Tesla in Brandenburg: Ein Ufo im Anflug

Nr. 11 –

Klimaschutz, Umweltschutz, Heimatschutz? Weil der amerikanische Elektroautohersteller Tesla in Rekordzeit eine seiner gigantischen Fabriken bauen will, bricht in einer kleinen ostdeutschen Ortschaft ein hitziger Streit aus.

Im Kampf gegen Tesla kommts zu teils bizarren Allianzen: Demonstration in Grünheide Mitte Januar. Foto: Michele Tantussi, Getty

An einem Samstag Mitte Januar war Grünheide in Aufruhr. Gleich zwei Demonstrationen fanden in der sonst so ruhigen Gemeinde statt, deren sechs Ortsteile zwischen weitläufigen Wäldern und zahlreichen Seen verstreut sind. In einem Fernsehbeitrag des NDR sind einige der Plakate zu lesen, die auf dem Dorfplatz in die Höhe gehalten wurden: «Trinkwasser statt Tesla» und «Keine Grossfabrik im Wald» etwa. Aber auch: «Umweltschutz statt Klimawahn», «Keine Mörder-Fabrik in Grünheide!». Und: «Ami go home». Als der Demonstrationszug die kleinere Gegendemo der Tesla-BefürworterInnen passierte, kam es zu Beschimpfungen. «Gestalten statt Blockieren» stand wiederum auf deren Plakaten, oder auch: «Elon, ich will ein Auto von dir».

In Grünheide mit seinen rund 8600 EinwohnerInnen gehen die Wogen hoch, seit im November Elon Musk, Chef des US-Elektroautoherstellers Tesla, verkündete, hier die erste «Gigafactory» Europas zu bauen. So nennt Tesla seine riesigen Produktionsstätten, von denen es bislang zwei in den USA und eine in Schanghai gibt. Die Dimensionen von «Giga 4» sind gewaltig: Auf dem 302 Hektaren grossen Areal – das entspricht etwa dem Zürcher Kreis 4 – sollen vier Milliarden US-Dollar investiert werden; von bis zu 12 000 neuen Arbeitsplätzen ist die Rede sowie von 10 000 Autos, die Tesla wöchentlich produzieren will. Ebenso gewaltig ist das Tempo der geplanten Umsetzung: Schon im Juli 2021 soll der erste Teil der Fabrik vollendet sein und der erste fertige Elektro-SUV die Fabrik verlassen.

Die offizielle Haltung der brandenburgischen Parteien ist klar: Sie befürworten die Tesla-Ansiedlung. Einzig die AfD, Heimat vieler KlimaleugnerInnen, macht Stimmung dagegen – etwa indem sie warnt, dass Tesla billige polnische Arbeitskräfte einstellen werde. In deutschen Medien wird deshalb spekuliert, ob die AfD und andere rechte Gruppen hinter der federführenden «BI GGG» stünden, der Bürgerinitiative gegen Gigafactory Grünheide. Etwas irritiert wurde auch festgestellt, dass sich linke Gruppen ebenfalls an die Seite der Tesla-GegnerInnen stellten.

Wasserschutz und Aufschwung

Steffen Schorcht nimmt sich viel Zeit, um zu erklären, warum er die Tesla-Fabrik hier nicht will. Der 59-Jährige ist Mitgründer der BI GGG, und als Erstes führt er zur kahlen Fläche, die Tesla Ende Februar innert weniger Tage roden liess. Sie ist unfassbar gross, und noch einmal mehr als doppelt so viel Wald wird Tesla für spätere Ausbauschritte fällen dürfen.

Schon lange ist dieses Gelände für eine industrielle Nutzung vorgesehen, der Kiefernwald einzig zu wirtschaftlichen Zwecken aufgeforstet worden. Es sind andere Dinge, die Steffen Schorcht weit mehr Sorgen bereiten: vor allem die grossen Mengen an Wasser, die «Giga 4» benötigen werde, was die Wasserversorgung der Region gefährde. Der Verbrauch Teslas werde jenem einer Kleinstadt mit etwa 70 000 EinwohnerInnen entsprechen, sagt Schorcht, «und es lässt sich nicht garantieren, dass kein giftiges Wasser aus der Fabrik ins Grundwasser gelangt». Es gebe derzeit keine Wasseraufbereitungsanlage in der Region, die alles Abwasser aufnehmen könne. Sorgen bereiten ihm auch der wachsende Güter- und Individualverkehr, der mit Tesla komme, wie auch die Tatsache, dass Elon Musk berüchtigt sei für seinen Umgang mit den Rechten seiner Angestellten.

