«Neue Wege»: Relaunch mit Gretchenfrage
Die Zeitschrift des religiösen Sozialismus versucht, einen breiteren Pfad zu beschreiten. Zwischen religiösem Engagement und Kapitalismuskritik will sie noch aktueller vermitteln.
Sie kommen luftiger daher, stechen mehr ins Auge. Die «Neuen Wege» haben sich ein neues Erscheinungsbild gegeben. Damit will sich die Zeitschrift der religiös-sozialistischen Bewegung erneuern.
Es ist eine untergründige, unverbrüchliche Tradition. Getreulich hat der religiöse Sozialismus linke Anliegen begleitet und Bewegungen mitgetragen. Einst etwa eine engagierte Sozialpolitik und eine ethisch fundierte Aufwertung der Arbeit und Wirtschaftsdemokratie, in den letzten Jahrzehnten eine widerständige Asylpolitik, die Solidarität mit Ländern des Globalen Südens oder ökologische Anliegen. Die «Neuen Wege» befördern solche Bestrebungen seit dem Jahr 1906, als sie vom charismatischen Theologen Leonhard Ragaz (1868–1945) mitbegründet wurden. 112 Jahre jung, sind sie eine der ältesten, wenn nicht die älteste Monatszeitschrift der Schweiz.
Kritik als Haltung
In den letzten Jahren hat es eine vorsichtige Erneuerung und Verjüngung gegeben, vor allem eine neue Redaktionsleitung. Gegenwärtig zeichnen Matthias Hui und Laura Lots dafür verantwortlich, ergänzt von einem Redaktionsstab, in dem sich langjährige MitarbeiterInnen mit jüngeren mischen. Das religiös-soziale Umfeld ist gleich geblieben. Die Konstruktion einer unabhängigen TrägerInnenschaft ist gleich geblieben. Die «Neuen Wege» sind ein Nischenprodukt mit einer Druckauflage von 1500 Exemplaren, davon 1200 Abonnements, Tendenz abnehmend. Sie brauchen neue Aufmerksamkeit, ein neues Publikum.
Seit etlichen Jahren kam die Zeitschrift auf dem Titelblatt in sattem, strengem Rot daher, etwas geschlossen und hermetisch. Das ist im neuen Layout des Grafikateliers Bonbon aufgelockert, zugleich wird der Inhalt auf der Titelseite prominent präsentiert. Der Untertitel ist zum Dreiklang geworden: «Religion. Sozialismus. Kritik». Die beiden Grundpfeiler Religion und Sozialismus sind ergänzt durch die Kritik als Haltung.
Der Relaunch ist mit der Gretchenfrage «Genossin, Genosse, wie hast du’s mit der Religion?» verbunden worden. Am entsprechenden Fest wurde die Frage von acht Prominenten beantwortet, von SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr über Schriftsteller Gerhard Meister und Historiker Jo Lang bis zur palästinensischen Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser. Dass sie so gestellt werden muss, weist auf ein Dilemma und eine gewisse Schieflage hin. Das religiöse Fundament mag ein soziales Engagement selbstverständlicher begründen, als dem sozial Engagierten ein Glaube zugekommen ist. Da will die Zeitschrift dringlich «Brücken bauen».
Von oben und unten
Die Nummer 5/18 hat sich der Fragestellung von oben genähert: Kritik der Religion als gesellschaftlicher Wirkungsmacht. Franz Hinkelammert befragt sie unerbittlich befreiungstheologisch, Wolfgang Fritz Haug in ihrer ideologisch zweideutigen Funktion. Die Nummer 6/18 nähert sich von unten: Wie steht es mit der konkreten Bibellektüre? Wie sie abhandengekommen ist, schildert Brigitte Kahl, und dass die Bibel ein archaisches Buch ist, das nur durch die Figur von Jesus erträglich wird, befindet Eugen Drewermann.
Die «Neuen Wege» setzen in dieser Situation weiterhin aufs Wort, auf die Sprache. Keine zufälligen Fotografien als verlegener Schmuck der Artikel. Jedes Heft enthält allerdings einen eigenständigen Bildbeitrag. Ansonsten geht es um eine klar gegliederte Mischung, die vier bis fünf Hauptartikel umgeben von Kurzfutter, unvermeidlichen Kolumnen, Film- und Buchbesprechungen. Bei den übergreifenden Heftthemen wird noch ein wenig modisch geklappert: «Reclaim the bible» muss das Unterfangen einer aktualisierten Bibellektüre nicht wirklich heissen; und die Emojis als Schmuckelement der zweiten Nummer seien mit Schweigen übergangen.
Neben der Aktualisierung wird die Tradition nicht vergessen. Seit kürzerem sind alle bisherigen Nummern der «Neuen Wege» im E-periodica-Archiv der ETH Zürich abrufbar. Als Archiv der jüngsten veröffentlichten Aufsätze dient zudem die modernisierte Website. Die bietet auch einen nützlichen Veranstaltungskalender. Überhaupt wollen die «Neuen Wege» vermehrt mit Veranstaltungen an die Öffentlichkeit treten. Brücken bauen eben.