Steuern: Kleingeist im Finanzdepartement
Die OECD will mit einer internationalen Steuerreform den Kapitalismus retten. Obwohl der Plan auf halbem Weg stehen bleibt, macht Finanzminister Ueli Maurer auf Opposition – gegen die längerfristigen Interessen der Schweiz.
In diesen Tagen wird SVP-Finanzminister Ueli Maurer am G20-Treffen in Washington einem Vortrag von Ángel Gurría lauschen, der ihm nicht gefallen dürfte. Der Generalsekretär der OECD, des Klubs der reichen Industrieländer, plant die grösste globale Steuerreform seit den zwanziger Jahren. Laut Berechnungen des Bundes könnte sie der Schweiz Steuerausfälle zwischen einer halben und fünf Milliarden Franken bringen, vielleicht auch mehr.
Die Herausforderung ist riesig. Wegen der Globalisierung der Kapitalströme, die in den achtziger Jahren eingesetzt hat, haben Regierungen immer mehr Mühe, Steuern zu erheben. Multis verschieben ihre Gewinne dorthin, wo sie kaum etwas bezahlen: in Steuerparadiese wie Hongkong, Irland – oder die Schweiz. Das gilt insbesondere für Techkonzerne wie Google, Amazon, Facebook oder Apple. Denn geistiges Eigentum – etwa in Form von Patenten, aus denen solche Unternehmen ihre Gewinne generieren – lässt sich besonders leicht zwischen Steuerjurisdiktionen verschieben. Hinzu kommt, dass Techfirmen ihre Produkte in den einzelnen Ländern vermarkten, ohne physisch dort präsent zu sein, weshalb sie keine Steuern zahlen.
Das Problem reicht allerdings tiefer. Die Gewinnverschiebungen der Konzerne haben weltweit einen blinden Steuerwettlauf nach unten entfacht. Alle wollen ihren Teil des kleiner werdenden Kuchens. So wurden die Steuersätze für Unternehmen in den OECD-Ländern seit 1980 von durchschnittlich 47 auf 25 Prozent nahezu halbiert – angetrieben von Ländern wie der Schweiz, wo mit dem kürzlich eingeführten Steuer-AHV-Deal und dessen kantonalen Umsetzungen der Steuersatz in den Kantonen auf durchschnittlich 14 Prozent fallen wird. Nach allen Abzügen zahlt ein Konzern damit nur noch ein paar wenige Prozent.
Für die Schweiz ging die Rechnung lange Zeit auf. Sie vermochte genug Multis anzulocken, um auch mit Tiefsteuern ihre Infrastruktur zu finanzieren, die in einem Kleinstaat vergleichsweise billig ist. Doch global sieht es anders aus. Das begreifen inzwischen auch ÖkonomInnen, internationale Organisationen wie der Währungsfonds (IWF) oder Regierungen, die einst dem Steuerwettlauf zum Durchbruch verhalfen. Die Milliarden an zusätzlichen Dividenden, die dieser den AktionärInnen bringt, fehlen den Staaten – die sich das Geld wiederum bei Ersteren leihen. Entsprechend sind die öffentlichen Schulden der G7-Industrienationen seit 1980 von 42 auf 118 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Gleichzeitig sparen die Regierungen bei der Gesundheit, der Bildung oder den Sozialleistungen, was zu wachsender Ungleichheit führt und den Nationalismus befeuert.
Die Steuergeschenke an die AktionärInnen haben zudem zur Anhäufung riesiger privater Vermögen geführt, die die Zinsen weltweit ins Minus drücken, was die Ersparnisse künftiger KleinrentnerInnen dahinschmelzen lässt. Das billige Geld fliesst nicht nur an die bereits überschuldeten Staaten, sondern auch in Immobilien, wo die Mietzinsen explodieren, oder an die Börsen, die ständig neue Rekordmarken erreichen. Irgendwann kommt der nächste Crash. Der Steuerwettlauf droht die Welt zu zerreissen.
Die Schweiz torpediert
Nach der Finanzkrise 2008 hatten sich die Staaten der OECD bereits zu einem Verbot der ärgsten Steuerkonstrukte durchgerungen, dem die Schweiz mit dem Steuer-AHV-Deal gefolgt ist. Auf Druck vieler Regierungen geht die Organisation mit ihrem Plan, den sie bereits vor einer Woche publiziert hat, nun einen Schritt weiter: Um Gewinnverschiebungen in Steueroasen zu unterbinden, soll ein Teil der Gewinne künftig global auf Konzernebene besteuert werden statt bei den einzelnen Niederlassungen, wie dies seit hundert Jahren der Fall ist. Ein überfälliger Paradigmenwechsel. Die Einnahmen würden dann gemäss einem bestimmten Schlüssel auf die Absatzmarktländer verteilt, in denen insbesondere Techfirmen ohne Niederlassungen geschäften.
