Waffenexporte: Die wundersame Wandlung des Ignazio Cassis

Nr. 44 –

Um den Linken zu gefallen, soll sich Aussenminister Ignazio Cassis neuerdings für striktere Regeln bei der Waffenausfuhr einsetzen. Doch eine entsprechende Meldung erweist sich als Schönfärberei. Der Druck auf den FDP-Bundesrat nimmt zu.

Bald beide eine Fussnote der Geschichte? Der damalige Bundesrat Johann Schneider-Ammann mit Ignazio Cassis, November 2018. Foto: Peter Klaunzer, Keystone

Da staunte man bei der Zeitungslektüre nicht schlecht: «Ignazio Cassis zieht die Schraube an», war am Donnerstag letzter Woche im «Tages-Anzeiger» zu lesen. Der Bundesrat hatte über die sogenannte Korrekturinitiative diskutiert, die ein Verbot der Ausfuhr von Rüstungsgütern in Bürgerkriegsländer verlangt. Wirtschaftsminister Guy Parmelin wollte die Initiative ohne einen Gegenvorschlag ins Parlament bringen: Ein solcher signalisiert nämlich, dass die Regierung einer Initiative ein Stück weit Rechnung trägt.*

FDP-Bundesrat Cassis soll stattdessen auf einen Gegenvorschlag gepocht und sich durchgesetzt haben. «Bemerkenswert», schrieb der «Tages-Anzeiger». Schliesslich war es Cassis gewesen, der 2018 gemeinsam mit dem damaligen Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann die Richtlinien für den Waffenexport überhaupt erst gelockert hatte. Cassis’ Antrag auf einen Gegenvorschlag deute nun darauf hin, dass er den links-grünen SiegerInnen der Parlamentswahlen entgegenkommen wolle, lautete das positive Fazit des Berichts.

Bloss, stimmt die Darstellung tatsächlich? Verlangte der oft zaudernde Cassis einen Gegenvorschlag zur Korrekturinitiative? Hatte er den Mut, sich Verteidigungsminister Guy Parmelin in den Weg zu stellen? Die «Neue Zürcher Zeitung» berichtete am gleichen Tag, mehrere BundesrätInnen seien mit Parmelins Vorgehen nicht einverstanden gewesen. Wie der WOZ mehrere Quellen in Bundesbern bestätigen, ist diese Version richtig: Es war nicht Cassis, der den Widerstand anführte. Vielmehr hatte SP-Bundesrat Alain Berset einen Mitbericht geschrieben und darin zahlreiche offene Fragen zu den Rüstungsexporten aufgeworfen.

Dass Cassis die Schrauben angezogen und den Antrag gestellt haben soll, erscheint somit als reine PR-Schönfärberei. Wie es zu diesem Spin kam, liess sich nicht in Erfahrung bringen. Der Mediensprecher des Aussendepartements verweist an die Bundeskanzlei. Dort wiederum heisst es standardgemäss, dass man sich zu Bundesratsinterna nicht äussere.

Opportunist von Beruf

Die Episode bestätigt den Eindruck, den viele ParlamentarierInnen von Ignazio Cassis haben. Seine Aussenpolitik, insbesondere in der Europafrage, wird als irrlichternd beschrieben, sein Verhalten als opportunistisch. Unvergessen bleibt, wie er kurz vor seiner Wahl in den Bundesrat den Waffenfreunden von Pro Tell beitrat – um kurz nach der Wahl, als öffentliche Kritik laut wurde, die Mitgliedschaft wieder abzugeben. Dass Cassis nun offenbar versucht, nach den Parlamentswahlen sein Image bei den links-grünen Parteien zu polieren, passt ins Bild. Seit dem Linksrutsch am 20. Oktober erheben die Grünen und die Grünliberalen immer deutlicher Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat, dies auf Kosten der FDP. Damit nimmt auch der Druck auf Ignazio Cassis zu. Über seine Abwahl oder eine Versetzung in ein anderes Departement wird offen spekuliert.

Entscheidende Ständeratswahlen

Die NZZ versucht derweil, die Abwahl eines FDP-Mitglieds aus dem Bundesrat zu verhindern: Sie publizierte in mehreren Ausgaben detaillierte Berechnungen, warum der Anspruch des Freisinns auf zwei Bundesratssitze gerechtfertigt bleibe. Der mächtigste Verbündete, SVP-Milliardär Christoph Blocher, fordert hingegen einen Bundesrat, in dem ein grünliberales Mitglied eines der FDP ersetzt und ein grünes Mitglied eines der SP. Ein Plan zum Vorteil der SVP, die als einzige Partei zwei Sitze hätte, und zum Nachteil der Linken. Ein Plan aber auch, in dem Ignazio Cassis, einst dank Stimmen der SVP gewählt, fallen gelassen werden könnte. «Die Cassis-Frage lässt die Bundesberner Köpfe rauchen», brachte die «Aargauer Zeitung» die Stimmung auf den Punkt.

Wie die Cassis-Frage letztlich beantwortet wird, entscheidet sich nicht zuletzt in den zweiten Wahlgängen zu den Ständeratswahlen, die in den meisten Kantonen am 17. November stattfinden. Wenn es den Grünen gelingt, auch in der kleinen Kammer deutlich stärker zu werden, und wenn die Linke dabei insgesamt stabil bleibt, ist eine Vertretung im Bundesrat erst recht legitimiert. Denn nur so wären die Mehrheitsverhältnisse in beiden Parlamentskammern auch in der Regierung abgebildet.

Wie sich Cassis beim Thema Waffenausfuhr weiter positioniert, wird sich beobachten lassen. Die Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer will sich demnächst dazu äussern, ob und wie sie sich einen Gegenvorschlag vorstellen könnte. Die Initiative geniesst eine breite Unterstützung, die Trägerschaft reicht von der GSoA bis zur BDP. Auch zahlreiche Hilfswerke sind dabei. Wie populär das Anliegen in der Bevölkerung ist, zeigt die Zahl der Unterschriften, die in Windeseile zusammenkamen. Mehr als 134 000 Stimmberechtigte fordern eine Einschränkung der Rüstungsexporte und mehr Mitsprache des Parlaments bei ihrer Bewilligung.

* Korrigendum vom 31. Oktober 2019: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion hiess es fälschlicherweise, Guy Parmelin sei immer noch Verteidigungsminister.