Rüstungsindustrie: Jobs und Panzerwagen
Die Schweizer Rüstungsindustrie ist für das Land ökonomisch unbedeutend. In manchen Regionen spielen ihre Arbeitsplätze aber eine wichtige Rolle. Zu Besuch in Kreuzlingen, von wo der Radpanzerhersteller Mowag sein Kriegsgerät in die ganze Welt exportiert.
Die Motorwagen-Fabrik (Mowag) ist seit ihrer Neugründung im Jahr 1950 ein Vorzeigebetrieb und in der Region mit 820 Arbeitsplätzen der grösste Arbeitgeber. In der Bevölkerung geniesst der Betrieb einen guten Ruf: Er bietet qualifizierte Arbeitsplätze und profiliert sich als Ausbildungsstätte.
Derzeit bildet die Mowag 39 Lehrlinge aus. Ausserdem vergibt sie schweizweit an über tausend Zulieferfirmen jährlich Aufträge in der Grössenordnung von 100 bis 200 Millionen Franken. Im Thurgau gehen gemäss dem kantonalen Amt für Wirtschaft Aufträge an rund 350 Betriebe. Das sind weitere 1000 bis 1500 Arbeitsplätze, die von der Auftragslage der Mowag abhängig sind. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind also nicht zu unterschätzen. Daher lösen rüstungskritische Initiativen im Thurgau heftige Gegenwehr aus.
«Eine heisse Kartoffel»
Davon weiss Dino Lioi, Gewerkschaftsbundpräsident von Kreuzlingen und SP-Gemeindeparlamentarier, ein Lied zu singen. Er sagt: «Wer nicht vorbehaltlos hinter dem Export von Panzerfahrzeugen steht, wird als Arbeitsplatzvernichter angeprangert. Die Mowag ist eine heisse Kartoffel, an der man sich die Finger verbrennen kann.» Das war auch 2009 so, im Vorfeld der letztlich abgelehnten GSoA-Initiative über ein Waffenausfuhrverbot. Damals beschloss die Gewerkschaft Unia Stimmfreigabe. Das wurde in der Belegschaft als Ja zur Initiative interpretiert. Als Gewerkschafter war Dino Lioi gegen ein Exportverbot. «Ich habe mich in vierzig Jahren Gewerkschaftsarbeit immer für die Arbeitsplätze meiner Kollegen eingesetzt, aber sie glaubten mir nicht.» Damals traten etwa sechzig Mowag-Arbeiter aus der Gewerkschaft aus. Inzwischen hat die Unia in der Mowag auch keine Vertrauensleute mehr.
Das Thema Rüstungsexport ist wieder brandaktuell, nachdem sich der Bundesrat für eine Lockerung der Exportbedingungen ausgesprochen hat. Vergangenes Jahr wurden dreizehn Manager der Rüstungsindustrie auch bei der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats vorstellig, darunter Mowag-CEO Oliver Dürr. Sie verlangten eine Lockerung, weil sie sich gegenüber der europäischen Konkurrenz benachteiligt fühlen. Beim Bundesrat fanden sie Gehör. Künftig sollen wieder Exporte in Bürgerkriegsländer, kriegführende Staaten wie Saudi-Arabien oder Militärdiktaturen wie Thailand unter bestimmten Auflagen möglich sein (siehe WOZ Nr. 36/2018 ). Der Bundesrat hält trotz scharfer Kritik bis ins bürgerliche Lager an der Lockerung fest. Der Nationalrat debattierte am Mittwoch darüber (vgl. «Nationalrat will Bundesrat entmachten» im Anschluss an diesen Text).
Zivile Produktion als Ausweg?
Die Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher ist gegen eine Verwässerung der Ausfuhrbestimmungen. Sie anerkennt aber die Leistung der Mowag als guter Arbeitgeber. Die Nationalrätin steht in regelmässigem Kontakt mit der Mowag und versteht die Ängste der Belegschaft vor möglichen Arbeitsplatzverlusten. «Dabei tragen die Auswirkungen der Globalisierung und die Herausforderungen der Digitalisierung ebenfalls zur Verunsicherung bei.»