In der konkreten Ausgestaltung bleibt der Plan jedoch auf halbem Weg stehen, wie unter anderem die internationale NGO Icrict kritisiert, der renommierte ÖkonomInnen wie Joseph Stiglitz angehören. Erstens will er nur wenig Steuereinnahmen zwischen den Ländern neu verteilen: Die Steuern würden nur teilweise global auf Konzernstufe erhoben, der Grossteil der Gewinne würde weiterhin bei den einzelnen Niederlassungen besteuert. Zudem wären nur Firmen betroffen, die ihre Produkte an KonsumentInnen verkaufen. Für Rohstoffkonzerne etwa, die ihre Ware an andere Firmen verkaufen, würde sich nichts ändern. Icrict selbst, aber auch der IWF haben Modelle entwickelt, die viel weiter reichen.
Zweitens würden gemäss einer Studie des Tax Justice Network, dem auch die Schweizer NGOs Alliance Sud und Public Eye angehören, achtzig Prozent der umverteilten Gewinne an OECD-Länder wie Frankreich, Deutschland oder die USA gehen, die in der Pariser Zentrale des Verbunds das Sagen haben. Die übrigen knapp hundert Länder, die die OECD in den Reformprozess einbezogen hat, würden dagegen nur wenig davon sehen. Während aufstrebende Länder mit grossen Absatzmärkten wie Indien noch etwas profitieren würden, könnten kleinere, ärmere Länder wie Bangladesch gar verlieren.
Neben den Vorschlägen der sogenannten ersten Säule sieht der OECD-Plan noch eine zweite Säule vor: Die Organisation will einen globalen Mindeststeuersatz einführen, dessen Höhe noch festzulegen ist. Je nach Steuersatz wäre das eine kleine Revolution. Das Ringen zwischen den Regierungen ist in vollem Gang, die Reform soll bereits Ende 2020 stehen. NGOs und die Länder des Südens machen Druck, damit das Endergebnis ein gutes Stück progressiver ausfällt.
Viel überholte Ideologie
Trotz des zaghaften Plans der OECD setzt Maurers Finanzdepartement mit Wirtschaftsverbänden wie Swissholdings im Rücken und zusammen mit anderen Steuerparadiesen auf Opposition. Zwar beteiligt sich das Departement an den Verhandlungen, da es eine globale Vereinbarung nationalen und bereits laufenden Alleingängen zur Besteuerung von Techfirmen vorzieht. Doch die offizielle Schweiz setzt sich dafür ein, dass der globale Steuerwettlauf weitergeht.
Dahinter steckt nicht nur Eigennutz, sondern auch viel überholte Ideologie. Maurers neue Staatssekretärin Daniela Stoffel warnte kürzlich gemäss NZZ in einem Referat, dass die OECD-Pläne weltweit zu steuerpolitischem Schlendrian führen würden: «Die Staaten füllen zuerst die Kassen und schauen dann, was sie mit all dem Geld anfangen wollen», so Stoffel. Angesichts der gigantischen Verwerfungen, die der Steuerwettlauf weltweit verursacht, fragt man sich, wie sich Gedanken so weit von der Wirklichkeit entkoppeln können – und ob man im Finanzdepartement die weltweit laufenden ökonomischen Debatten überhaupt mitbekommt.
Die Position des Finanzdepartements ist jedoch auch aus Eigennutzperspektive falsch. Negativzinsen, überschuldete Staaten, Immobilienspekulation, Nationalismus: Der Steuerwettlauf stürzt die Welt in eine Krise, von der auch die Schweiz nicht verschont bleibt. Doch das ist nicht alles: Solange die Schweiz mit ihrer Tiefsteuerstrategie nahezu alleine war, stiegen die Steuereinnahmen. Doch nun, da ihr die übrige Welt gefolgt ist, geht die Rechnung nicht mehr auf. Im letzten Jahrzehnt sind die gesamtschweizerischen Gewinnsteuereinnahmen gemessen am BIP schrittweise gesunken. In etlichen Kantonen sind sie gar in absoluten Zahlen eingebrochen. In Luzern etwa um fast ein Drittel.
Wenn sich die Welt dazu durchringt, Gewinnverschiebungen zu unterbinden, ist das längerfristig auch im Interesse der Schweiz. So könnten Multis auch hierzulande erneut angemessen besteuert werden, ohne dass man ständig deren Abwanderung befürchten muss.