Philanthropie: Wer sagt, was gut ist?

Nr. 27 –

Private GrosspenderInnen wie Bill und Melinda Gates springen ein, wenn Staaten die Weltgesundheitsorganisation nicht mehr finanzieren wollen. Man muss keiner Verschwörungstheorie anhängen, um das problematisch zu finden.

Wohltätig mit Geld aus fragwürdigen Investitionen: Melinda und Bill Gates, hier beim «One World: Together at Home»-Broadcast im April. Still: Global Citizen

«Alle Leben haben den gleichen Wert», steht in grossen Buchstaben auf der Website der Bill & Melinda Gates Foundation. Dazu Videos von Menschen auf dem ganzen Planeten, die auf Feldern arbeiten, am Computer oder in Schulzimmern lernen, im Labor forschen. Der Microsoft-Mitbegründer Bill Gates und seine Ehefrau Melinda kämpfen mit ihrer Stiftung seit genau zwanzig Jahren gegen Krankheit und Armut weltweit – aktuell auch für die Entwicklung eines Coronaimpfstoffs. Es ist die weltgrösste und bekannteste philanthropische Privatstiftung, nach eigenen Angaben mit einem Kapital von nahezu fünfzig Milliarden US-Dollar. Bill Gates nennt sich selbst einen «ungeduldigen Optimisten», für manche ist er die ultimative Hassfigur. Und zwar insbesondere seit Beginn der Coronapandemie, die das Paar zum Ziel von impffeindlichen VerschwörungstheoretikerInnen werden liess.

Geld aus der Rüstung

Dabei lässt sich auch mit nüchternem Blick erkennen, dass die Rolle der Bill & Melinda Gates Foundation in der globalen Gesundheitspolitik nicht unproblematisch ist. Zweifellos, die Stiftung investiert rund um den Erdball sehr viel Geld in Projekte, die von Armut betroffenen Menschen zugute kommen. Dieses Geld stammt allerdings zum Teil aus umstrittenen Investments, die das wohltäterische Image des Paars aus Seattle ankratzen. Die in Berlin ansässige Organisation Facing Finance, die sich für einen nachhaltigen Finanzmarkt einsetzt, hat sich die Steuererklärung der Gates-Stiftung vom Jahr 2018 angeschaut. Das Ergebnis: «Die Stiftung investiert in Aktien oder Anleihen von Waffenhändlern, in klimaschädliche Unternehmen der Energiebranche wie Exxon oder Shell, in Fluggesellschaften, aber auch in Firmen, die im Konflikt mit Umwelt- und Menschenrechtsstandards stehen, etwa Glencore», sagt Thomas Küchenmeister, der Vorsitzende von Facing Finance. Investiert werde zudem auch in Anleihen von Ländern, in denen die Todesstrafe praktiziert wird, wie etwa China und Saudi-Arabien. Es sei zwar unbestritten, dass die Stiftung mit ihrem Geld schon viele Menschenleben gerettet habe. «Aber müssen diese Gelder durch Geschäftsmodelle generiert werden, die genau das erzeugen, was man doch eigentlich beseitigen will, nämlich Armut, Hunger und Verzweiflung?», fragt Küchenmeister. «Warum dieser zynische Umweg?»

Die WOZ-Anfrage für ein Interview mit einem Standortleiter wird von der Gates-Stiftung abgelehnt, eine weitere Nachfrage, ob sonst jemand Auskunft geben könnte, bleibt unbeantwortet.

Mit ihrer schieren Grösse hat die Gates-Stiftung weltweit jedenfalls grossen gesundheitspolitischen Einfluss. Für die Weltgesundheitsorganisation WHO etwa ist sie mit 367,6 Millionen US-Dollar, die sie zuletzt innerhalb von zwei Jahren gespendet hat, die zweitwichtigste Geldgeberin – gleich nach den USA, deren Präsident Donald Trump erst kürzlich den Austritt aus der Organisation angekündigt hat. «Die Stiftung zahlt Beiträge, und wie überall, wo Geld investiert wird, hat Geld auch einen Einfluss», sagt dazu Gaudenz Silberschmidt, Direktor für Gesundheits- und multilaterale Partnerschaften bei der WHO. Ein Problem sieht er darin aber nicht. «Wir erhalten auch von der Schweiz Mitglieder- und zweckgebundene Beiträge, und die Schweiz nimmt von der Tabakindustrie Steuergeld», entgegnet er der Kritik. Und er zeigt den Sachzwang der WHO auf: «Wenn wir auf Stiftungsbeiträge der Gates verzichten, dann gibt es zwei Optionen: Entweder die Mitgliedstaaten zahlen mehr, oder wir machen all die Arbeit nicht», so Silberschmidt, «und wenn wir weniger machen können, dann kostet das Menschenleben.»

Auch Thomas Schwarz von der in Basel ansässigen NGO Medicus Mundi International, die im Bereich der internationalen Gesundheitspolitik tätig ist, warnt davor, Stiftungen wie jene der Gates als Sündenbock darzustellen. «Gates ist nicht das Problem der WHO, Gates ist ein Symptom», sagt er. Das eigentliche Problem seien die Mitgliedstaaten und ihre mangelnde Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation. «Wenn die WHO nun ringsherum um Geld betteln muss, dann ist das so, als würde in der Schweiz das Bundesamt für Gesundheit oder das Departement des Innern Spendengelder oder finanzielle Mittel aus dem privaten Sektor annehmen müssen, um ihren Kernaufgaben nachzukommen», so Schwarz. Partnerschaften der WHO mit privaten GeldgeberInnen liessen ihren Handlungsspielraum für grundsätzliche strukturelle und gesundheitspolitische Fragen schwinden.

Rein technische Herausforderung

Dem pflichtet auch Thomas Gebauer bei, Sprecher der Hilfsorganisation Medico International mit Sitz in Frankfurt. Die Verdienste der Gates-Stiftung seien nicht schlecht, sagt der Gesundheitsexperte, aber ihre Herangehensweise sei grundsätzlich problematisch. Denn sie betrachte eine Krankheit nicht in ihrem gesellschaftlichen Kontext, «sondern einzig als technische Herausforderung, der mit Kapitaleinsatz, unternehmerischem Management und biomedizinischen Angeboten zu begegnen ist». Gebauer warnt zudem vor der wachsenden Abhängigkeit von mächtigen MäzenInnen, deren Goodwill letztlich darüber entscheidet, in welche Behandlungen investiert und wem damit geholfen wird. Wenigstens lasse sich damit verdeutlichen, «wie eng das globale Krisengeschehen mit dem neoliberalen Denken verbunden ist», so Gebauer.