Irena Brežná: «Ich will die Dinge nicht zusammenkleben ...»

Nr. 49 –

Irena Brežná führte ein Leben im Schwebezustand der emigrantischen Existenz. Die Sprache ist für sie auch ein Ersatz für die Steine, die sie damals nicht nach den sowjetischen Panzern geworfen hat.

Der Sammelband aus Erinnerungstexten und Reportagen von Irena Brežná dokumentiert einen beeindruckenden Lebenszusammenhang und ein kontinuierliches Engagement über fünfzig Jahre hinweg. Jederzeit von persönlichen Erfahrungen ausgehend, reflektiert und verallgemeinert die Schriftstellerin und Journalistin ihre Existenz als Emigrantin, die sich in der Sprache vielfältige Heimaten und eine hybride Identität schafft.

Aufgewachsen im realsozialistischen Bratislava, schmeckt die Achtzehnjährige im Prager Frühling zum ersten Mal die politische Freiheit. Im August 1968 weilt sie in einem Sommerlager in Bordeaux; nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in der Tschechoslowakei bleibt sie mit den Eltern im Westen. Von Bekannten in Paris nach Wien weitergereicht, reist sie via Durchgangslager Buchs in Basel ein. Die ersten Jahre sind eine «finstere Zeit»; zwar fühlt sich Brežná den links engagierten StudentInnen in ihrer Aufbruchstimmung verbunden, bleibt aber angesichts der eigenen abschreckenden Erlebnisse in der realsozialistischen Tschechoslowakei auf Distanz. Dennoch, oder gerade deshalb, billigt sie der Uni zu, sie habe dort «denken gelernt, mich reibend an all den Widersprüchen jener Zeit».

Danach arbeitet sie als Übersetzerin und Psychologin. Die Solidarnosc-Bewegung in Polen ermöglicht ihr durch die sprachliche und kulturelle Rückbindung an ihre Heimat erstmals eine öffentliche politische Solidaritätsarbeit. Im Rahmen von Amnesty International unterstützt sie Dissidente im Ostblock, beginnt zugleich, journalistisch zu arbeiten und, von der Frauenbewegung ermutigt, erste Bücher zu veröffentlichen. Aus dieser Zeit stammen einige Porträts ihrer Heldinnen und Helden, von Andrei Sinjawski über Larissa Bogoras bis zu Friedrich Dürrenmatt.

Die Zeitenwende von 1989 erlebt Brežná vorerst als neue Hoffnung, sie organisiert Hilfsmittel für eine unabhängige Presse und Bürgerforen in Bratislava. Später lernt sie die Geheimakten des Vaters kennen, der selbst kurze Zeit als Informant tätig war, dann lange Jahre bespitzelt wurde. Anhand eines Gesprächs mit dem späteren Denunzianten des Vaters schildert sie differenziert die Mechanismen der Anbiederung an die Macht.

Solidarität mit Tschetschenien

Eine zentrale Erfahrung ist für Brežná der russische Einmarsch in Tschetschenien. Im März 1996 geht sie auf Reportage, die Gewalt und den Tod vor Augen. In ihrem Text bedenkt sie, was und wie zu berichten ist: «Ich will die Dinge nicht zusammenkleben, ihre Zerrissenheit nicht verbergen, nicht Ganzheit vortäuschen, so wie ich selbst nicht als unversehrt gelten will.» Die Unterstützung der tschetschenischen Seite gegen den russischen Angriff ist, wie sie sich eingesteht, auch eine Art Ersatzwiderstand für das, was sie im August 1968 gewollt, aber nicht gekonnt hat: Steine gegen russische Panzer werfen. Da bürdet sie der Sprache grosse Erwartungen auf: «Nun bin ich bewandert im Wortwurf, meine Steinsprache eignet sich für den Kampf.»

Ebenso überhöht wird zunächst das «tapfere», «freiheitsliebende» tschetschenische Volk. Nach einem quasi offiziellen Staatsbesuch im kurzfristig selbstständigen Staat entwirft Brežná ein eindrückliches Porträt ihres Leibwächters, der ganz in seiner Funktion als männlicher Schutzschild aufgeht und dabei selbst versteinert. Eine allzu heroische Sicht der tschetschenischen Gesellschaft korrigiert sie später, wenn sie die patriarchalen, zunehmend islamistisch verschärften Sitten schildert, die die Frauen gefangen halten, ja ihnen die Leidensfähigkeit als falschen Heroismus aufzwingen.

Die Sprache – besser die Sprachen: Sie erlauben Brežná ein mehrfaches Zuhause. Wenn sie die Ambivalenzen der Schweiz als Einwanderungsland schildert, geht es ihr darum, «sich nicht am Boden niederzulassen, sondern den Schwebezustand auszuhalten». Dafür gibt es, wie sie vermerkt, neue Konzepte und Begriffe: «hybride, offene, fluide Identität, transnationale Selbstverständlichkeit, Dritter Raum». Zuweilen schwankt sie, ob sie sich als Vertreterin des Multikulturalismus vereinnahmen lassen soll – das wäre seinerseits eine Festlegung und Setzung. Gegen nationalistische Tendenzen in den osteuropäischen Staaten gelte es jedoch, entschieden am europäischen Zusammenhalt festzuhalten. In schwächeren Texten zu Weissrussland oder zu Schweden fällt Brežná allerdings selbst auf eher konventionelle Zuschreibungen kultureller Mentalitäten zurück.

Den Anstand einfordern

Und ihr Ton scheppert ein bisschen, wenn sie gegen die Fällung zweier Pappeln in ihrer Nachbarschaft durch die «Ökoterroristen» der Basler Stadtverwaltung kämpft: «Ich habe in die Machtfratze geblickt, sah Lüge und Kleinmut.» Ungleich gewichtiger ist es, wenn sie den jüngsten Aufbruch in der Slowakei beschreibt. Da schliesst sich ein Kreis: «Die slowakischen Medienschaffenden sind sich ihrer wachsenden Verantwortung bewusst geworden.» Sprache ist jetzt wieder Hoffnung; gegen die Lügen und die Korruption ist der Anstand einzufordern, wobei der nicht – wie in der slowakischen Sprache angelegt – zum Gehorsam, sondern zum Aufstand werden soll.

Irena Brežná: Wie ich auf die Welt kam. In der Sprache zu Hause. Rotpunktverlag. Zürich 2018. 190 Seiten. 28 Franken