Klimapolitik: Kompensieren als Klimakiller
Mit dem neuen CO2-Gesetz will der Bundesrat weiterhin einen Teil der Schweizer Emissionen im Ausland kompensieren. Das wird teuer – und schadet mehr, als es nützt, wie die bisherigen Erfahrungen zeigen.
Warum Wein verkaufen, wenn man auch mit Wasser reich werden kann? Der ehemalige Wall-Street-Analyst Jamal Qureshi verkauft Svalbardi, das wohl teuerste Flaschenwasser der Welt. Es wird auf Spitzbergen aus uralten Eisbergen gewonnen und zu KäuferInnen auf der ganzen Welt geflogen. 85 bis 100 Franken kostet die Flasche. UmweltschützerInnen gegenüber betont Qureshi laut «St. Galler Tagblatt», seine Firma sei nachhaltig: Er kompensiere die Emissionen mit Projekten in Uganda und China.
Dann ist es ja gut. Dann ist das Svalbardi-Wasser ja «klimaneutral».
Wir haben uns längst daran gewöhnt: Wer sich klimaschädlich verhält, kann kompensieren. Bei Myclimate zum Beispiel: 34 Franken kompensieren laut der Schweizer Stiftung einen Economyflug von Zürich nach New York. In noch viel grösserem Stil als Private kompensieren Staaten: Die Schweiz hat sich verpflichtet, bis 2030 den inländischen Ausstoss von Klimagasen im Vergleich zu 1990 zu halbieren. Dreissig Prozent sollen im Inland reduziert, zwanzig im Ausland kompensiert werden. Der WWF schätzt, dass die Schweiz dafür bis 2030 Zertifikate im Wert von mindestens 3,75 Milliarden Franken kaufen muss: eine enorme Summe.
Zertifikate taugen wenig
Es klingt so einfach: Wenn die Schweiz mehr Klimagase ausstösst, als sie sollte, kann sie dafür anderen Ländern beim Klimaschutz helfen. Sie kauft Zertifikate, die zum Beispiel den Bau eines Windkraftwerks in einem afrikanischen Land ermöglichen. Dieses Windkraftwerk ersetzt ein dreckiges Kohlekraftwerk. Dank des Schweizer Geldes landet das CO2 aus dem Kohlekraftwerk nicht in der Luft, dafür darf die Schweiz dieses CO2 ausstossen. So erhalten wir, wie bürgerliche WirtschaftspolitikerInnen gern betonen, sogar «mehr Klimaschutz fürs Geld», weil Investitionen in armen Ländern billiger sind.
In einer vollständig plan- und messbaren, rationalen Welt mit lauter hochmoralischen Menschen würde das vielleicht funktionieren. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Erfahrungen mit Auslandkompensationen sind schlecht. Unter dem Strich trägt Kompensieren sogar zur Erwärmung bei.
Zwei Studien, eine vom Stockholm Environment Institute, die andere vom deutschen Öko-Institut e. V., kommen zum Schluss: Fast drei Viertel der Zertifikate haben keine Emissionsreduktion bewirkt – oder weniger als deklariert. Zusammen mit den Emissionen, die sie kompensieren sollten, war ihr Effekt also nicht «klimaneutral». Die eine Studie untersuchte die Joint Implementation (JI), die andere den sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) – beides Instrumente des Kioto-Protokolls, mit denen Industrieländer im Ausland Zertifikate kaufen können.
Anja Kollmuss ist Klimapolitikspezialistin und Mitautorin der JI-Studie. Heute arbeitet sie für Swisscleantech, den Dachverband der «grünen» Unternehmen. Sie sagt: «Damit Kompensationsprojekte funktionieren, müssen drei Kriterien erfüllt sein: Die Emissionsvermeidung muss richtig berechnet sein. Sie darf nur dem Käuferland angerechnet werden, nicht beiden Ländern. Und sie muss zusätzlich sein, also nicht sowieso stattfinden.»
Wer kompensiert, muss richtig rechnen: Das klingt simpel, ist in der Praxis aber gar nicht so einfach. Zum Beispiel gibt es Projekte zur Sanierung von Abfalldeponien, weil diese oft das klimaschädliche Methan freisetzen. Methan auffangen schützt das Klima. «Aber man kann die vermiedenen Emissionen nicht genau messen, nur schätzen. Wie konservativ schätzt man?»
Der zweite Punkt: Die Reduktion darf nicht doppelt angerechnet werden, sondern nur dem Land, das die Kompensation kauft. Das Verkäuferland muss die verkaufte Kompensation als Emission bilanzieren. In einer Studie für Swisscleantech von 2017 schreibt Kollmuss: «Manche Länder setzen sich Reduktionsziele für ihre gesamte Volkswirtschaft, andere nur für gewisse Klimagase oder Sektoren. (…) Manche haben ein Ziel für 2025, andere für 2030.» Diese «Vielfältigkeit» stelle «eine erhebliche Herausforderung für eine robuste Bilanzierung» dar.
