Kino-Film «Vakuum»: Ein Befund, der alles ändert
«Früher wusste ich einfach, wie reden», sagt sie. «Ich wusste, wer du bist, ich wusste, wer ich bin. Wir hatten eine Sprache. Jetzt, seit dieser Sache, weiss ich es nicht mehr.» Die Frau sitzt mit ihrem Mann beim Arzt, die Kamera ist nah auf ihrem Gesicht. Meredith ringt mit den Worten, stockt, schweigt. Es ist das erste Mal, dass das Paar seit «dieser Sache» überhaupt miteinander redet – wenn auch nur ansatzweise. «Diese Sache» ist Merediths HIV-Infektion.
Christine Repond erzählt in «Vakuum» von einem ins Alter gekommenen Paar, dessen gemeinsames Leben durch diesen Befund komplett aus der Bahn gerät. Seit 35 Jahren ist Meredith (Barbara Auer) mit dem mittlerweile erfolgreichen Architekten André (Robert Hunger-Bühler) zusammen. Sie führt ein unspektakuläres, aber ganz glückliches Leben in einer grossen Villa in einem Zürcher Vorort. Dazu gehören das Tennisspielen mit Freundinnen, die Abendessen mit den Geschäftspartnern des Mannes sowie das regelmässige Hüten der beiden Enkelkinder. Als sie mitten in den Vorbereitungen ihres 35-Jahr-Jubiläumsfests die Diagnose erhält, ist sie überzeugt, dass es sich um eine Verwechslung handeln müsse. Doch als sie realisiert, dass ihr Mann sie infiziert hat, fällt ihre ganze Existenz in sich zusammen.
Repond macht in ihrem zweiten Spielfilm alles richtig: Sie hat die Hauptrollen mit zwei grossartigen CharakterdarstellerInnen besetzt, sparsam eingesetzte Songs von Ane Brun oder Warpaint kontrastieren wirkungsvoll mit dem dezenten Sounddesign, und Kamerafrau Aline Laszlo fängt Bilder ein, die sich einprägen. Die Kamera ist meist statisch, immer wieder ruht sie auf Auers ausdrucksstarkem Gesicht. Ein Stirnrunzeln oder ein Zucken um ihren Mund sagen mehr als jedes Wort. Überhaupt dieser Mut zur Stille: Da wird nichts kaputtgeredet in diesem Film, es gibt keine aufgesetzt wirkenden schweizerdeutschen Dialoge, die einem die Schamröte ins Gesicht treiben.
Das Vakuum, in das Meredith nach der Diagnose fällt, zeigt Repond immer wieder in bestechenden Bildern: Meredith, wie sie die von André gebastelten Modellhäuser langsam zwischen ihren Fingern zerdrückt, die elektrischen Storen, die geräuschvoll herunterfahren, als sie zum ersten Mal ihre Medikamente einnimmt, die leere Autobahn bei Nacht.
In Reponds winterlichem Erstling «Silberwald» (2012), der von der Radikalisierung eines Jugendlichen in der rechtsextremen Szene im Emmental erzählt, waren Eis, Schnee und Kälte wichtige Elemente, in «Vakuum» ist es jetzt der Herbst: Die Sonne scheint kaum, es regnet oft, Laub liegt im leeren Swimmingpool, die Bäume sind kahl, und immer wieder ist es neblig. Es ist, als ob sich Merediths Gemütszustand, über den sie nicht sprechen kann, in der Landschaft spiegeln würde.
In: Solothurn, Konzertsaal, Sa, 27. Januar 2018, 14.30 Uhr; Reithalle, Di, 30. Januar 2018, 14.45 Uhr.
Vakuum. Regie: Christine Repond. Schweiz 2017