Tesla-Proteste in Brandenburg: Und auf X beklagt sich Elon Musk

Nr. 20 –

Der Multimilliardär will seine Tesla-Fabrik mitten im Wasserschutzgebiet bei Berlin vergrössern. Doch der Widerstand vor Ort ist breit getragen.

Foto vom Protest gegen die Tesla-Fabrik in Grünheide
Aus einer «Initiative von aufgeregten Bürgern» wurde eine «politische Gruppierung», und inzwischen haben sich Menschen aus ganz Deutschland dem Protest angeschlossen. Foto: Axel Schmidt, Getty

Steffen Schorcht ist ein gefragter Mann dieser Tage. Einen Termin mit ihm auszumachen, ist nicht so leicht. «Es tut mir wirklich leid, ich bin unterwegs zur Gefangenensammelstelle», sagt er am Telefon. «Um Festgenommene abzuholen. Die jungen Leute sollen sehen, dass die Anwohner hinter ihnen stehen.» Es könne daher noch ein bisschen dauern.

Schorcht ist 63 Jahre alt und Mitbegründer der Bürgerinitiative Grünheide. Man kann sagen, er und seine Mitstreiter:innen haben etwas ins Rollen gebracht, als sie Ende 2019 begannen, den Widerstand gegen den Bau der «Tesla Gigafactory» am Rand des Brandenburger Ortes nahe Berlin zu organisieren. Knapp viereinhalb Jahre später sind etwa 2000 Demonstrant:innen im Wald rund um Grünheide unterwegs.

An diesem Freitagvormittag haben einige Hundert Protestierende versucht, das Fabrikgelände zu stürmen, andernorts Tesla-Fahrzeuge mit roter Farbe bekleckst. Es gab Festnahmen, auch Verletzte. Nun berichten Medien weltweit über die Ereignisse, Multimilliardär Elon Musk beklagt sich auf X über das lasche Vorgehen der deutschen Polizei. «Grünheide ist berühmt jetzt», ruft am Nachmittag ein Jugendlicher auf dem Fahrrad seinen Freunden zu. Und die Anwohner:innen mit ihrer Initiative? «Wir sind froh, dass so viele Menschen gekommen sind und solidarisch mit uns für den Schutz von Wald und Wasser kämpfen», sagt Schorcht.

Steffen Schorcht, Anwohner
Steffen Schorcht, Anwohner

Der Protest in Grünheide richtet sich gegen die Erweiterung des 2022 eröffneten, schon jetzt gigantischen Tesla-Werks. 300 Hektaren umfasst es aktuell, das entspricht einer Fläche von mehr als 400 Fussballfeldern – auf der vorher Wald war. Hier produzieren 12 000 Arbeiter:innen etwa 250 000 Elektro-SUVs pro Jahr, für 500 000 Autos ist das Werk ausgelegt. Es sollen sogar noch mehr werden, bis zu eine Million. Auch wenn der Verkauf der Elektro-SUVs derzeit stockt und Tesla Beschäftigte entlässt: Musk möchte das Werk in Grünheide, sein einziges in Europa, vorsorglich erweitern, denn der europäische Markt ist gross.

Dafür soll mehr Wald gerodet werden, der sich noch im Besitz des Landes Brandenburg befindet – und, wie auch grosse Teile des bestehenden Fabrikgeländes, in einem Trinkwasserschutzgebiet liegt. Die Einwohner:innen der Gemeinde sind in grosser Mehrheit dagegen. 62 Prozent sprachen sich bei einer Befragung im Februar gegen die Ausbaupläne und den Verkauf weiterer Waldflächen an Tesla aus. «Bürgerentscheid umsetzen!» ist denn auch eine der Forderungen, die man immer wieder auf Protestschildern sieht. Sie ist an die Vertreter:innen im Gemeinderat adressiert: Am Erscheinungstag dieser WOZ wird dort über die Umzonung des Waldes in ein Industriegebiet entschieden – die Voraussetzung für den Verkauf des Areals an Tesla.

Im Vorfeld wollten die Tesla-Gegner:innen noch einmal alles in die Waagschale werfen und mobilisierten für ein verlängertes Aktionswochenende an Auffahrt.

«Wir sind hier nicht in Berlin!»

Am Donnerstag, 9. Mai, fahren am Bahnhof Fangschleuse alle halbe Stunde Züge aus Berlin ein: überfüllt, zur einen Hälfte mit Familien und bierseligen Männergruppen, die zu Ausflügen aufs Land wollen, zur anderen Hälfte mit jungen Aktivist:innen mit Rucksäcken und Isomatten. In langen Reihen bewegt sich der Tross von Protestierenden entlang der Landstrasse vom Bahnhof nach Grünheide. An jedem Parkplatz und jeder Abzweigung stehen Polizeiautos. Im Schatten sitzen Polizist:innen und schauen gelangweilt auf ihre Handys. Ein Velofahrer fährt in Schlangenlinien über den geteilten Fuss- und Radweg und ermahnt Aktivist:innen, aus dem Weg zu gehen. «Wir sind hier nicht in Berlin!»

