Küchenpsychologie: Leistungsfähigkeit als oberstes Primat

Nr. 42 –

Politgeografie als neue Königsdisziplin? So scheint es zumindest angesichts der unzähligen Umfrageresultate zu diesem und jenem, die aus der Küche von Michael Hermanns Forschungsbüro Sotomo dampfen, um alsgleich im Gestus eines Primeurs auf Titelseiten zu stehen.

Letzte Woche gab es wieder mal Alarm. «Nur wenige Schweizer kommen ohne seelische Krise durchs Leben» lautete der schockierende Titel in der NZZ. Das Material dazu lieferte eine Sotomo-Studie im Auftrag von Pro Mente Sana. Titel: «Ein psychisches Stimmungsbild der Schweiz». Doch man fragt sich, was das für einen Erkenntnisgewinn liefern soll, wenn fast zwei Drittel der Befragten angaben, dass sie «in ihrem Leben schon Phasen hatten, in denen es ihnen über längere Zeit stimmungsmässig nicht gut ging». Als ob es nicht durchaus menschlich wäre, nicht ganz ohne Krisen durch das Leben zu gehen.

Für ein «psychisches Stimmungsbild der Schweiz» bräuchte es mehr. So darf man neuerdings zwar annehmen, dass 42 Prozent der Befragten in den letzten zwölf Monaten unter «Überbelastung» litten – und Hauptgrund dafür der «Druck am Arbeitsplatz» sei. Doch danach, um was für Arten von Druck es sich handelt und was veränderte Arbeitsbedingungen dabei für eine Rolle spielen, fragt die Studie nicht.

Nun ist dem Ziel von Pro Mente Sana und ihrer Kampagne «Wie geht’s dir?», dass offener über «psychische Probleme» gesprochen wird, gewiss nichts entgegenzuhalten. Zumal die Umfrage ja auch den Befund liefert, dass hierzulande – ausser über den Lohn – über kaum etwas weniger gern gesprochen werde. Doch braucht es dazu eine ökonomische Begründung, wie sie bei der Präsentation der Studie gemacht wurde? Oder erzeugt der Hinweis darauf, dass «unter der Angst vor Stigmatisierung womöglich die Leistungsfähigkeit» leide und der Volkswirtschaft jährliche Kosten von rund zwanzig Milliarden Franken entstehen könnten, nicht noch mehr Druck – vor allem auf all jene, die unter grösseren psychischen Problemen leiden?