Der dritte Punkt, die Zusätzlichkeit, ist der Kern des Ganzen: Das Geld aus der Kompensation muss das Projekt, das Emissionen vermindert, erst ermöglichen. Dann ist die Reduktion zusätzlich; sie wäre ohne dieses Geld nicht zustande gekommen. Wenn das Windkraftwerk sowieso gebaut wird, mit oder ohne Kompensationsgeld, löst es keine zusätzliche Reduktion aus. Damit ist die «Klimaneutralität» des Zertifikats dahin.
Gerade bei der erneuerbaren Stromproduktion sei die Zusätzlichkeit oft fraglich, sagt Anja Kollmuss. «Man verdient ja etwas mit dem Strom. Je rentabler ein Projekt, desto unwahrscheinlicher ist die Zusätzlichkeit. Man muss beweisen, zum Beispiel mit den Planungsunterlagen, dass das Kraftwerk ohne die Emissionszertifikate nicht gebaut worden wäre.»
Anreiz zum Mogeln
Wer kontrolliert, ob ein Projekt seriös ist? «Die Projektentwickler haben einen Informationsvorsprung», gibt Kollmuss zu bedenken. «Sie können also den Infofluss steuern. Ausserdem werden die Prüfer von den Projektentwicklern bezahlt.»
Man hat aus einem politischen Ziel ein Business gemacht – kein Wunder, dass viele daran verdienen wollen. In Verruf geraten sind etwa Zertifikate für die Vernichtung klimaschädlicher Gase, die in der Industrie entstehen. Denn manche Firmen «optimierten» ihre Prozesse so, dass möglichst viele solche Gase entstanden – die sie dann mit Kompensationsgeldern unschädlich machen konnten. Die Schweiz kompensiert darum nicht in diesem Bereich.
Doch es geht hier nicht nur um einzelne Projekte, sondern um ganze Länder. Denn der Zertifikatshandel kann ein perverser Anreiz für eine Regierung sein: Statt ein ambitioniertes Klimaziel für das eigene Land setzt man ein schwaches – und verkauft die Differenz als Kompensation an reiche Länder. Auf die Spitze getrieben haben das Russland und die Ukraine: Sie setzten Emissionsziele fest, die höher als ihr tatsächlicher Ausstoss lagen, und überschwemmten den Markt mit Zertifikaten. Der Effekt war verheerend: «Es braucht nur wenige Länder mit schwachen Zielen, um die Ziele vieler Länder zu untergraben», schreibt Kollmuss in ihrer Studie. Da ändert es auch nicht viel, dass die Schweiz keine Zertifikate aus diesen Ländern kauft.
Kompensieren im Ausland, muss man nach diesen Erfahrungen sagen, ist der falsche Weg. Trotzdem möchte die Schweiz damit weitermachen – auch nach 2020, unter dem neuen Klimaregime des Pariser Abkommens. «Dabei ist völlig unklar, wie dieser Bereich nach 2020 ausgestaltet wird», kritisiert WWF-Klimaexperte Patrick Hofstetter. «Es ist klar, dass sich der Start verzögern wird – doch für den Klimaschutz zählt jedes Jahr.»
Die Schweiz hat sich in den Verhandlungen zum Pariser Klimaabkommen vehement dafür eingesetzt, dass weiterhin kompensiert werden kann – obwohl das dem Kern des Abkommens widerspricht: Um unter 1,5 oder wenigstens 2 Grad Erwärmung zu bleiben, müssen alle Länder ihre Emissionen aus fossilen Quellen bis 2050 auf null bringen. Da gibt es kein Ausland mehr, in das man auslagern kann. Nur noch wenige Länder, etwa Japan und Südkorea, wollen es machen wie die Schweiz. Die EU setzt auf Reduktionen in den eigenen Ländern.
Die Schweiz solle die Reduktionen im Inland vorantreiben, fordert Hofstetter. «Minus sechzig statt fünfzig Prozent bis 2030, im Inland statt im Ausland», betont auch Regula Rytz, die Präsidentin der Grünen. «Es ist absurd, im Ausland zu investieren und zu Hause weiterhin auf Ölheizungen, Verbrennungsmotoren und Strassenbau zu setzen. Wir brauchen den Umbau zu einer fossilfreien Wirtschaft hier.»
Ein offener Brief ruft dazu auf, die Kompensationspolitik zu beenden: https://docs.google.com/document/d/1vIvLdB1an2TorlKWcsUduz7l5jy3ZGeqwlP…
Ungenügendes Gesetz
Ab 3. Dezember diskutiert der Nationalrat über das neue CO2-Gesetz. Laut Bundesrat ist es das «Herzstück der Schweizer Klimapolitik». Aus umweltpolitischer Sicht ist der Entwurf ungenügend: So setzt der Bund weiterhin auf das ineffiziente Kompensieren von Emissionen im Ausland.
Auch weitere wichtige Verbesserungen wie eine Ausweitung der CO2-Abgabe auf Treibstoffe fehlen; zudem hat die vorberatende Umweltkommission des Nationalrats die Vorlage teils verwässert, etwa bei den Vorschriften über die Emissionen von Heizungen.