Christoph Höhtker: Explodierende Wachwelten
Vielleicht sind ja alle Drogen intelligent? Das von Christoph Höhtker für seinen neuen Roman erfundene Mittelchen ist es auf jeden Fall: Diese Marom-Pillen sind die eierlegende Wollmilchsau unter den Drogen. Sie spüren, was die KonsumentInnen brauchen – und schiessen die gewünschte Wirkung in die Blutbahn: Schlaf und Beruhigung oder Wachheit, Glücksgefühle, reinster Überschwang. Ausserdem schärft die sehr körperintensive Droge das politische Bewusstsein.
Man könnte also «Schlachthof und Ordnung» mit Recht als grossen Drogenroman beschreiben. Doch steht viel mehr auf dem Spiel, das Höhtker mit schreibverliebter Lust an kuriosen Details als psychedelischen Stafettenlauf auf uns loslässt: Todkomische Managersatire jagt Terrorroman jagt Krieg der Geschlechter; wobei die allesamt gutaussehenden Frauen ihren Männern stets einen Schritt voraus sind. Aus den Schützengräben der Vergangenheit steigt ein untoter Arzt, der zu gleichen Teilen aus Ernst Jünger und Trivialroman à la H. G. Konsalik besteht. Aus der Gegenwart springt ein geschniegelter Karrierist der Fleischverarbeitung, der zur Lust Ferkel quält und nun beim Drogenhersteller anheuern will.
Wo Drogen sind, lauert der Entzug. Dieser ist im Fall von Marom – wen wunderts? – höllisch und führt direkt in eine Parallelwelt des Wahns. Dort begegnet uns ein schwerstabhängiger Schriftsteller, der alle Romanfiguren bestens zu kennen scheint. Und wir beginnen zu ahnen, dass «Schlachthof und Ordnung» – wie jede Literatur? – Entzugstagebuch und Rauschschrift in einem ist.
Der Autor diskutiert am Samstag, 23. Mai 2020, um 13 Uhr mit Tom Kummer zu «Stimmungen zwischen Memento und Vision».
Christoph Höhtker: Schlachthof und Ordnung. Weissbooks. Zürich 2020. 409 Seiten. 32 Franken