Durch den Monat mit Carola Rackete (Teil 2): Darf man Strommasten in Brand setzen?
Die Klimaerhitzung schreitet fort, die Politik bleibt weitgehend tatenlos: Die Dringlichkeit rechtfertige auch radikale Massnahmen, sagt die Naturschutzökologin Carola Rackete. Und sie erklärt, wieso sie Verständnis für die protestierenden Landwirt:innen hat.
WOZ: Carola Rackete, wie halten wir die Klimakrise auf?
Carola Rackete: Durch radikale Umverteilung von Eigentum. Wir wissen ja, dass Konzerne und Reiche wahnsinnig viel mehr emittieren als ärmere Menschen. Nur schon die Emissionen der obersten zehn Prozent auf das Mittelmass zu reduzieren, würde sehr viel einsparen. Wir brauchen ausserdem Geld, um die Transformation zu schaffen. Das müssen wir von den Verantwortlichen holen, deswegen fordere ich eine Klimakrisenvermögensabgabe.
Und wie gehen wir vor?
Wichtig sind breite Bündnisse. Ein Beispiel: Kürzlich hat die Gewerkschaft Verdi mit Fridays for Future zusammengespannt, um die Angestellten im öffentlichen Verkehr bei ihrem Arbeitskampf zu unterstützen. Auch um dem Rechtsruck zu begegnen, müssen wir uns ähnlich stark vernetzen, wie es die Rechten seit Jahren leider ziemlich erfolgreich machen.
Auch sogenannte grüne Technologien werden gerade viel diskutiert …
Ich glaube, dass wir andere und neue Technologien brauchen. Aber wir wissen auch, dass im Regelfall einfach mehr von einem Produkt hergestellt wird, wenn dieses mit weniger Ressourcen und billiger produziert werden kann. Mit einem wachstumsbasierten Wirtschaftssystem können wir nicht innerhalb der planetaren Grenzen bleiben.
Eine Methode, die sich gegen dieses System richtet, ist die Sabotage – wie zuletzt gegen die Tesla-Gigafactory im brandenburgischen Grünheide. Finden Sie das eine gute Idee?
Es kommt auf den Kontext an. Ich war in den letzten Wochen mehrfach bei Tesla und kenne auch die Bürger:inneninitiative dort. Eine Befragung ergab, dass die Leute vor Ort den Ausbau des Tesla-Werks mehrheitlich ablehnen, auch weil die Entscheidung für den Ausbau so undemokratisch abgelaufen ist. Das ist ein grosses Problem, insbesondere in Ostdeutschland: Die Leute spüren, dass sie übergangen werden. Nach diesem letzten Sabotageakt kämpfen die Anwohner:innen weiterhin gegen den Ausbau und sprechen etwa auch mit den Gewerkschafter:innen bei Tesla.
Wenn also der Kontext stimmt, kann man schon mal einen Strommast in Brand setzen?
Ich glaube schon, ja. Die Klimakrise ist krasse Gewalt an vielen Menschen im Globalen Süden, die an den Folgen davon … ja, sterben. Auch hier wird sie zunehmend bemerkbar. In diesem Kontext finde ich viele Aktionen des zivilen Ungehorsams und auch der Sabotage gut vertretbar.
Als eine von wenigen Linken haben Sie Solidarität mit den Landwirtschaftsprotesten ausgedrückt. Warum?
Also ja, Solidarität – so weit würde ich nicht gehen. Aber ich habe Verständnis für die Probleme der Landwirt:innen. Deren Ursachen liegen in dreissig Jahren verfehlter Agrarpolitik. Ein Problem ist etwa, dass seit der Wirtschaftskrise 2008 viel mehr Investor:innen landwirtschaftlichen Boden erwerben – als sichere Wertanlage. Die Bodenpreise in Ostdeutschland haben sich seither verdoppelt. Ein weiteres Problem ist die Marktmacht der vier grossen Supermarktketten, die 85 Prozent des Marktes kontrollieren, also von Aldi, Rewe, Edeka und der Schwarz-Gruppe, der Lidl gehört. Sie können die Landwirt:innen teilweise sogar dazu zwingen, unter dem Erzeugerpreis zu verkaufen. Da kann ich es auch verstehen, wenn diese dann verärgert sind. Kein Verständnis habe ich hingegen für rechte Parolen und Gewaltaufrufe gegen Menschen.
Was würde gegen die Probleme der Landwirt:innen helfen?
Auf EU-Ebene eine Umstellung der Subventionspolitik. Dreissig bis vierzig Prozent des EU-Budgets gehen für Agrarsubventionen drauf. Die müssen an sich erhalten werden, aber gezielt für die Umstellung auf eine ökologisch verträgliche Landwirtschaft genutzt werden. Im Moment gibt es hauptsächlich Flächenprämien; es wird pro Hektare ausgezahlt – wer schon viel hat, kriegt viel. Stattdessen brauchen wir die gezielte Förderung von sozialen und ökologischen Massnahmen: Wir müssen runter mit den Tierzahlen, da müssen wir Betriebe bei der Umstellung unterstützen, und wir brauchen Junglandwirteförderung. Immer weniger Junge können in die Landwirtschaft einsteigen, weil die Pacht- und Kaufpreise so hoch sind. Aber Lebensmittel müssen ja letztlich irgendwie produziert werden.
Die Proteste konnten von rechts vereinnahmt werden. Liegt das auch daran, dass die Linke die Landwirtschaftspolitik vernachlässigt hat?
Teils sicherlich. Es gibt zwar eine linke Landwirtschaftsbewegung. Ich glaube aber, dort herrschen oft Unwissen und Unverständnis gegenüber konventionellen Landwirt:innen. Ganz bestimmt ist das kein Themenfeld, in dem sich die Linke stark engagiert. Obwohl es hier um Konzerninteressen oder Machtmonopole geht. Das wären eigentlich gute Voraussetzungen für fundierte linke Politik.
Die Naturschutzökologin Carola Rackete (35) findet, wir sollten alle öfter aufs Land. Sie selber ist vergangenes Jahr für eine «Biodiversitätskartierung» wochenlang durch landwirtschaftliche Betriebe in Irland gestreift.