Die Politikerin hat lobende Worte für die Firmenleitung. «Man merkt, dass sie sich zum Standort bekennt. In Gesprächen habe ich herausgehört, dass bei der Mowag durchaus ein Interesse an der Herstellung ziviler Produkte bestehen würde, doch die Konzernleitung in den USA fokussiert ausschliesslich auf die Rüstungsproduktion.» Dabei könnte die Mowag an die Firmentradition anknüpfen und andere Wege gehen. Ehe sie im Jahr 2003 in einem der weltgrössten Rüstungskonzerne aufging, der US-amerikanischen General Dynamics, und sich zur reinen Rüstungsfirma entwickelte, hatte sie während Jahrzehnten ein starkes Standbein in der zivilen Fertigung. Sie produzierte unter anderem Postfahrzeuge, Feuerwehrautos sowie Ambulanz- und Elektrofahrzeuge. In den achtziger Jahren entwickelte der Thurgauer Betrieb sogar den Prototyp eines Elektroautos.
Blendende Perspektive
Doch ein Zurück zur zivilen Produktion ist kein Thema. Derzeit hat die Mowag ohnehin blendende Aussichten, sogar ohne Lockerung der Exportbestimmungen. 2017 ergatterte sie einen Auftrag der dänischen Armee. Sie kann in den nächsten Jahren 309 gepanzerte Patrouillenfahrzeuge liefern. Auftragsvolumen: 600 Millionen Franken. In diesem Jahr erhielt der Konzern zudem einen Auftrag der rumänischen Armee für die Lieferung von 227 «hochgeschützten Radfahrzeugen». Auftragsvolumen: über eine Milliarde Franken.
Deswegen baut die Mowag aus. In Tägerwilen, eine an Kreuzlingen angrenzende Gemeinde, hat sie bereits eine neue Halle in Betrieb genommen, eine zweite ist noch im Bau. Da das Industrieland, auf dem der neue Gebäudekomplex entsteht, im Besitz der Gemeinde war, musste an der Gemeindeversammlung darüber abgestimmt werden. Es gab zwei, drei kritische Stimmen. Aber das Geschäft wurde dann mit erdrückender Mehrheit durchgewinkt. Ende 2020 wird die Mowag darum rund 1000 Leute beschäftigen, 200 mehr als heute.
Dennoch setzt sich CEO Oliver Dürr für eine Lockerung ein. Er räumt gegenüber der WOZ zwar schriftlich ein, dass «wir kurzfristig nicht direkt von einer Anpassung der Kriegsmaterialverordnung abhängig sind». Aber mittel- und langfristig würden sich die Marktchancen «deutlich verschlechtern». Das führe schliesslich zu weniger Aufträgen und sinkender Beschäftigung bei der Mowag und ihren Zulieferbetrieben. Bei der vorgesehenen Lockerung handle es sich schliesslich nicht um eine generelle Exporterleichterung. Einzelfallprüfungen sollen anstelle «eines kategorischen Ausschlusskriteriums für Exporte» möglich sein. Diese Einzelfallprüfung, argumentiert Dürr, würde die Marktchancen im Vergleich zu anderen europäischen Mitbewerbern «etwas ausgleichen». Er verweist auf ein Beispiel: Vor rund zwei Jahren durfte die Mowag kein Radfahrzeug zu Testzwecken nach Katar liefern. Den Zuschlag für den langjährigen Auftrag erhielten schliesslich Unternehmen aus Frankreich und Norwegen.
Moralische Bedenken hat der CEO nicht. Die gepanzerten Radfahrzeuge würden für den «bestmöglichen Schutz» von SoldatInnen sorgen, damit sie wieder «gesund zu ihren Familien zurückkehren dürfen. Daher kann ich persönlich die Frage nach Moral und Ethik unseres Geschäftes absolut positiv beurteilen.»