Es sind Sorgen, die Arne Christiani nicht teilt. Dem parteilosen Bürgermeister von Grünheide reicht in seinem Büro im Rathaus eine knappe Viertelstunde, um die Befürchtungen mit Gegenargumenten zu relativieren; für alles, so scheint es, wird sich eine technische und infrastrukturelle Lösung finden. Tesla sei stets gesprächsbereit, das Thema Wasserzufuhr und Abwasser durch infrastrukturelle und bauliche Massnahmen bereits geklärt. «Es ist eine einmalige Chance für das Land Brandenburg», sagt Christiani. Alles werde mit Tesla einen Aufschwung erleben, «die Hotellerie, die Gastronomie, der Einzelhandel, das Gesundheitswesen, der öffentliche Personenverkehr». Und vor allem erhofft er sich, dass «das demografische Loch» gefüllt werde, das heute in weiten Teilen Ostdeutschlands klaffe: Weil Arbeitsplätze für Hochqualifizierte fehlten, würden die Leute nach der Ausbildung wegziehen und erst im Pensionsalter wieder zurückkehren. Christiani zeigt sich beeindruckt von Teslas schnellem und entschlossenem Vorgehen. «Und für uns ist das eine gute Gelegenheit, um zu zeigen: Deutschland ist nicht bloss Bürokratie.»

Weniger beeindruckt ist er hingegen vom «Demonstrationstourismus», der hier stattgefunden habe «wie auch schon in der Lausitz gegen die Braunkohle oder in Stuttgart gegen den Bahnhof». Dennoch hat die Gemeinde Grünheide im Januar auf die aufgeheizte Stimmung im Ort reagiert. In einem kleinen Treffpunktlokal am Dorfplatz wurden zweimal wöchentlich Sprechstunden veranstaltet, um auf den Unmut und das Unbehagen in der Bevölkerung einzugehen.

Mischwald und Geschäft

Tesla selbst kriegt man dort an diesem Dienstagabend Ende Februar aber nicht zu fassen. Die beiden Frauen, die den BesucherInnen für Fragen zur Verfügung stehen, sind von einer niederländischen Beratungs- und Projektmanagementfirma angestellt. Auf den Tischen liegen einige Infosheets und viele Landkarten, auf denen eingezeichnet ist, wo Tesla in der Umgebung neuen Mischwald anpflanzen wird, um den gerodeten Wald zu kompensieren.

An diesem Abend scheint dies aber niemanden zu interessieren. Die meisten Leute sind da, um sich nach Jobs zu erkundigen oder nach einem Kontakt, um die eigene Firma für eine Zusammenarbeit mit Tesla ins Spiel zu bringen. Ein Mann möchte ein Grundstück am See anbieten, damit Tesla attraktive betriebseigene Wohnungen bauen könne. Vor allem bei den ersten Sprechstunden hätten die BesucherInnen noch sehr viele Anliegen zu Umwelt- und Wasserschutzthemen geäussert, sagt Michael Schweer-de Bailly, der das Lokal betreut. «Mit der Zeit wurde dann aber der Anteil jener Leute grösser, die mit Tesla ins Geschäft kommen wollen.»

Martin Hildebrandt ist vor zwei Jahren mit seiner Familie und FreundInnen aus Berlin nach Grünheide gezogen, in ein Haus mit Seeanstoss. Der Vierzigjährige war alarmiert, als er Mitte Januar einen Flyer in seinem Briefkasten fand, auf dem zur Anti-Tesla-Demo aufgerufen wurde. «Ich hatte das Gefühl, dass hier etwas kippt», sagt Hildebrandt. Und er fürchtete, dass die Demo der «Bürgerinitiative Gelb», wie die BI GGG zu dem Zeitpunkt in Anlehnung an die französischen Gilets jaunes noch hiess, stereotypische Schlagzeilen provozieren würde, «im Sinne von: ‹Silicon Valley trifft Provinz› oder ‹Die Ostdeutschen verschlafen mal wieder ihre Chance›». Gerade noch innert der nötigen Frist habe er deshalb seine Pro-Tesla-Demo angemeldet.

