Durch den Monat mit 
Michael Egger und Demian Jakob (3): Ist Verletzlichkeit für Männer eine Klassenfrage?

Nr. 34 –

Obwohl sie Hip-Hop lieben, spielen Michael Egger und Demian Jakob lieber in einer Popband. Die Schweizer Kulturszene erleben sie trotz feministischer Debatten als ganz schön hart und kompetitiv.

Demian Jakob (rechts): «Die Wirtschaftselite ist wohl noch kein guter Ort, um männliche Zerbrechlichkeit zu thematisieren.»

WOZ: Demian Jakob und Michael Egger, wenn Sie über Musik reden, spürt man immer Ihre grosse Liebe zum Hip-Hop. Warum rappen Sie nicht selber?
Demian Jakob: Wir haben als Teenager viel experimentiert: Punkrock, Ghettotech, Eurodance und mit viel Liebe auch Rap, vor allem Hardcore-Sachen. Wir wurden Teens, als Lil Wayne das Wort «Bling!» erfand.

Michael Egger: Ja, wir haben beide zeitweise gerappt, und Hip-Hop ist für mich eine grosse Liebe geblieben. Ich begann mit dreizehn, und meine Schwester hat mich immer an diese Battles gefahren, das werde ich ihr nie vergessen. Seit ich wieder Rapfan bin – also nur noch Fan –, ist es für mich aber viel schöner.

Weil Sie nicht mehr kompetitiv da drin sind?
Egger: Genau.

Jakob: Für mich war es total befreiend, zu sagen, wir machen jetzt Pop. Es fühlte sich an, als gäbe es dort mehr zu tun für uns.

Egger: Ja, Pop hat uns einen Space ermöglicht … Was mich am Rap besonders berührt hat, ist die Wut gegen Unterdrückung – und auch die Aneignung dieses hyperkapitalistischen Zeichensystems. Beides konnte ich mit meinem persönlichen und sozialen Hintergrund schlecht umsetzen. Auch gab es einfach sehr viele Leute hier, die das schon sehr gut gemacht haben, was konnten wir beitragen? Es passte für uns, leise und hoch zu singen, eher feminine Rollen zu finden und zu versuchen, von dort aus etwas zu verändern.

Was hat Sie dabei inspiriert?
Egger: Ein Schlüsselmoment war für mich ein Konzert der Band The XX Ende der nuller Jahre. Sie zeigten eine Verletzlichkeit von Männlichkeit, ein Zusammensein, das sehr tief ging – ich sah darin, als gemeinsame Erfahrung mit 10 000 Leuten, auch eine politische Performance. Das interessierte mich, dem wollte ich nachgehen.

Jakob: Mit der Zeit begannen wir, stärker die Rollen zu reflektieren, die wir einnehmen, die Figuren, die wir repräsentieren. Beim neuen Album ging es darum, uns als Personen zurückzunehmen. Wir versuchten, Geschichten zu erzählen, in einer gewissen Verletzlichkeit, die aber oft nicht von uns handeln.

Muss man als Mann privilegiert sein, um Verletzlichkeit zeigen zu können? Ist das auch eine Klassenfrage?
Jakob: Ja, es ist ein Privileg. Die Rechten schimpfen ja, die Unis seien Safe Spaces – so erlebe ich das auch, und ich bin sehr froh darüber. Aber das gilt vor allem für Kultur- und Geisteswissenschaften. Die Wirtschafts- oder Politelite ist wohl noch kein guter Ort, um männliche Zerbrechlichkeit zu thematisieren.

Egger: Ja, dort musst du nach aussen extrem gut funktionieren. Ich glaube, viele – Frauen wie Männer – leiden sehr darunter.

Jakob: In der Kultur ist es allerdings auch nicht immer, wie es scheint. Toxische Männlichkeit ist zwar nun öfter ein Thema, aber als ich als Techniker an Theatern arbeitete, traf ich immer wieder Intendanten, die sehr aggressiv mit sich und anderen umgingen – es ist vielleicht weniger offensichtlich, aber es findet trotzdem Mobbing statt, und überall gibt es Regieassistentinnen, aber kaum je eine technische Leiterin.

Egger: Ich empfinde das Verhalten vieler Menschen in den hiesigen Kulturszenen, gerade in Zürich, oftmals als enorm kompetitiv, nicht selten auch als missgünstig. Die Konkurrenz ist so krass, die Leute fühlen sich so schnell bedroht … Es zeigt sich schon im Alltag, der Stress der Leute, mit den richtigen Leuten abzuhängen, nicht das Falsche zu sagen. Ob wir selbst besser sind, ist die andere Frage. Wir alle sind diesem enormen Wettbewerb ausgesetzt.

Jakob: Als ich hier in Zürich am ersten Tag an der Kunstuni war, zeigten wir einander unsere Arbeiten, und in der Pause sagte eine zu mir: «Ich kann schon zugeben, wenn mir etwas gefällt, aber wir sind trotzdem alles Konkurrenten hier.» Gleichzeitig gibt es so oft Konsensdiskussionen, in denen man sich gegenseitig in Dingen bestätigt, die man schon weiss. Man redet vielleicht einen Morgen lang über Schwarze Frauen, nennt ein paar Künstlerinnen, aber geht es einmal nicht um Diskriminierung, tauchen die dann trotzdem nicht mehr auf.

Egger: Manchmal denke ich, dass mein alter Freundeskreis in Bern viel weniger in diesen Diskursen drin ist, aber viel mehr das lebt, was die Diskurse fordern. Ich hatte das Glück, in einem sehr durchmischten Quartier aufzuwachsen, im Ländli in Bremgarten bei Bern, obwohl ich selber aus der oberen Mittelschicht komme. Und mir scheint, auch im Ausgang findet in Bern mehr Austausch statt, einfach weil es kleiner ist. Ich finde es gut, wenn sich Milieus mischen, ich mag harte Diskussionen, auch an der Uni. Wenn du nur noch von Leuten umgeben bist, die die gleichen Diskurse führen, haben sie ja keine Wirkung mehr.

Gibt es sie denn an der Uni, die harten Diskussionen?
Egger: Ich habe Geschichte studiert, und einmal nahm ich an einem Seminar über Bürgerkrieg teil. Da stritten sechs Reitschulaktivistinnen mit vier Typen in Militäruniform. Diese Kontroversen auszuhalten, war ungeheuer lehrreich. Man hat sich natürlich in keiner Weise gefunden, aber es war respektvoll – dafür ist die Uni da.

Demian Jakob und Michael Egger (beide 32) sind Sänger der Berner Band Jeans for Jesus.