Landwirtschaftsabstimmungen: Raus aus dem Agrar-Irrweg!

Nr. 36 –

Oft ist die direkte Demokratie für Linke ein Ärgernis: ein Einfallstor für Vorlagen, die die Menschenrechte gefährden. Aber manchmal führt das Initiativrecht auch zu interessanten Störungen, die alte Gewissheiten infrage stellen. Zurzeit geschieht das mit den beiden Agrarinitiativen «für Ernährungssouveränität» der bäuerlichen Gewerkschaft Uniterre und «Fair Food» der Grünen, die am 23. September an die Urne kommen. Da beginnen sich gerade einige zu fragen: Vertritt die SVP mit ihren Nein-Parolen wirklich die Interessen der Bäuerinnen und Bauern?

SRF-Moderator Jonas Projer hatte grosse Mühe, für die «Arena» zur Ernährungssouveränität einen SVP-Vertreter zu finden. Kein Wunder: Wie hätten prominente rechte Agrarpolitiker auch gegen die Forderung nach besseren ProduzentInnenpreisen argumentieren sollen? Das wäre bei den eigenen bäuerlichen WählerInnen nicht gut angekommen.

Ein Teil der SVP-Basis hegt laut Umfragen durchaus Sympathien für die Agrarinitiativen. Das mag auch am Wort «Souveränität» liegen, das die europäische Rechte in den letzten Jahren gern und oft verwendet. Aber das Konzept der Ernährungssouveränität hat nichts damit zu tun: Die weltweite bäuerliche Bewegung La Via Campesina hat es schon vor mehr als zwanzig Jahren entwickelt. Ernährungssouveränität betont das Recht auf eine demokratische Agrarpolitik, Zugang zu Produktionsmitteln wie Land und Saatgut und den Schutz vor Dumping.

Letzteres ist ein Kernpunkt: Staaten sollen das Recht haben, ihre Landwirtschaft mit Zöllen vor Billigimporten zu schützen. Gleichzeitig sind sie verpflichtet, selbst keine Lebensmittel verbilligt zu exportieren. Ernährungssouveränität kommt also nicht ohne Zölle und damit auch nicht ohne Grenzen aus – aber der Hintergedanke ist nicht nationalistisch, sondern solidarisch. Denn die Produktionsbedingungen der BäuerInnen sind global so verschieden, dass schrankenloser Freihandel gnadenlos jene bevorteilt, die am billigsten und rücksichtslosesten produzieren (siehe WOZ Nr. 34/2018 ).

SP und Grüne befürworten beide Vorlagen. Eine SP-Minderheit und der Umweltverband Pro Natura lehnen die Uniterre-Initiative allerdings ab. Weil im Initiativtext die «Versorgung mit überwiegend einheimischen Lebens- und Futtermitteln» betont wird, befürchten sie, dass ein Ja zu einer umweltschädlichen Intensivierung der Schweizer Landwirtschaft führen könnte. Doch das ist überhaupt nicht im Sinn der Initiative – schliesslich fordert sie auch eine Schonung der natürlichen Ressourcen, ein Verbot der Gentechnik im Agrarbereich und mehr Menschen in der Landwirtschaft, also eine arbeitsintensivere Produktion, die weniger vom Erdöl abhängig ist.

Die Initiative führt zu Missverständnissen, weil sich in der Deutschschweiz aus historischen Gründen oft zwei agrarpolitische Lager gegenüberstehen: Die SP, Umweltverbände und der Branchenverband Bio Suisse fordern mehr Ökologie, aber pflegen eine Marktrhetorik, die manchmal fast neoliberal daherkommt. Die SVP will möglichst viel produzieren, bekämpft ökologische Vorhaben und fordert Grenzschutz. Die VerfechterInnen der Ernährungssouveränität stehen quer zu diesen Lagern. Sie wollen nicht möglichst viel produzieren – das ist ein Irrweg, der nur der Lebensmittelindustrie nützt –, sondern schonend, aber zu besseren Preisen. Der Bund soll Rahmenbedingungen für fairere Verhandlungen mit Abnehmerfirmen schaffen und den Direktverkauf fördern, mit dem mehr Arbeit und Wertschöpfung auf die Höfe kommt. So kann das bäuerliche Einkommen steigen – nicht auf Kosten der KonsumentInnen, sondern auf Kosten des Zwischenhandels.

Die Fair-Food-Initiative der Grünen ist eine gute Ergänzung dazu. Sie hat vor allem zum Ziel, dass die ökologischen und sozialen Standards steigen, bei Schweizer wie bei importierten Lebensmitteln. Die Schweiz ist ein kleiner Markt, aber ein Zeichen wäre es trotzdem: Auch jene, die unseren Kaffee, unseren Kakao und unsere Tomaten produzieren, sollen davon gut leben können.