«China Cables»: Die Geschäfte mit dem Lagerstaat
China, enger Handelspartner der Schweiz, steht unter scharfer Kritik. In den letzten Tagen veröffentlichten Zeitungen wie die «Süddeutsche Zeitung», «Le Monde» oder die «New York Times» vertrauliche Dokumente der Kommunistischen Partei Chinas: die «China Cables». Diese belegen, dass die chinesische Regierung ein menschenverachtendes Überwachungs- und Repressionssystem in der nordwestlichen Provinz Xinjiang errichtet hat, um die dort lebenden muslimischen UigurInnen zu kontrollieren. Mutmasslich über eine Million Menschen, hauptsächlich UigurInnen, sind derzeit ohne Anklage in Lagern eingesperrt, wo sie einer Gehirnwäsche unterzogen werden. China hat die systematische Internierung von UigurInnen stets bestritten. Es spricht von freiwillig besuchten Fortbildungszentren.
Zwei Tage brauchte die Schweizer Regierung, um auf die Enthüllungen zu reagieren. Man habe, so der Bundesrat, «mit grosser Sorge Kenntnis genommen von den jüngst veröffentlichten Dokumenten». Das Schweizer Aussendepartement ruft die chinesische Regierung dazu auf, «der Besorgnis vieler Staaten Rechnung zu tragen und der Uno ungehinderten Zugang zur Region zu gewähren». Leere Worthülsen.
Geht es hingegen um die eigenen Wirtschaftsinteressen, drängt sich die Schweizer Regierung mit aller Kraft nach vorn. Seit Juli 2014 unterhält die Schweiz mit China ein Freihandelsabkommen – im Gegensatz etwa zur EU oder zu den USA. Erst im April dieses Jahres unterschrieb SVP-Finanzminister Ueli Maurer im Rahmen eines pompösen Staatsbesuchs in China ein «Memorandum of Understanding» – die Schweiz will vom chinesischen Wirtschaftsgrossprojekt «Belt and Road Initiative» profitieren. Und wenn die chinesische Führung wie zuletzt 2017 nach Bern auf Staatsbesuch kommt, wird mit polizeilichen Mitteln alles unternommen, damit der KP-Generalsekretär keine einzige Fahne von protestierenden TibeterInnen zu Gesicht bekommt. China ist nach der EU und den USA der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz – und der mit Abstand wichtigste Handelspartner in Asien. Der Bund unterhält in Beijing auch einen Swiss Business Hub, um Schweizer Firmen den Zugang zum chinesischen Markt zu erleichtern.
Dieser Markt umfasst auch die Provinz Xinjiang. Während der chinesische Staat die Region für Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten hermetisch abriegelt, wirtschaften globale Konzerne mühelos im «Freiluftgefängnis» («New York Times»). Wie der US-amerikanische Journalist Benjamin Haas herausgefunden hat, sind auch mehrere Schweizer Konzerne in Xinjiang tätig. Der Technologiekonzern ABB war an der Errichtung einer U-Bahn-Linie in der Provinzhauptstadt Ürümqi beteiligt, wie er gegenüber der WOZ bestätigt. Die Firma betreibt in der Region ein Servicecenter und hat etwas weniger als dreissig Personen vor Ort angestellt. Der Pharmakonzern Novartis beschäftigt gemäss eigenen Angaben in Xinjiang «etwa hundert Fachkräfte, die sich hauptsächlich auf die Zusammenarbeit mit Ärzten und Krankenhäusern konzentrieren». Auch der Nahrungsmittelkonzern Nestlé ist vor Ort. Gegenüber der WOZ beteuert er, dass er nur Produkte verkaufe. Damit widerspricht er jedoch Recherchen des französischen Investigativjournalisten Jean-Baptiste Malet, nach denen Nestlé Tomatenkonzentrat vom chinesischen Nahrungsmittelkonzern Cofco Tunhe bezieht, das dieser in Xinjiang produziert.
Besonders bedenklich ist eine Investition der UBS. Die Schweizer Grossbank hält gemäss der Nachrichtenagentur Reuters Anteile an der chinesischen Firma Hikvision. Diese stellt unter anderem Videoüberwachungssysteme her, die von Polizeiagenturen in Xinjiang genutzt werden – Akteuren im staatlichen Überwachungs- und Repressionssystem gegen die uigurische Minderheit. Auf mehrere Fragen zur Investition antwortet die UBS lediglich, man kommentiere keine spezifischen oder potenziellen Kundenbeziehungen.
China ist für die Schweiz und ihre Exportwirtschaft ein lukrativer Markt. So lukrativ, dass der Bund die Menschenrechte weit hinter die Kapitalinteressen stellt.