Aus der Wirtschaft: Kleine Fluchten für die Gäste
Am schlimmsten war der Freitag, der 13. März. Ich bin nicht abergläubisch, aber dieses Datum hat sich mir eingebrannt. Der Bundesrat gab an diesem Tag die Weisung heraus, dass sich höchstens noch fünfzig Personen gleichzeitig in einem Betrieb aufhalten dürfen und es einen Mindestabstand von zwei Metern einzuhalten gelte.
Das war doch gar nicht möglich. Doch, doch, wir könnten schon offen haben, meinten sie bei der Polizei und auch beim Bundesamt für Gesundheit. Haben sie mir nicht zugehört? Wir sprechen von einer kleinen Bar. Da ist es eng. Wie soll man an einer Bar so viel Abstand voneinander haben? Die Drähte liefen heiss, und wir entschieden als Kollektiv, unser Lokal, die Tankstellbar, fürs Wochenende geschlossen zu lassen.
Mir persönlich fiel der Entscheid schwer. Geben wir zu leicht auf? Liessen wir unsere Gäste hängen? Sollten wir nicht gerade in schwierigen Zeiten auch für sie da sein? Ihnen ein offenes Ohr und eine kleine Flucht aus dem Alltag schenken? Wenigstens einen kleinen Rave bei uns, zur Ablenkung, wo doch die grossen Veranstaltungen nicht mehr stattfinden durften? Ausserdem hatten wir schon länger keinen richtig guten Abend mehr gehabt. Das ist zwar normal im Januar und im Februar. Aber dieses Jahr dürfte es eng werden. Auch mit den Löhnen. Meine Kollektivistas sind doch auf ihre Löhne angewiesen. Das Herz war mir schwer.
So empfand ich es als eine Erleichterung, als die Weisung kam, alle Gastrobetriebe müssten zumachen. Von uns wurde Solidarität erwartet, also wird man mit uns auch solidarisch sein, dachte ich mir. Die Tatsache, dass wir auch als StundenlöhnerInnen Kurzarbeit anmelden konnten, brachte grosse Erleichterung.
Dann kam die Sache mit dem Kredit. Die mussten wir natürlich im Plenum besprechen. Alle zusammen in einem Raum kam jetzt aber nicht mehr infrage. Stattdessen eine «Tankstell»-Sitzung per Telefonkonferenz, ein Novum. Irgendwie wussten wir nicht so recht. Einerseits zu gut: zinslos! Gerade in unserer Branche, wo man eh nie einen Kredit von einer Bank bekommt, höchstens vom Bierproduzenten. Wir konnten ein so gutes Angebot gar nicht ausschlagen. Jetzt ist der Kredit auf unserem Konto, und wir trauen uns gar nicht richtig, ihn anzurühren. Wir wissen, wie mühselig es ist, einen Kredit abzustottern.
Im Moment ist meine grösste Sorge nicht, wann genau wir wieder anfangen können, sondern die Vorstellung, dass es wieder so sein könnte wie Anfang März. Dass wir offen haben dürfen, aber nur mit Auflagen, die nicht realistisch sind. Sodass wir nicht annähernd kostendeckend wirtschaften können, aber auch keine Unterstützung mehr erhalten. Ein anderes Albtraumszenario: Dass wir zwar aufmachen dürfen, aber kaum Leute kommen. Weil es sich zu riskant oder einfach frivol anfühlt, mit vielen Menschen auf engem Raum zu feiern. Ich wische den Gedanken zur Seite.
Auf Social Media meinte eine Bekannte, es sei schon witzig: Wenn sie früher von Solidarität gesprochen habe, sei ihr entgegnet worden, das klinge radikal oder gleich nach Kommunismus. Jetzt hingegen werden Verordnungen im Namen der Solidarität erlassen. Wir müssen dafür kämpfen, dass dieser Solidaritätsgedanke weiterbesteht, auch wenn sich die Situation normalisiert. Es kann nicht sein, dass der Preis dieser Krise von uns, die am meisten davon betroffen sind, bezahlt wird, während sich andere bereichern, indem sie Kurzarbeit für ihre Angestellten beziehen und sich selbst Dividenden auszahlen. Wir verlangen, dass in der Gastronomie und in anderen Niedriglohnsektoren die Löhne nach oben korrigiert werden. Menschen, die keiner Arbeit nachgehen können, müssen sich auf tatsächlich existenzsichernde Leistungen verlassen können.
Systemrelevant ist nicht nur, wer der Wirtschaft und der Gesundheit dient. Auch die Kultur und die Subkulturen brauchen ihren Platz. Sie ermöglichen uns eine andere Perspektive. Wir sind in der Gastwirtschaft tätig. Eigentlich ein schönes Wort, steckt darin doch schon die Solidarität: Es geht nicht nur um die Wirtschaft, sondern immer auch um den Gast.
Maja Dörig ist Beizerin und SP-Stadtparlamentarierin in St. Gallen.