Auf allen Kanälen: Weinstein ohne Ende

Nr. 50 –

Es ist noch nicht lange her, dass Gewalt gegen Frauen im Filmbusiness einfach geduldet wurde. Daran erinnert der Film «She Said» über die Recherchen, die Harvey Weinstein zu Fall brachten.

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Frühe sechziger Jahre, Kalifornien, USA. Nach einem weiteren Tag auf dem Dreh von «The Birds» bat Hauptdarstellerin Tippi Hedren Alfred Hitchcocks Frau um Hilfe und Rat, wie sie die wiederholten schamlosen Übergriffe des Regisseurs kontern könnte. Das Einzige, was Alma Hitchcock ihr geantwortet haben soll: «Es tut mir so leid, dass du da durchmusst.» So beschreibt es Hedren in ihren Memoiren von 2016. Sie benennt darin auch, dass nicht nur Alma Hitchcock Bescheid wusste, sondern alle, die auf den Filmsets zugegen waren. Hitchcocks Drohung, wenn sie ihn abweise, werde er sie und ihre Karriere zerstören, verweist nahtlos auf jüngere Fälle von Männern im Filmgeschäft, die ihre Macht stark missbrauchten.

Nie voyeuristisch

Dass die Besprechung von Hedrens Memoiren im renommierten Magazin «Vanity Fair» den irgendwie optimistischen Titel «Was Tippi Hedren von Hitchcocks wiederholten Belästigungen lernte» trug, lässt ahnen: Es gab 2016 zwar endlich Aufmerksamkeit für sexuelle Gewalt in Hollywood, doch die Zeit war weiterhin nicht reif genug, um klar zu sehen, welche traumatischen Konsequenzen die Übergriffe für die Frauen und ihr Arbeitsleben hatten. Hedrens Karriere war nach ihrem zweiten Hitchcock-Film, «Marnie» (1964), faktisch zu Ende, sie hatte sich «freiwillig» aus Hollywood zurückgezogen.

2016, das war ein Jahr, bevor – getrennt geführte – Recherchen von «New York Times» und «New Yorker» die jahrzehntelangen Übergriffe des berühmten Filmproduzenten Harvey Weinstein auf unzählige Schauspielerinnen und Assistentinnen öffentlich machten; ein Jahr, bevor der bereits 2006 von der Afroamerikanerin Tarana Burke lancierte Slogan «Me too» um die Welt raste.

Auch «She Said», der neue Spielfilm von Maria Schrader über den Fall Weinstein, beginnt auf einem Filmset. Doch interessiert sich die Regisseurin und Schauspielerin Schrader weniger für die Frage, was das Filmumfeld offenbar so anfällig für Missbrauch macht. Vielmehr zeigt sie in ihrer Verfilmung des Sachbuchs der beiden Journalistinnen, die den Fall Weinstein in der «New York Times» als Erste publik machten, welche Widerstände sie bei ihrer aufwendigen Investigativarbeit überwinden mussten. Dieser Fokus hat den wichtigen Vorteil, dass «She Said» nie voyeuristisch ist. Unsere Aufmerksamkeit gehört ganz den Frauen – nicht nur Schauspielerinnen –, die sich sehr schwertun, den Journalistinnen von ihren Erfahrungen zu erzählen. «On the record» will zuerst sowieso keine reden. Ein anderes Problem, gegen das Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Cary Mulligan) ankämpfen: Lange Zeit war nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Justiz latent bis eklatant täterfreundlich, rechtfertigen mussten sich stets die Opfer.

Klar wird: Das «System Weinstein» operierte international. Der Produzent reiste zu Filmsets und Filmfestivals, besuchte Filialen seiner Produktionsfirma Miramax – und überall fiel er über Assistentinnen und Schauspielerinnen her, die er aufs Hotelzimmer zur Skriptdiskussion bat. Sehr viele wussten Bescheid – und schwiegen. Weinstein selber schüchterte seine Opfer grob ein.

Dass er über die Jahre Vergleichszahlungen über den Firmenaccount von Miramax abwickelte, erschwerte die Recherchen zuerst, weil die betroffenen Frauen wegen Stillhalteklauseln nicht reden durften. Am Ende wurde ihm diese Praxis mit zum Verhängnis, zusammen mit den wenigen mutigen Frauen, die sich namentlich zitieren liessen, ohne zu wissen, was die Folgen sein würden. Nur dank ihnen konnte der Artikel erscheinen.

Ein weiterer Prozess

«She Said» wirft ein packend gespieltes Schlaglicht auf journalistisches Recherchehandwerk. Der Film endet allerdings recht abrupt mit der Publikation des Artikels am 5. Oktober 2017. Wo stehen wir heute? Weinstein wurde 2020 von einem Gericht in New York verurteilt. Aktuell wird ihm in Los Angeles ein weiterer Prozess wegen Vergewaltigung und Nötigung gemacht. Er bestreitet die Anschuldigungen, hat auch gegen das New Yorker Urteil Revision eingelegt. Sein Anwalt argumentiert, Weinsteins Verhalten sei schlicht normal gewesen in Hollywood, Klägerinnen werden lächerlich gemacht. Schlagzeilen produziert das kaum noch. Der Wahrnehmungsfortschritt, den #MeToo gebracht hat, bleibt gefährdet.