Auf dem Festplatz von Grünheide haben die Protestierenden ein Camp errichtet inklusive Küche, Sanitäts- und Pressezelt sowie grosser Zirkuszelte für Veranstaltungen. «Allein dass wir hier sind, ist ein Riesenerfolg», sagt Karolina Drzewo vom Bündnis «Tesla den Hahn abdrehen». Die Aktionstage sind gut besucht, Teilnehmer:innen aus ganz Deutschland diskutieren angeregt in Workshops oder lauschen Präsentationen zur Wassersituation in Brandenburg, viele haben ihre Zelte gleich für fünf Tage aufgeschlagen.

Karolina Drzewo, Bündnissprecherin
Karolina Drzewo, Bündnissprecherin

«Als wir letztes Jahr angefangen haben, waren wir gerade mal dreissig Leute», erinnert sich Drzewo. Seitdem hat das Bündnis gemeinsam mit der Bürgerinitiative Grünheide in Haustürgesprächen vor Ort, in Berlin und überregional für die Proteste geworben. Heute wüssten die meisten, mit denen sie in Berlin und Brandenburg spreche, von der Wasserproblematik und den schlechten Arbeitsbedingungen bei Tesla. Auch Steffen Schorcht von der Bürgerinitiative blickt stolz über das Camp. Schon vor zwanzig Jahren setzte er sich für Umweltschutz in der Region ein, auch an der Einrichtung des Wasserschutzgebiets war er beteiligt: «Als ich im Herbst 2019 erfuhr, dass Tesla sich hier ansiedelt, war das ein Schock.»

Zu Beginn sei Tesla als Glücksfall für die Region präsentiert und von vielen auch so gesehen worden. Viele neue Arbeitsplätze, Geld für die Gemeindekasse. «Wir waren die Blöden», erzählt Schorcht, «die die Genialität von Musk nicht erkannt haben.» Inzwischen hat sich die Wahrnehmung verändert: Die Ansiedlung macht sich in der Gemeinde drastisch bemerkbar. Alle Neubürger:innen müssen schon jetzt ihren Wasserverbrauch beschränken; ab 2025 gilt die Beschränkung für alle privaten Haushalte. Brandenburg zählt zu den trockensten Regionen Deutschlands. Die durstige Fabrik bringt den regionalen Wasserversorger an seine Kapazitätsgrenzen.

Zudem gibt es Sorgen um Havarien: 26 Vorfälle sind bisher bekannt geworden, darunter der Austritt von 15 000 Litern Tauchbad in der Lackiererei und dreizehn Tonnen flüssigem Aluminium. Und beim Abwasser, warnt der Wasserverband, würden erhöhte Schadstoffe abgesondert. Beim Bau der Fabrik hatten der Konzern und die zuständigen Behörden bereits Umweltbedenken ignoriert. Viele in der Region sorgen sich, dass ein Ausbau der Gigafactory die Probleme verschärfen würde.

Seit Jahren informiert die Bürgerinitiative auf Waldspaziergängen über die Probleme, die die Fabrik mit sich bringt. Schorcht und seine Mitstreiter:innen lesen Bebauungspläne und Umweltschutzauflagen, formulieren Einsprachen, klären auf. Der Protest habe ihren Horizont erweitert, sagt Schorcht. Der Abbau schwindender Ressourcen, das falsche Versprechen grüner Mobilität mit Elektroautos, Ausbeutung, Profitgier, die Gefährdung der Trinkwasserversorgung: All das betreffe sehr viele Menschen an sehr vielen Orten, nicht nur in Grünheide und Umgebung. Die Initiative entschied, selbst grösser zu planen, und ging auf das linke Klimanetzwerk Ende Gelände in Berlin zu – und traf auf Interesse. Aus der Kooperation entstand das Bündnis, in dem die Bürgerinitiative und andere Gruppen aus Berlin und Brandenburg gemeinsam Protestaktionen organisieren.

«Wir wurden von einer stinknormalen Initiative von aufgeregten Bürgern zu einer politischen Gruppierung, die die Sache vorantreibt», sagt Schorcht. Er ist beeindruckt von den Waldbesetzer:innen, die seit Februar auf einem Waldstück zwischen Bahnhof und Werk in Baumhäusern ausharren, und betont, dass sie dem Anliegen helfen. «Ich habe Kinder im gleichen Alter, das gibt mir Hoffnung für die Zukunft.»