Hildebrandt bezeichnet sich selbst als linksliberal, und er sei «überhaupt kein Tesla-Fanboy oder so». Als er aber zusammen mit FreundInnen angefangen habe, zu den Tesla-GegnerInnen zu recherchieren, sei er erschrocken. Viele kämen aus rechten Milieus, etwa die BI-GGG-Mitbegründerin Hildegard Vera Kaethner: eine lokale Kreistagsabgeordnete, die zwar parteilos ist, aber der AfD-Fraktion angehört. Auf Bildern von der ersten Anti-Tesla-Demo ist ausserdem Hans-Christoph Berndt zu erkennen, AfD-Landtagsabgeordneter und Vereinsvorsitzender von Zukunft Heimat, einem rechtsextremen Verein. Sein Engagement gegen die Tesla-GegnerInnen sei damit vor allem zu einem antifaschistischen geworden, sagt Hildebrandt: «Gerade in Brandenburg muss diese Brandmauer gegen rechts unbedingt aufrechterhalten werden.» Als schliesslich das linke Klimaaktionsbündnis Ende Gelände in Grünheide gegen Tesla demonstrieren wollte, habe er endgültig die Welt nicht mehr verstanden.

Mauern und Diskutieren

Am 22. Februar fand die bislang letzte Demo gegen Tesla statt, und auf der Bühne sprach Nicole Zöllner: eine Frau, der Martin Hildebrandt nachweisen kann, dass sie unter einem ihrer Facebook-Profile rassistische AfD-Propaganda verbreitete, die entsprechenden Beiträge mittlerweile aber wieder gelöscht hat. Und gleich vor der Bühne stand Jonas Baliani von Ende Gelände Berlin. «Das haben wir erst im Nachhinein realisiert, auch dank der Infos von Martin Hildebrandt», sagt dieser. Man sei nicht vorsichtig genug gewesen, sagt Baliani, womit man durchaus für eine innerlinke Kontroverse gesorgt habe. Seine Beweggründe, gegen Tesla vorzugehen, sind in einem von ihm mitverfassten Papier der Interventionistischen Linken (IL) Berlin detailliert aufgeführt. «Es gibt keinen ‹grünen› Kapitalismus» lautet der Titel des Beitrags, in dem sich viele stichhaltige Argumente gegen den elektrifizierten Individualverkehr finden. Aber rechtfertigt das, sich in den Dunstkreis der AfD zu begeben? Das habe man nicht getan, findet Baliani. «Aus einer Klimagerechtigkeitsperspektive ist die AfD der absolute Gegner», sagt er, und die KlimaaktivistInnen von Ende Gelände seien in der Vergangenheit schon wiederholt massiv von Rechten attackiert worden. Gleichzeitig versuche die AfD aber gezielt, das Thema Naturschutz in Ostdeutschland zu besetzen und lokale Gruppen zu instrumentalisieren. «Was bringt es, dann nicht mehr mit diesen Gruppen zu reden? Wir müssen die Rechten rausdrängen.»

Steffen Schorcht bestätigt, dass Hildegard Vera Kaethner ausgeschlossen worden sei, als man realisiert habe, dass sie in AfD-Kreisen Leute für die BI GGG mobilisiert habe. Die Initiative sei schliesslich von Leuten aus der links-grünen Ecke gegründet worden, und zu dieser zähle er auch sich selbst. «Manche verlangen, dass wir gegen Rechts eine Brandmauer hochziehen», sagt Schorcht, «aber ich finde, dass wir sie in den Diskurs miteinbeziehen müssen.» Man habe jedoch einen harten Schnitt vollzogen, auch weil Ende Gelände eine mögliche Zusammenarbeit an klare Bedingungen geknüpft habe: Extremistische Positionen sowie Funktionärinnen und Mandatsträger der AfD hätten in der BI GGG nichts verloren, so Schorcht.

Fragt sich, wie lange der Widerstand gegen die Gigafactory überhaupt noch Sinn ergibt. Denn Tesla macht mächtig vorwärts. 361 Einsprachen gegen das Bauvorhaben habe man erhalten, liess das brandenburgische Umweltministerium zu Wochenbeginn verlauten, und auf alle soll Mitte März im Rahmen einer «öffentlichen Erörterung» eingegangen werden. Aber auch wenn die definitiven Baugenehmigungen erst im Sommer folgen dürften: Es ist zu erwarten, dass Tesla auf eigenes Risiko noch in diesem Monat mit den Bauarbeiten beginnen wird.