Auf allen Kanälen: Hass und Haltung

Nr. 2 –

Rechte Hetzkampagnen nehmen immer wieder JournalistInnen ins Visier. Rückendeckung von oben bleibt oft aus, wie zwei aktuelle Fälle aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland zeigen.

WDR-Kinderchor

Das, was Richard Gutjahr die vergangenen Jahre widerfahren ist, liest sich so irrwitzig, dass es nur schwer zu glauben ist: Im Sommer 2016 war der Journalist zufällig sowohl bei der Terrorattacke in Nizza, wo er gerade Ferien machte, als auch eine Woche später beim Anschlag in München, wo er lebt, einer der ersten Reporter am Ort des Geschehens; von dort berichtete er jeweils für das Erste Deutsche Fernsehen. Aus dieser Koinzidenz bastelten VerschwörungstheoretikerInnen die Wahnidee, dass Gutjahr in die Angriffe verstrickt sein müsse.

Nicht nur er selbst, sondern auch seine Familie geriet ins Visier zahlloser «Truther» aus aller Welt. Diese hatten rasch recherchiert, dass der Journalist mit einer Jüdin verheiratet ist, was zusätzlich antisemitische Fantasien befeuerte. Zu Spitzenzeiten seien 1200 Videos online gewesen, die sich mit ihm und seiner Familie beschäftigt hätten, sagte Gutjahr einmal bei einem Vortrag. Dazu kamen Bücher in rechtsextremen Verlagen sowie zahllose Hassbotschaften und Morddrohungen.

In einem zum Jahreswechsel veröffentlichten Brief an Ulrich Wilhelm, den Intendanten des Bayerischen Rundfunks (BR), rechnet der Reporter mit seinem bisherigen Arbeitgeber ab: Gutjahr wirft dem Sender vor, ihn mit dem Hass alleingelassen zu haben. So habe er Wilhelm schon 2016 um rechtliche Unterstützung gebeten, da er eindeutig wegen seiner Arbeit für den missliebigen «Staatsfunk» zur Zielscheibe geworden war; der BR habe sich aber nicht in der Verantwortung gesehen, da Gutjahr freier Mitarbeiter war. Erst später liess ihm der Sender Geld zukommen – laut dem Reporter weniger als ein Monatsgehalt.

Pardon per Telefon

Gutjahrs Fall wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie hilflos die deutschen Öffentlich-Rechtlichen bei Kampagnen von Rechtsaussen agieren – und wie wenig sie offenkundig gewillt sind, ihre MitarbeiterInnen zu schützen. Das zeigte auch die Aufregung um das Lied des WDR-Kinderchors, an dem sich zum Jahreswechsel eine «rechtspopulistisch korrekte Grossdebatte» entzündete, wie der Berliner «Tagesspiegel» treffend konstatierte.

Ende Dezember hatte der Westdeutsche Rundfunk (WDR) auf seiner Facebook-Seite einen Clip veröffentlicht, in dem der Chor ein Scherzlied trällerte, in dem es unter anderem hiess: «Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad. Das sind tausend Liter Super jeden Monat. Meine Oma is ne alte Umweltsau.»

Daraufhin nahm die Empörungsmaschinerie Fahrt auf, wobei wiederum vor allem Rechtsextreme mitmischten. Vor dem Sitz des Senders in Köln gab es Demos (auf denen auch «Deutscher Opa über alles!» gesungen wurde), und auch der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen echauffierte sich öffentlich, während der WDR das Video löschte und eilig eine Sondersendung anberaumte. Dort meldete sich schliesslich WDR-Intendant Tom Buhrow per Telefon, um sich zu entschuldigen.

In den Rücken gefallen

Sender und Intendant seien damit den MitarbeiterInnen in den Rücken gefallen, kritisierte die Gewerkschaft «Verdi» – völlig zu Recht, wie auch die Reaktion des WDR auf den Hass belegt, der einem freiberuflich für den Sender tätigen Journalisten entgegenschlug. Dieser hatte auf Twitter geschrieben: «Eure Oma war keine Umweltsau. Stimmt. Sondern eine Nazisau.» Daraufhin hagelte es Morddrohungen, und Rechtsextreme marschierten nun auch vor dem Haus des Journalisten auf. Der WDR sah sich derweil erst einmal bemüssigt, darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Kollegen um einen freien Mitarbeiter und keinen Redaktor handle, was sich wie eine schäbige Distanzierung las.

Haltung jedenfalls scheint nicht zu den Tugenden zu zählen, die für einen Spitzenjob bei den deutschen Öffentlich-Rechtlichen vorausgesetzt werden. Buhrow sei «mit seiner Reaktion auf einen künstlich erzeugten Skandal» in eine Falle getappt, heisst es in einem Brief, den vierzig für die ARD tätige FernsehautorInnen Anfang der Woche veröffentlichten: «Ein Medienmanager, dessen Umgang mit moderner, rechter Propaganda von so viel Naivität und Ungeschicktheit zeugt und der nicht in der Lage ist, sich in einfachsten Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit vor seine MitarbeiterInnen zu stellen, gefährdet eben diese Freiheit. Er sollte die Konsequenzen ziehen.»