Entwicklung und Zusammenarbeit: Cassis’ krude Vermischungen
Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit soll in Zukunft noch stärker den Interessen der Schweiz dienen. Das schien die zentrale Botschaft von Aussenminister Ignazio Cassis, als er vergangene Woche die Grundlagen der Strategie für die Jahre 2021 bis 2024 erläuterte und in die Vernehmlassung schickte.
Insbesondere die «migrationspolitischen Interessen der Schweiz» will der Bundesrat berücksichtigt wissen. Dabei beruft er sich auf einen entsprechenden «Auftrag» des bürgerlich dominierten Parlaments. Innenpolitisch ist dieser Fokus also keine Überraschung. Entwicklungspolitisch ist er eine Dummheit.
Die Strategie legt den Einsatz von Mitteln fest, die offiziell als «öffentliche Entwicklungshilfe» ausgewiesen werden, aber auch die humanitäre Hilfe in Krisenregionen und ein Friedensförderungsprogramm umfassen. Während die derzeit noch gültige Strategie sieben konkrete Ziele definiert, die in der Kernkompetenz der Akteure der internationalen Zusammenarbeit liegen, müssen nun vier schwammige Themenfelder herhalten: wirtschaftliche Entwicklung (hervorgehoben wird dabei die Schaffung von Arbeitsplätzen), Umwelt (mit Schwerpunkt Klimawandel), menschliche Entwicklung («Ursachen von Zwangsmigration und irregulärer Migration reduzieren») sowie Frieden und Gouvernanz.
Entscheidender für die Neuausrichtung ist wohl, dass neben den Bedürfnissen in den Entwicklungsländern zwei weitere Kriterien gleichberechtigt gelten sollen: die «Swissness», die für den komparativen Vorteil der Schweiz gegenüber anderen Geberländern steht, und die Schweizer Eigeninteressen, unter die gemäss Erläuterungen auch die «Migration», das «Klima» und ein «stabiles Investitionsumfeld» fallen.
Das ist keine Grundlage für eine Strategie, sondern eine krude Vermischung von zuweilen widersprüchlichen Zielen und Kriterien. Entwicklungsländer zeichnen sich fast per Definition durch ein instabiles Investitionsumfeld aus. Ist es anders, sorgt wahrscheinlich eine autoritäre Regierung dafür, die allerdings auch «Ursachen für Flucht und Vertreibung» schaffen dürfte.
Echte «Swissness» bei der Bekämpfung von Fluchtgründen läge darin, die Fluchtgelder einzudämmen. Dass der afrikanische Kontinent unter einer immensen Kapitalflucht leidet, wird im Strategieentwurf zwar erwähnt – aber nicht, dass die Schweiz davon besonders stark profitiert: über ein Rohstoffunternehmen wie Glencore etwa, das seine in Sambia erwirtschafteten Gewinne durch Buchhaltungstricks in den Kanton Zug transferiert und dort bevorzugt versteuert.
Die Schweiz könnte zudem jene Staaten im Globalen Süden unterstützen, die die meisten ArmutsmigrantInnen beherbergen. Dazu steht in der Strategie jedoch nichts Konkretes. Gar unerwähnt bleibt der wissenschaftlich erhärtete Zielkonflikt zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Abschottungspolitik: Erst wenn eine Gesellschaft einen gewissen Lebensstandard erreicht hat, wird eine teure Reise nach Europa überhaupt denkbar.
Diese Fakten sind für die Abschottungsfraktion in der Schweiz aber ohnehin nicht relevant. Zentral scheint für sie das Ziel, weitere «Migrationsabkommen» abzuschliessen, die die Ausschaffung abgewiesener Asylsuchender und «irregulärer Migranten» in die Herkunftsländer erleichtern. Dafür will der Bundesrat einen Teil der Entwicklungshilfegelder abzweigen. Die Zweckentfremdung dieser Mittel hat System. Auch die internationalen Verpflichtungen im Klimabereich will der Bundesrat hauptsächlich aus diesem Topf finanzieren.
Natürlich soll die Reduktion von Fluchtursachen und der Klimaerwärmung Teil der Entwicklungspolitik sein. Aber die Schweiz, die solche Probleme mitverursacht, muss sich endlich selbst als Land begreifen, das sich selber weiterentwickeln muss. Das wäre durch die «Agenda 2030» eigentlich vorgegeben. 2015 rühmte sich der Bundesrat, diese nachhaltigen Entwicklungsziele der Uno massgeblich geprägt zu haben.
Immerhin hat der Bundesrat nun die Chance, die Vernehmlassung ernst zu nehmen und dem Parlament schliesslich doch noch eine entwicklungspolitische Strategie vorzulegen, die diesen Namen auch verdient.