Durch den Monat mit 
Michael Egger und Demian Jakob (2): Haben Sie den Mythos vom leidenden Künstler gepflegt?

Nr. 33 –

Lange bevor es die Band Jeans for Jesus gab, machten Michael Egger und Demian Jakob am Gymnasium erste künstlerische Gehversuche. Auch heute schreiben sie die Songtexte noch gemeinsam. Aber sie trinken dabei nicht mehr so viel.

Michael Egger (links): «Sogar unsere Beziehungen haben darunter gelitten, weil wir das so ernst genommen haben.»

WOZ: Demian Jakob und Michael Egger, wo haben Sie sich kennengelernt?
Michael Egger: Ich landete nach einem Schulwechsel am gleichen Gymer wie Demi, Lerbermatt in Köniz. Dort hatte ich eine megacoole Deutschlehrerin, sie förderte mich sehr beim Schreiben. Auch ihr Mann arbeitete dort, beide waren sehr theateraffin und politisch, sie haben uns enorm geprägt. Demi hat Theater gespielt, wir begannen zusammen zu hängen – wir interessierten uns beide für Musik, Literatur, Graffiti, ab und zu für weiche Drogen … Demi brach dann die Schule ab, aber später haben wir beide in Fabriken gearbeitet. Das hat uns zusammengeschweisst. Diese Freude am Schreiben, das sind unsere Roots. Wir lasen viel linke Literatur …

Demian Jakob: … und Bukowski. Vor allem in den Fabrikzeiten.

Egger: Ja. Wir hatten das naive Gefühl, um gute Texte zu schreiben, müssten wir uns kaputtmachen.

Der Mythos vom leidenden Künstler?
Egger: Ja, wir haben den intensiv zu leben versucht: trinken und schreiben und zweifeln. Bei den ersten Alben haben sogar unsere Beziehungen darunter gelitten, weil wir das so ernst genommen haben. Beim dritten Album haben wir dann abgemacht, dass es auch ohne Alkohol gehen muss. Zumindest mit viel weniger.

Jakob: Das künstlerische Schaffen wirft allein schon so viele Zweifel und Fragen auf, da musst du nicht verzweifelt durchs Leben gehen. Im Gegenteil – als es bei mir mit diesen depressiven Episoden anfing, stand die Verzweiflung nur noch im Weg. Wir schreiben schon mal morgens um vier betrunken ein paar düstere Textzeilen ins Handy, aber die Arbeit an Songs machen wir mit Freude. Wenn man in der Kunst Hoffnung sucht, muss man auch etwas geben, nach vorn gehen, mutig sein. Und sich nicht im Zimmer verschanzen – sonst wirds nur noch traurig.

Die Grundstimmung von Jeans for Jesus ist ja auch positiver geworden, wenn man das dritte Album mit dem ersten vergleicht.
Jakob: Da bin ich nicht so sicher – ich glaube eher, wir sind etwas radikaler und verbitterter geworden. Vielleicht glauben wir nicht mehr so an den Blues des Einzelnen, wir sind zehn Jahre älter und politisch enttäuscht, aber radikaler. Unsere Generation ist die erste, die nicht reicher wird, wenn sie älter wird.

Darum sind Sie enttäuscht?
Jakob: Es gibt doch dieses blöde Zitat, dass mit zwanzig fast alle Sozialisten sind und mit vierzig nur noch die Dummen. Das ist Bullshit, die Leute werden einfach paranoider und misstrauischer und wertkonservativer, wenn sie mehr Kohle haben. Ich glaube, in unserer Generation sind die Leute mit 35 radikaler als mit 20. Weil sie mehr gelesen haben und nicht korrumpiert worden sind vom Wohlstand.

Das wäre ja ein Grund zur Hoffnung.
Jakob: Ja. Vielleicht geht es gar nicht um Wohlstand, sondern um Unbestechlichkeit: Du kannst mir nicht ein Haus hinstellen und erzählen, dass wir in sechzig Jahren auf dem Mars leben oder solchen Schwachsinn, denn bevor du das Klima auf dem Mars verbesserst, machs mal hier!

Sie schreiben die Songtexte gemeinsam. Wie gehen Sie da vor?
Jakob: Wir reden einfach unendlich lange.

Egger: Und wir haben extrem viele Notizen. Manchmal wird das fast eine wissenschaftliche Arbeit: Für «Kapitalismus Kolleg» sammelten wir acht, neun A4-Seiten mit Sprüchen und setzten die dann zusammen. Es kann aber auch andersherum gehen: Beim Song «Selfcheckout» hat Demi die ersten zwei Zeilen über den Beat gemacht, Freestyle: «Lug wini ke Budget ha / u när glich a ds Buffet ga», und daraus entstand eine ausufernde Diskussion, inspiriert von Manu Chao, über Privilegien und eine postneoliberale Identität, die ein neues Prekariat verbinden könnte. Aber so theoretisch die Diskussion verlief, so einfach blieb der Text. Seit wir nicht mehr das Gefühl haben, beim Schreiben eines Songs zehn Liter Wein trinken zu müssen, gehts uns und den Texten besser.

Sie schreiben immer wieder Songs, die fröhlich und tanzbar klingen, aber traurige Texte haben. Ist das ein Konzept?
Jakob: Es hat uns nie so angesprochen, wenn ein ganzer Song nur eine Farbe hat. Mich interessieren Brüche – es ist megaschwierig, mit einer Gitarre den Blues spannend zu besingen, ohne in Klischees zu verfallen. Eklektisches Schaffen macht einfach mehr aus der Ausgangslage: Okay, wir nehmen mal Ferienstimmung und Baile-Funk-Beats und Sommer, und dann schreiben wir einen Text drüber, wie beschissen alles ist.

Sie meinen «Estavayeah» von 2013, Ihren grössten Hit. Nervt es, darauf reduziert zu werden?
Jakob: Am Gurtenfestival grölen bei «Estavayeah» am meisten Leute mit. Aber das sind nicht unbedingt die, die sonst an unsere Konzerte kommen.

Egger: Was gibt es Schöneres, als auf die Provence der Schweiz reduziert zu werden?

Michael Egger und Demian Jakob (beide 32) sind Sänger der Berner Band Jeans for Jesus. Am 15. August spielt Jakob an der «Strobilate»-Party in der Zürcher Roten Fabrik sein neues Stück «Threnodie für den Lockdown».