Kein Klumpenrisiko
Die Mowag ist zwar in der Region Kreuzlingen der grösste Arbeitgeber. Eine erhebliche Abhängigkeit von diesen Arbeitsplätzen besteht für die 22 000 EinwohnerInnen zählende Gemeinde am Bodensee aber nicht. In der Stadt gibt es rund tausend Betriebe, die etwa 10 000 Menschen beschäftigen. Ein Gespräch mit Gemeindepräsident Thomas Niederberger über das Thema war nicht möglich. Er liess ausrichten, er habe zu viel zu tun. Mit Verweis auf die Arbeitsbelastung war auch Mowag-CEO Oliver Dürr nicht zu sprechen. Dafür redet der SP-Fraktionschef des Gemeindeparlaments. Ruedi Herzog sagt: «Politisch können wir auf Gemeindeebene nichts entscheiden, aber natürlich ist die Lockerung der Kriegsmaterialverordnung in der Fraktion ein Thema.» Die Mehrheit der stärksten Fraktion in Kreuzlingen denkt wie er: Exporte sollen möglich sein, aber eine Lockerung lehnen sie ab.
Radikale RüstungsgegnerInnen sind im Ort dünn gesät. Einer von ihnen ist Julian Fitze, Parteisekretär der SP-Kantonalpartei. Er engagierte sich für die GSoA-Initiative im Jahr 2009 und als Mitorganisator einer Demonstration im Jahr 2015. Heute sieht er das Thema differenzierter: «Wenn wir den Ausstieg aus der Rüstungsproduktion verlangen, muss man die Mitarbeitenden dieser Firmen unterstützen, damit sie in der zivilen Industrie Fuss fassen können.»
Damals bewilligte die Gemeinde Kreuzlingen zwar die Demonstration, an der gerade mal rund sechzig Leute teilnahmen. Allerdings machte die Gemeinde eine kuriose Auflage: Statt vor dem direkt an der Strasse gelegenen Mowag-Gebäude mussten die DemonstrantInnen mit einem schlecht einsehbaren Parkplatz auf dem Firmengelände vorliebnehmen. Versuche, doch noch an der gut einsehbaren Strasse ihre Transparente hochzuhalten, unterband die Polizei.
Waffenexporte : Nationalrat will Bundesrat entmachten
Der Nationalrat stimmte am Mittwoch nach einer dringlichen Debatte über Waffenexporte mit 97 : 82 Stimmen (bei 11 Enthaltungen) einer Motion der BDP zu. Demnach soll künftig nicht mehr der Bundesrat auf dem Verordnungsweg über die Bewilligungskriterien von Waffenexporten befinden, sondern das Parlament via Änderungen des Kriegsmaterialgesetzes. Die Motion will ausserdem den Export von Gütern, die sowohl zivil wie auch militärisch verwendet werden können (Dual-Use-Güter), strenger kontrollieren. Daher sollen die Exportkriterien im Güterkontrollgesetz jenen des Kriegsmaterialgesetzes angeglichen werden.
Allerdings ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. In der Wintersession geht das Geschäft in den Ständerat. Bis zum endgültigen Entscheid hat der Bundesrat «aus institutionellem Respekt» die von ihm vorgesehene Lockerung der Kriegsmaterialverordnung ausgesetzt.
In der Debatte hatte sich der Bundesrat gegen die Motion ausgesprochen und wurde dabei von VertreterInnen der FDP und der SVP unterstützt. Die Linke kritisierte ihn hingegen scharf. Der Weg des Bundesrats gefährde den guten Ruf der Schweiz und gewichte den Profit höher als die humanitäre Tradition. Auch die Mehrheit der CVP-Fraktion stimmte für die Motion. Im Ständerat wird der Vorstoss allerdings einen ungleich schwereren Stand haben. Dort sitzen CVP-StandesvertreterInnen, die wahrscheinlich den Interessen der Rüstungsindustrie und der Sicherung von Arbeitsplätzen höhere Priorität geben als humanitären Anliegen.
Andreas Fagetti