Kost und Logis: Knoblauch oder Bauland?

Nr. 48 –

Bettina Dyttrich besichtigt gefährdete Schrebergärten

«Früher dachte ich, Schrebergärten seien nichts für mich», sagt Kathrin Rieser. «Bis ich dieses Areal sah …» Das Areal heisst Ruckhalde und liegt am Nordhang der Stadt St. Gallen, hoch über den Gleisen, auf denen die Züge aus Zürich und dem Toggenburg einfahren. Es zeigt, dass die Zeiten, in denen Schrebergärten von giftmischenden Bünzli besetzt waren, längst vorbei sind. Hier wird biologisch gegärtnert: Weisung der Gemeinde, wie in vielen anderen Städten auch. Die einen PächterInnen machen das geordneter, die anderen wilder – jedenfalls sehen die Gärten auch im November noch wunderschön aus: die violetten Stängel der abgeernteten Kohlrabi, das gelbe Laub der Johannisbeersträucher, der gekrauste, üppig grüne Federkohl, die letzten Äpfel am Baum. Sogar eine Artischocke steht noch im Spätherbstnebel.

Bis 2018 zog die Appenzellerbahn in einer grossen Kurve die Ruckhalde hinauf. Jetzt fährt sie in einem Tunnel, und die Gärten sollen weg: Die Stadt will den Hang überbauen. Dagegen wehrt sich Kathrin Rieser. Die 42-Jährige leitet einen Kindertreff mit, arbeitet als Lichttechnikerin im Kulturzentrum Palace und schafft als Künstlerin melancholische, zerbrechliche Menschen- und Tierfiguren. In ihrem Garten stehen Giraffen, Wölfe und Drachen statt Gartenzwerge. Der Garten sei ein Stück persönliches Glück, sagt Rieser: «Nach der Arbeit stehe ich hier barfuss auf der Erde, und alles ist gut.» Aber er sei noch viel mehr: «Hier gärtnern auch Leute, mit denen ich politisch nie einig würde. Aber beim Fachsimpeln über das Knoblauchpflanzen verstehen wir uns. Dass es Orte gibt, wo solche Kontakte stattfinden, die solche Reibungsflächen bieten, dafür müssen wir uns einsetzen.» Zusammen mit anderen PächterInnen hat Rieser eine Petition zur Erhaltung der Gärten gestartet und das Gespräch mit den Behörden gesucht: «Ich habe den Integrationsbeauftragten gefragt, ob der Stadt bewusst sei, wie viel hier an Integration läuft – ohne dass es geplant ist.»

Die Natur müsse Platz haben in der Stadt, sagt Rieser, «und nicht nur als Accessoire». Sie erzählt von Schmetterlingen, Vögeln, Molchen und Blindschleichen – und wie zur Bestätigung kommt ein kleiner Schwarm Schwanzmeisen geflogen und lässt sich auf ihrer Weidenhütte nieder.

In St. Gallen stehen zweieinhalb Prozent der Wohnungen leer, so viel wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Warum Land auf Vorrat überbauen?, fragen die Ruckhalde-PächterInnen. Konkurrenz kommt nun aber ausgerechnet aus Riesers eigenem Umfeld: Die neue IG Ruckhalde versucht, die Stadt zu überzeugen, am Hang ein alternatives, ökologisches Quartier mit günstigen Mieten zu planen. Da wäre doch auch Raum für einen Gemeinschaftsgarten? Rieser ist skeptisch: Kollektive seien nicht für alle, auch das klassische Gärtnern im Schrebergarten sei ein grosses Bedürfnis. «Man kann nicht soziale Probleme lösen, indem man neue schafft.»

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.

Die Petition: riethüsli.ch ; die alternativen Bebauungspläne: ruckhalde.ch .