Wichtig zu wissen: Pssst … Top Secret!

Nr. 8 –

Ruedi Widmer über sein einstiges scherztelefonisches Leben

Anders als bei den damaligen Landesvätern Koller, Villiger und weiteren Altbundesräten («Weitere Alt-Bundesräte aufgetaucht», titelte tagesanzeiger.ch am letzten Sonntag) funktioniert meine eigene Central Intelligence Agency im Kopf noch einwandfrei. So mag ich mich erinnern, als achtzehn- oder neunzehnjähriger Grafikerlehrling in der Werbeindustrie der frühen neunziger Jahre einige Grafiken zu einem Prospekt der Crypto AG beigesteuert zu haben, unter anderem eine Darstellung der Erde mit Satelliten und Satellitentelefonen. Der Titel auf dem Prospekt lautete «Top Secret», und ich war mir natürlich sicher, dass das stimmt und man (ich selbst inklusive) auch nie rausfinden würde, dass ich für die CIA arbeite. So ist das in der Schweiz.

Nein, es ist schlimmer: Ich machte mir überhaupt keine Gedanken. Das war einfach einer der zig Firmenkunden, für die in meinem Lehrbetrieb grafisch gearbeitet wurde, viele aus dem technischen Sektor und die meisten mit einwandfreiem Leumund. Eine Firma, die sicherere Telefone herstellte als die PTT-Telefone, mit denen ich Scherztelefone machte. Einmal, aber das war nicht ein Scherztelefon, sondern das eines politisch aufbegehrenden Jugendlichen, rief ich kurzerhand einen rechts politisierenden Nationalrat an. Es war kurz vor der EWR-Abstimmung 1992, und der genannte Politiker bedrohte meine freisinnig-sozialdemokratisch weltoffene Schweiz. Seine Nummer stand damals noch im regulären Telefonbuch. Am Ende der Leitung ertönte eine weibliche Stimme, vielleicht seine Ehefrau oder gar eine seiner Töchter. Nun kommt die Pointe, aber die ist so schlecht wie das Erinnerungsvermögen von Kaspar Villiger: Ich lärmte, selber überrascht, einfach hinein: «Hooooo!» Und hängte wieder auf.

Stolz bin ich darauf nicht. Später war ich weniger einsilbig bei Scherztelefonen. So führte ich einige Jahre später meinen Grafikerfreund Samuel Jordi telefonisch eine halbe Stunde an der Nase herum, als «Manager» von Feldschlösschen-Bier, für das wir bei unserem Arbeitgeber ein Inserat machten. Das wirklich lustige Gespräch zeichnete ich mit meinem Telefonbeantworter auf (auch nicht legal). Die Aufnahme ist heute digitalisiert und nur zugänglich für Involvierte. Kopien davon dürften aber bei Apple, der NSA, Facebook, Armasuisse, der CIA, der Roten Armee, der AfD und der chinesischen Führung erhältlich sein.

2001 telefonierte ich scherzeshalber im Auftrag der Satirezeitschrift «Titanic» und ihres damaligen Cheftelefonterroristen Martin Sonneborn in Frankfurt am Main, wobei es uns gelang, die Führungsspitze der CDU, gerade panisch mit den Schwarzgeldkonten der Ära Kohl beschäftigt, an eine erfundene Sitzung in die Credit Suisse Luzern zu locken, mithilfe einer Rufumleitung über eine Schweizer Nummer. Neben den Geschäftsführern hatte ich (einen einfachen Schweizer Bankangestellten der Credit Suisse spielend) in einer Telefonschaltung den damaligen Fraktionsvorsitzenden und wohl baldigen Bundeskanzler Friedrich Merz am Apparat. Alle glaubten mir jedes noch so inkompetente Wort. Es reichte vollauf, wie bei der Crypto AG, aus der verschwiegenen Schweiz zu stammen.

Seither haben die Credit Suisse und die CDU, die beide die «Titanic» verklagten, darauf aber die Klage wegen Peinlichkeit zurückzogen, meine Handynummer. Ich verriet sie dummerweise nach einer kurz ausweglos scheinenden Situation (CDU: «Wir würden gerne mal mit Ihrem Chef sprechen.» – «Das ist, äh, Direktor Weber, seine Nummer ist …»). Die ganze Nacht erfolgten Anrufe aus Berlin. Ich nahm mein Handy nicht ab, der Deal war ja eingefädelt (Treffen der CDU-Finanzspitze mit einem einfachen Schweizer Bankangestellten) und sollte nicht noch gefährdet werden. Eine Zusammenfassung der Geschichte kann man im Onlinearchiv der «Titanic» nachlesen («Grosses Schwarzgeldtreffen in Luzern» googeln).

Ich kann mich übrigens, ganz Villiger-haft, nicht mehr erinnern, wie der Nationalrat aus dem zweiten Abschnitt hiess.

Ruedi Widmer ist heute seriöser Cartoonist.