Aufstand im Iran: Vergiftete Unterstützung
Am Montag, Tag vier nach Beginn der gewaltsamen Ausschreitungen, meldete sich schliesslich die Iranische Revolutionsgarde zu Wort: «Wir werden, falls die Unruhen sich fortsetzen, dagegen vorgehen.» Die Botschaft der Elitetruppe der Mullahs an die aufbegehrende Bevölkerung war klar: Widerstand ist zwecklos, und jeder, der diesen dennoch wagt, ist ein Verräter. Und diese Worte richteten sich indirekt auch an die Regierung. Auch deswegen wird der als reformorientiert geltende Präsident Hassan Rohani diese Protestwelle wieder gewaltsam stoppen. Denn andernfalls droht dem Regime selbst eine Schwächung durch die klerikalen Hardliner, denen Rohani zu liberal ist.
Ausgelöst wurden die Proteste durch eine Benzinpreiserhöhung und -rationierung, die die Regierung am Freitag verkündete. Die Bilder und Informationen, die derzeit aus dem Iran hinaus in die Welt gelangen, sind rar. Das Internet im Land ist seit Samstag weitgehend und für unbestimmte Zeit abgestellt – ein Zeichen dafür, wie viel Angst das Regime davor hat, dass sich die DemonstrantInnen über die sozialen Netzwerke austauschen könnten. Doch die Szenen, die nach aussen dringen, zeigen gewalttätige DemonstrantInnen und Sicherheitskräfte, brennende Banken, Tankstellen und Polizeistationen. «Nieder mit dem Diktator!», skandieren die Menschen auf den Videos, andere rufen: «Wir haben keine Arbeit und keine Zukunft.» Sogar Bilder des obersten Führers Ajatollah Ali Chamenei werden verbrannt. Laut staatlichen Medienberichten hat es Tausende Festnahmen gegeben, Amnesty International spricht von über hundert Toten.
Die Wut der Bevölkerung, die unter einer immens hohen Inflation und den US-Sanktionen leidet, entlädt sich landesweit auf den Strassen. Wie im Libanon und im Irak demonstrieren Zehntausende IranerInnen gegen die Armut, fehlende Perspektiven und das korrupte politische System. Sie sind frustriert wegen des Dauerkonflikts mit den USA und der kostspieligen Militäraktionen in den Nachbarländern.
Dies alles erinnert an den Jahreswechsel 2017/18, als der Iran die heftigsten Proteste seit der Grünen Revolution 2009 erlebte: Auch da gab es überall im Land Demonstrationen gegen die Führung, die wie schon 2009 gewaltsam niedergeschlagen wurden. Bei jedem dieser Proteste erhebt sich die Hoffnung auf Veränderung, die dann jedes Mal aufs Neue verebbt. Damals wie heute bietet das Regime keine Lösungen an, sondern reagiert mit Härte. «Wir hoffen, dass wir unsere Spezialkräfte nicht werden einsetzen müssen», drohte der Innenminister Abdolresa Rahmani Fasli. Chamenei bezeichnete die Protestierenden als «Randalierer», die vom Ausland gesteuert seien – die Unruhen kommen ihm aber recht.
Der Einfluss Rohanis insgesamt ist bescheiden. Gegen Chamenei und die von ihm gelenkte erzkonservative Justiz und den Sicherheitsapparat kommt er nicht an. Weil sich nun die USA auf die Seite der DemonstrantInnen gestellt haben, fühlen sich Fundamentalisten der Islamischen Republik zusätzlich gestärkt in ihrer Ansicht, Rohani greife nicht hart genug durch. So ist es wenig verwunderlich, dass der Präsident zwar Verständnis für die DemonstrantInnen zeigt, aber weiterhin an der Preiserhöhung festhält. Revolutionsführer Chamenei hat bisher Rohanis Reformversprechen immer durchkreuzt.
Politisch könnten die Unruhen nun ein früheres Ende von Rohani bedeuten, dessen Amtszeit eigentlich noch bis 2021 läuft. Durchaus möglich, dass nun ein Misstrauensvotum gegen den Präsidenten im Parlament erzwungen wird. Ein «regime change», den sich viele IranerInnen und auch Washington wünschen, dürfte vorerst eine Illusion bleiben – vielmehr ist eine repressive Wende wahrscheinlich. Denn die Hardliner haben seit dem einseitigen Austritt Washingtons aus dem Atomabkommen die Oberhand gewonnen – und wegen der US-amerikanischen Sympathiebekundung drohen Rohani die Argumente auszugehen, warum er Kompromisse mit der protestierenden Bevölkerung suchen könnte. Schliesslich werden diese ja vom Erzfeind unterstützt.