Glückwünsche an die IG Metall

So stehen die Tesla-Proteste in der Grünheider Lokalpolitik zugleich für etwas Grösseres – und für eine David-gegen-Goliath-Geschichte: Ein kleiner Ort nimmt es mit einem Giganten auf. Viele Anwohner:innen im Ort sehen mit dem nur minimal veränderten Bebauungsplan, der nun durch den Gemeinderat gehen soll, das Bürgervotum verletzt. Dass der Gemeinderat die Pläne noch stoppt, glaubt kaum jemand. «Gerade in einer Region, wo schon viel Politikverdrossenheit herrscht, ist so etwas fatal», sagt Bündnissprecherin Karolina Drzewo. Am Ende werde davon bei den Kommunalwahlen im Juni die extrem rechte AfD profitieren, die sich auch gegen die Werkserweiterung ausspricht.

Unklar ist, wie sich das Verhältnis zu den Beschäftigten und der IG Metall entwickeln wird. Für die grosse deutsche Industriegewerkschaft ist Tesla eine Herausforderung, denn Musk ist für seine gewerkschaftsfeindliche Haltung bekannt. Auf das deutsche Mitbestimmungsrecht hat sich Tesla gut vorbereitet. Als Europäische Aktiengesellschaft hat das Unternehmen eine Rechtsform gewählt, die Mitbestimmung erschwert. Gleich zu Beginn, als noch kaum Beschäftigte in der Produktion arbeiteten, liess es einen Betriebsrat wählen, der dem Management wohlgesinnt ist. Im März dieses Jahres fand die zweite Betriebsratswahl statt, bei der die Liste der IG Metall mit knapp vierzig Prozent stärkste Einzelfraktion wurde – für die Gewerkschafter:innen eine Erleichterung. Noch kurz vor der Wahl hatte der Brandanschlag auf einen Strommast die Tesla-Produktion für eine Woche zum Stillstand gebracht. Zeit, die die IG Metall für Gespräche mit Kolleg:innen eingeplant hatte.

Zu tun gibt es viel für Betriebsrat und Gewerkschaft. Im Werk herrscht ein strenges Regiment, die Arbeitsbedingungen sind hart, schwere Unfälle häufig, einen Tarifvertrag lehnt Tesla ab. 300 Leiharbeiter:innen und 400 Festangestellten wurde in den letzten Wochen gekündigt. Die Proteste an Auffahrt nutzte das Unternehmen, um das Werk für vier Tage zu schliessen.

Anders als die Protestgruppen ist die IG Metall für die Erweiterung des Werks, ein Interessenkonflikt. Doch man bemüht sich um ein gutes Verhältnis. In vielen Reden bei den Protesten wird auf die schweren Arbeitsbedingungen hingewiesen und zu Solidarität mit den Beschäftigten aufgerufen. Innerhalb des Bündnisses hat sich eine Gruppe gegründet, die Arbeiter:innen über die Anliegen der Tesla-Gegner:innen informieren will. Und als die IG Metall im März in den Betriebsrat einzog, zogen Aktivist:innen zum Gewerkschaftsbüro am Bahnhof Fangschleuse und überbrachten Glückwünsche.

«Nicht alle Arbeiter:innen teilen die Haltung der Gewerkschaft zum Ausbau», sagt Karolina Drzewo. Was die Klimakrise angehe, könne die IG Metall ihre Position ja noch ändern. «Es würde sie stärken, wenn sie über die sozialökologische Transformation nachdenken würde, statt an etwas festzuhalten, das keine Zukunft hat», ist Drzewo überzeugt. Im politischen Umgang miteinander wolle man sich auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren: Den Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, mehr Geld, mehr Arbeitsschutz schlössen sich die Aktivist:innen an.

Gemeinsame Anliegen in den Mittelpunkt stellen: Mit seiner Fahrt zur Gefangenensammelstelle setzt Steffen Schorcht dieses Rezept in die Tat um. Er sagt, ihm zeige der Umgang mit den Bedenken der Anwohner:innen, dass die Interessen von Tesla offenbar mehr wögen als die Achtung der Demokratie. Das würde wohl auch die IG Metall unterschreiben.

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Kommentare

Kommentar von Igarulo

So., 19.05.2024 - 12:55

´s ist eben Diktatur der Wirtschaft. Sie kauft sich die Demokratie und dann sind Politikerinnen erstaunt, dass die Demokratie an Rückhalt verliert. Ein paar wenige profitieren unverhältnismässig, die anderen gucken in die Röhre.