Auf allen Kanälen: Strassenterror in Springerstiefeln

Nr. 51 –

Vom Hashtag zur Dokuserie: «Baseballschlägerjahre» erinnert an die Explosion rechtsextremer Gewalt nach der deutschen Einheit.

Eigentlich wollte man in Deutschland diesen Oktober das Dreissig-Jahr-Jubiläum der Wiedervereinigung gross begehen: Für den Festakt in Potsdam hatte man mit einer halben Million BesucherInnen gerechnet. Wegen Corona fielen die Feierlichkeiten am Ende deutlich kleiner aus, was aber wohl kein grosser Verlust ist: Der offizielle Blick auf die Einheit ist von ideologisch motivierten Leerstellen geprägt. Kaum eine Rede davon, dass es in der DDR auch eine linke Opposition gab, die zwar gegen den autoritären Staat aufbegehrte, aber keine Restaurierung des Kapitalismus wollte. Und viel zu wenig beleuchtet auch, dass nach 1990 Jahre des entfesselten rechten Strassenterrors folgten, samt Pogromen etwa in Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda.

Sieg-Heil-Wiegenlieder

Diese Auslassungen veranlassten den «Zeit online»-Journalisten Christian Bangel 2019, als der Wendegedenktrubel Fahrt aufnahm, zu einem Aufruf auf Twitter: Unter dem Hashtag #baseballschlaegerjahre sollten NutzerInnen Erfahrungen mit rechter Gewalt in den neunziger Jahren teilen. Auf die Idee war Bangel gekommen, nachdem er einen Zeitungsbeitrag des Musikers Testo vom Rapduo Zugezogen Maskulin gelesen hatte: Darin hatte dieser unter dem Titel «Sieg-Heil-Rufe wiegten mich in den Schlaf» von seiner Kindheit in einem Plattenbauviertel erzählt. Zahlreiche persönliche Berichte über den Alltagsterror von Neonazis kamen so zusammen.

Aus dem Hashtag wurde schliesslich eine kleine Dokfilmreihe: «Baseballschlägerjahre: Die Wendegeneration und rechte Gewalt». Für die Miniserie, die nun online zu sehen ist, realisierten verschiedene Regisseure und Autorinnen sechs Kurzfilme. Initiator Bangel macht dabei den Anfang: Er kehrte mit der Kamera nach Frankfurt an der Oder an der deutsch-polnischen Grenze zurück – in die Stadt, die er als junger Mann verlassen hatte, weil er genug davon hatte, immer wieder von Neonazis drangsaliert zu werden.

Diese Episode ist dabei noch die versöhnlichste, denn in Bangels Heimatstadt hat sich offensichtlich etwas getan: Die nach der Wende gegründete Europa-Universität Viadrina ist heute bei Studierenden aus aller Welt beliebt, und als nach dem Lockdown im Frühjahr die Grenze wieder öffnete, strömten Menschen von beiden Ufern der Oder zusammen, um zu feiern. Kein Vergleich zu früher: Bangel erinnert daran, wie 1991 PolInnen erstmals visafrei einreisen durften und Neonazis noch in derselben Nacht einen polnischen Bus attackierten.

Die Polizei schaut zu

Deutlich beklemmender ist aber der nächste Kurzfilm, der von den Neunzigern in Magdeburg in Sachsen-Anhalt erzählt. Der Sozialwissenschaftler David Begrich spricht von einer «Vakuumzeit», in der die alte DDR untergegangen, der neue Staat aber noch nicht an ihre Stelle getreten war. Das schuf Freiräume für Rechtsextreme, die Skinheadszene geriet «völlig ausser Kontrolle», wie es Begrich formuliert: Im Mai 1992 überfielen knapp fünfzig Neonazis eine PunkerInnenparty und prügelten dabei den 23-jährigen Torsten Lamprecht tot.

Dieser Mord vollzog sich vor den Augen der alarmierten Polizei. Nicht einmal die Autokennzeichen der Rechtsextremen notierten die in ihren Streifenwagen verharrenden Beamten. Zwei Jahre später jagten Nazihools bei den «Himmelfahrtskrawallen» MigrantInnen durch die Magdeburger Innenstadt. Blanken Horror dokumentiert auch die anschliessende Folge, in der es um die Ermordung Amadeu Antonios vor fast exakt dreissig Jahren geht. Der junge Angolaner war als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen und wurde im Dezember 1990 von Neonazis in Eberswalde totgeschlagen, wiederum unter den Augen bewaffneter Zivilpolizisten, die nicht einschritten.

Ausgeklammert bleibt jedoch der rechte Terror im Westen. Auch für analytische Fragen interessieren sich die FilmemacherInnen nur am Rande: Was waren die sozioökonomischen Umstände der Gewaltexplosion? Welche Linien von den Nazis in Springerstiefeln führen zum bürgerlich daherkommenden Rechtspopulismus von heute? Was ist mit den internationalen Netzwerken? Trotzdem ist «Baseballschlägerjahre» nicht nur ein Korrektiv bundesdeutscher Gedächtnispolitik, sondern unterstreicht implizit auch, wie wichtig antifaschistisches Engagement direkt vor der Haustür ist.

Alle Episoden der Dokuserie finden sich in der Mediathek der ARD.