel damit zu tun, dass Beruf und Familie nach wie vor schwer zu vereinbaren sind.» Zum anderen liege der Trend auch in der Biologisierung der Familie begründet, glaubt Perler. Denn abgesehen von wenigen Ausnahmen sei die Kernfamilie noch immer der absolute Standard. «Wenn wir uns andere Strukturen vorstellen könnten, in denen Familie gelebt werden kann, würden sich auch hinsichtlich Elternschaft andere Möglichkeiten eröffnen.»

Silvana Peters beurteilt ihre eigene Situation reflektiert. Sie betont, dass ihre Lebensumstände und ihr Geschlecht sie zur Entscheidung gebracht hätten, ihre Eizellen einzufrieren – und dass sie das auch genervt habe. «Wäre ich ein cis Mann, dann hätte ich mir nicht mit 35 diese Gedanken machen müssen!» Und obwohl sie sehr froh sei darüber, diese Möglichkeit gehabt zu haben, sagt sie mit hochgezogener Augenbraue: «Seien wir ehrlich: Niemand zahlt aus Spass so viel Geld, lässt sich zwei Wochen lang quasi medizinisch betreuen und dann noch einen Eingriff über sich ergehen.» Sie sei froh, sich für eine Weile nicht mehr mit dem Thema beschäftigen zu müssen und sich auf ihre Dissertation konzentrieren zu können. «Für mich ist die Sache für den Moment erledigt.»

* Name geändert.