Erwachet!: Wolf im Merinopelz

Nr. 8 –

Michelle Steinbeck bleibt die Pasta im Halse stecken

Freitagabend in einer Beiz am Barfüsserplatz in Basel. Wir werden an einen Tisch gesetzt, an dem bereits vier hellblaue Hemdkragen in Merinopullis sitzen. Sie unterhalten sich angeregt, vor allem übers Essen. Sie sprechen durcheinander Italienisch und Französisch und Schweizerdeutsch; einer erzählt von seiner italienischen Tante und wie sie ihre Ravioli herstellt. Mit uns machen sie Salzstreuer- und Ölwitze; es wird diskutiert, ob es angemessen sei, über Steinpilze Parmesan zu streuen.

Ich finde sie nicht unsympathisch, ein wenig bürgerlich, klar, wahrscheinlich arbeiten sie bei einem Pharmariesen. Der Jüngste ist wenig älter als ich, er hat eine weiche Stimme und lacht viel. Gerade zeigt er stolz Bilder von seinem Baby herum; sehr süss, loben die anderen.

Ich denke etwas wie: Lustig, in wie verschiedenen Welten wir wahrscheinlich leben, und doch verstehen wir uns auf einer ganz existenziellen Ebene: Wir lieben Pasta und Sprachen.

Einer wird gefragt, was eigentlich mit seiner Bewerbung passiert sei – er habe nichts mehr gehört, antwortet er. Der Älteste der Gruppe regt sich auf: «Das ist bedauerlich», sagt er und legt eine hörbare Spur Enttäuschung in seine Stimme, à la «Zu meiner Zeit hätte es das nicht gegeben». «Man muss doch zumindest rückmelden», redet er weiter, «das ist wirklich nicht die feine Art.» Der nicht Eingestellte zuckt die Schultern, eine kleine unangenehme Pause entsteht.

«Es wäre schön gewesen, mal wieder einen Mann zu rekrutieren», schaltet sich nun sein Sitznachbar ein, «wir haben so viele Frauen mittlerweile.» «Zu viele», ruft der Junge, «es ist schrecklich! Je mehr Frauen, desto schlimmer wird es.»

Ich traue meinen Ohren nicht und starre rüber. Der Älteste senkt die Stimme, sie stecken die Köpfe zusammen. Jetzt sehe ich, dass sie an den Ellbogen affige Blätze aufgenäht haben, an den Handgelenken glänzen Erbstücke. Gefällig nicken sie zu den ranzigen Tönen. «Immer wenn ich mit der Kollegin soundso rede und etwas diskutieren will, fängt sie an zu weinen. ‹So kannst du doch nicht arbeiten›, sage ich ihr, ‹du musst doch Kritik einstecken können.›»

Die Stimme des Jungen ist nun gar nicht mehr weich. «Das ist die Schlimmste», ruftflüstert er aufgeregt, «das ist so eine richtige …» – er senkt bedeutungsvoll die Stimme – «… Schlampe. Eine verfickte! Schlampe.» Niemand widerspricht, er redet sich in Rage: «Frauen mit Macht, Horror. Gib Frauen ein klein wenig Verantwortung, und sie werden alle zu Schlampen.»

Der Ältere, vielleicht weil ich sie unverhohlen anstiere, versucht, ihn abzuwürgen: «Das kannst du doch nicht so generalisieren.» «Doch, doch, doch», ruft der Junge, «und dann die internen Kämpfe zwischen Frauen, uff …»

Alle nicken, und sie wechseln das Thema: Politik. Irgendwo auf dem Land gibt es neu eine rot-grüne Mehrheit. Der Junge geifert weiter: «Diese linken Politikerinnen! Sie haben einfach keinen Clou. Sie sind schlicht dumm.» Der Alte wiegelt ab: «Du musst immer alles schubladisieren. Das ist der Elsässer in dir.»

Der nicht Eingestellte wirft unvermittelt ein, dass seine Frau schwanger sei. Tatsächlich, was wird es denn? «Ah, schön», ruft der Junge, «ein Meitli.» Noch so eine verfickte Schlampe.

Michelle Steinbeck ist Autorin. In ihrer Freizeit belauscht sie ganz normale Frauenhasser.