Abstimmungen: Trotz allem ein Erfolg

Nr. 49 –

Klar tut es weh. Mit nur 6000 Ja-Stimmen mehr in ein paar kleinen Kantonen hätte die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) auch das Ständemehr geschafft. Bitter ganz besonders für die Romandie: schon wieder eine progressive Vorlage, bei der sie von konservativen Deutschschweizer Kantonen überstimmt wurde.

Trotzdem: Das war keine Niederlage. Im Gegenteil – so etwas gab es noch nie. Noch nie hat ein Anliegen, das die Praktiken von Schweizer Konzernen infrage stellt, eine Mehrheit gefunden. Bisher galt in diesem Land: Progressive Initiativen lassen sich gewinnen, wenn sie mit Umwelt- und Landschaftsschutz zu tun haben, wie die Rothenthurm- und die Alpeninitiative. Und linke Referenden finden Mehrheiten, wenn genug Leute merken, dass sie selbst von Nachteilen betroffen wären, etwa bei der AHV oder in der Steuerpolitik. Bei der Kovi-Abstimmung ging es hingegen nicht um persönliche Vorteile, sondern um internationale Solidarität. Dass sich dafür eine Mehrheit finden lässt, ist eine Sensation.

Es war nicht der einzige Erfolg dieses Sonntags: In der Stadt Bern liegt der Frauenanteil im Parlament neu bei knapp siebzig Prozent – der Frauenstreik hallt nach. Und die Kriegsgeschäfteinitiative hat über vierzig Prozent Ja-Stimmen geschafft. Auch hier hat sich etwas verändert. Bisher setzte bei Vorlagen, die im Entferntesten mit Militär und Waffen zu tun hatten, bei fast allen MittewählerInnen automatisch ein Landesverteidigungsreflex ein. Bald, so scheint es, ist auch diese Neurose heilbar.

Auch der Blick auf die politische Landkarte ist spannend: In mehreren Regionen, etwa im Raum Bern, bewegen sich die Agglomerationsgemeinden nach links. Der Kanton Glarus scheint sich behutsam vom reaktionären Block der Innerschweizer Kantone zu lösen und hat ein Ja zur Kovi nur um knapp drei Prozentpunkte verfehlt. Und wieder einmal fällt auf: In der Romandie gibt es, insbesondere bei ökosozialen Fragen, kaum einen Stadt-Land-Graben. Was kann die Deutschschweiz davon lernen?

Die Kovi hinterlässt Strukturen, die die Schweiz weiter verändern können. Diese Initiative wurde von einer Bewegung getragen, die Parteien nicht ablehnt, sich aber auch nicht von ihnen bevormunden lässt. Von Aadorf bis Zweisimmen sind fast 500 Lokalkomitees entstanden – Klimaaktivisten, Sozialdemokratinnen, Punks, Weltladenverkäuferinnen, Kleingewerbler, Atheisten und Gläubige haben zusammengearbeitet und dabei die ermutigende Erfahrung gemacht: Wenn genug Leute mitziehen, führt Aktivismus nicht zu Erschöpfung, sondern gibt Energie. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass solidarische Politik vom persönlichen Kontakt lebt. Digitale Kanäle und Social-Media-Kampagnen können ihn ergänzen, aber nicht ersetzen. Ohne Corona, mit noch mehr Veranstaltungen und Diskussionen, wäre ein Ständemehr vielleicht möglich gewesen.

Ein Teil dieses Bündnisses wird Bestand haben und eine wichtige Rolle spielen in den grossen Diskussionen, die anstehen: über Banken, Klimapolitik und Postwachstum, Pestizide und Freihandelsabkommen, faire Sozialpolitik nach Corona und die Beteiligung von Menschen ohne Schweizer Pass am Staatswesen. Auch die Struktur dieses Landes ist eine solche Diskussion wert – über das Ständemehr hinaus: Wie viele Kantone braucht die Schweiz? Wären sieben genug? Oder elf? Unmöglich? Fragen wir doch mal in Glarus: Der Bergkanton hat 2011 den radikalen Schnitt gewagt und 25 Ortsgemeinden auf drei Grossgemeinden reduziert. Das geht auch eine Ebene höher. Grössere Kantone, die intern einen Ausgleich zwischen reicheren und strukturschwachen Regionen schaffen und miteinander intensiv im Austausch stehen, dazu ein neuer Effort zum Dialog zwischen den Sprachregionen: Das würde den schädlichen Steuerwettbewerb eindämmen und den Umgang mit Corona und zukünftigen Krisen vereinfachen. Und es würde den Föderalismus stärken, nicht schwächen.